new filmkritik |
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Freitag, Dezember 31, 2004
"At the end of the year, we decided to 'put language in check' and ask our contributors to express themselves primarily with an image."
Rouge > The Image Issue
25 tolle Filme 2004 erstmals gesehen - Kino, DVD, Video, Fernsehen
The Brown Bunny (Gallo), Marseille (Schanelec), Elephant (van Sant), Children of the Beehive (Shimizu), Adieu (des Pallières), One Way Passage (Garnett), Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben (Schanelec), Raja (Doillon), S 21 - la machine de mort Khmère rouge (Panh), L'Intrus (Denis), Seven Women (Ford), The Missing (Lee), Rois et Reine (Desplechin), Triple Agent (Rohmer), Before Sunset (Linklater), Mr and Mrs Iyer (Sen), Demi-Tarif (Le Besco), Crimson Gold (Panahi), L'amour, l'argent, l'amour (Gröning), Kalter Frühling (Graf), Reshma aur Shera (Dutt), Die Geschichte von Marie und Julien (Rivette), Ruthless (Ulmer), Mr. Shosuke San (Shimizu), Michel Gondry DVD
21 tolle Filme, zum ersten Mal gesehen 2004, Kino
The Brown Bunny (Gallo), Marseille (Schanelec), Children in the Wind (Shimizu), Tropical Malady (Weerasethakul), Collateral (Mann), Elephant (van Sant), Routine Pleasures (Gorin), Les gens d'Angkor (Panh), Clean (Assayas), Medium Cool (Wexler), Zwischen Gebäuden (Schultz), Une Visite au Louvre (Straub/Huillet), Les Coeur Verts (Lunts), Doctor Bull (Ford), Ulysse (Varda), L'esquive (Kechiche), Szafari (Pölcz), Notre Musique (Godard), One Way Passage (Garnett), The Puppetmaster (Hou Hsiao-Hsien), Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben (Schanelec)
+/- 20 tolle Filme, zum ersten Mal gesehen 2004, Kino / VHS
Capturing the Friedmans (Jarecki), Children of the Beehive (Shimizu), Dead End (Wyler), Deprisa, deprisa! (Saura), Die Jahreszeiten (Pelechian), Election (Payne), Elephant (van Sant), Eternal Sunshine of the Spotless Mind (Gondry), Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben (Schanelec), L'Esquive (Kechiche), La Vie Nouvelle (Grandrieux), Le Revelateur (Garrel), Medium Cool (Wexler), Mysterious Object at Noon (Weerasethakul), One way passage (Garnett), Peau d'Ane (Demy), Raja (Doillon), Stuck on you (Farelly & Farelly), The Brown Bunny (Gallo), The Cooler (Kramer), The Wild Angels (Corman), Ulysse (Varda), Zwischen Gebäuden (Schultz)
20 tolle Filme, zum ersten Mal gesehen 2004, DVD/Kino
Stuck on You (Farrellys), Children of the Beehive (Shimizu), Portrait of Jenny (Dieterle), Tropical Malady (Weerasethakul), Collateral (Mann), The Assasination of Trotsky (Losey), Gerry, Elephant (van Sant), Whirlpool (Preminger), Los Muertos (Alonso), Routine Pleasures (Gorin), A Farewell to Arms (Borzage), The Passenger (Munk), L' Enfant secret (Garrel), Night Tide (Harrington), Infernal Affairs 2 (Lau/Mak), S 21 - la machine de mort Khmère rouge (Panh), 29 Palms (Dumont), Dil se (Ratnam), Starsky & Hutch (Philips). Donnerstag, Dezember 30, 2004
FREIBURGER PROJEKT
Phase 1 Montage aus im Straßenbild vertrauten Materialien (Klötze, Steine, Rohre - typische Baustellengegenstände) wird in der Stadt ohne Aufwand errichtet. Phase 2 Passanten später daraufhin beobachten, ob sie diese Umweltveränderung, die als kunstvoll und sinnlos erkennbar ist, wahrnehmen. Evtl. fotografieren(?) Phase 3 Die Presse berichtet über die Montagen und ihren Standort. Phase 4 Gleichzeitig mit der Pressemeldung verschwinden die Montagen (abbauen). Phase 5 Reaktion des Publikums, das durch den Pressehinweis nach Kunst sucht, wo keine (mehr) ist, wo aber welche war, bevor man sie bemerkte. P.R. Freiburg April 1967 [Peter Roehr 1944-1968. Neues Museum Weimar. Die Sammlung Paul Maenz Band 2, hg. von den Kunstsammlungen zu Weimar, bearbeitet von Gerda Wendermann, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2000, S. 130] Samstag, Dezember 25, 2004
Bad Santa
Terry Zwigoff: Was offered $10,000 by the Gap to appear in a commercial about hip filmmakers, but turned it down, citing his dislike for big companies. Den Film über Robert Crumb von 1994 habe ich nicht gesehen. Angeblich wurde Zwigoff während des Drehs von solchen Rückenschmerzen geplagt, dass er einen Revolver unter sein Kopfkissen legte, um sich gegebenenfalls erschießen zu können. Die Waffe soll später als Druckmittel eine Rolle gespielt haben, als Crumb aus dem Projekt aussteigen wollte. In "Ghost World", über den Christian Petzold und Ludger Blanke vor gut drei Jahren den ersten Text hier posteten, ging ich völlig unvorbereitet. Nach fünf Sekunden hatte mich der Film auf seiner Seite, das passiert selten (bei "Elephant" war es dieses Jahr ähnlich). Das Travelling außen entlang der Häuserwand. Drei-, viermal Mikrokosmos/Makrokosmos, innen/außen, parallel dazu Mohammed Rafis "Jaan Pehechan Ho". Die Bollywood-Tänzerinnen und Enid, von der wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts wissen, schütteln alles von sich ab, was Alltag heißt (und der Film fängt diesen Alltag in den kommenden 90 Minuten wieder ein): es konnte nichts mehr schiefgehen. Letztes Jahr hörte ich, dass Zwigoff einen neuen Film gemacht hat, "Bad Santa", eine Weihnachtskomödie. Ich weiß ja nicht. Nicholson sagte ab, Murray zog "Lost in Translation" vor, so dass jetzt Billy Bob Thornton den versoffener Loser spielt, der alle Jahre wieder den Kaufhausweihnachtsmann geben muss. Das geht mit viel Tristesse, Geschimpfe und Körpersekreten einher, und die Witze, die aus dem Kontrast zwischen Kinderträumen und der zynischen Frustration des unambitionierten Safeknackers herausspringen, sind so voraussehbar, wie man es vorausgesehen hatte. Da hat S. schon recht, wenn er sagt, der Film habe nach den ersten drei Minuten (Ranfahrt durch den leise rieselnden Schnee auf eine Kneipe, bis hinten durch zur Bar, an der Thornton in voller Santa-Montur sitzt und einen nach dem anderen hebt) alles gesagt und stelle danach nur noch Variationen dieses Bildes her. Trotzdem: mindestens drei schöne Dialogzeilen gibt es zu hören, und an der Stelle, an der der Sicherheitschef Bernie Mac und sein Spitzel John Ritter sich am Schreibtisch gegenübersitzen und sich über das weitere Vorgehen gegen die Chaoten unterhalten, musste ich an Heinz Emigholz' "Démon - Die Übersetzung von Stéphane Mallarmés 'Le démon de l'analogie'" von 1977 denken. In Emigholz' Film bekommt jeweils ein Mallarmé-Wort eine Einstellung und wird dreifach multipliziert: französisch, deutsch, englisch. Mallarmés Text wird auf drei Sprecherinnen verteilt und jedes Wort zum Bild- und Klangklötzchen. Auf einmal ist Sprache so irr, sprunghaft und kantig wie Sprache nun mal ist. Bei Zwigoff ist es anders: Er schneidet so, dass immer der zu sehen ist, der gerade spricht, und weil der Dialog beständig an Geschwindigkeit zunimmt, gibt es ein zunehmend groteskes Ping Pong. Schuss-Gegenschuss in forcierter Plansoll-Übererfüllung: Hier macht sich jemand das luxuriöse Weihnachtsgeschenk, die ziemlich durchschnittliche Erzählung für ein paar schöne Momente über die Klinge des etablierten Verfahrens springen zu lassen. Frohe Weihnachten. Sonntag, Dezember 19, 2004
kino hinweis
gestern erst und viel zu spät noch mitbekommen, dass im babylon-mitte ein "regieportrait claire denis" zu sehen ist. heute, sonntag, läuft um 21:00 "ich kann nicht schlafen" (1994) und dienstag und donnerstag, da bist du aber nicht mehr in berlin, endlich auch l'intrus. aus venedig war viel von dem film zu hören, und du hättest alles andere stehen und liegen lassen vor ein paar jahren noch, um den film dir in berlin anzugucken. das bringst du aber inzwischen nicht mehr. außerdem noch zu sehen: "beau travail". termine und ein interview mit claire denis vom erratamag Freitag, Dezember 17, 2004
Freitag, Dezember 10, 2004
Freitag, Dezember 03, 2004
TV-Hinweis:
Samstag, 4. Dezember 2004 um 00:25, arte: Katzensprung, F 2004, Regie: Chris Marker Der Film hat heute abend Vorpremiere im Centre Pompidou, morgen nacht dann wird er von arte, die ihn mitproduziert haben, verschämt nach Mitternacht gezeigt. Das Monatsprogramm schaufelt ganze vier Textzeilen dafür frei, gibt im Netz eine andere Anfangszeit an als in der Printfassung (da ist von 00.20 Uhr die Rede), schreibt den Nachnamen des Filmemachers falsch und hofft wohl insgesamt, dass keiner den Film wahrnimmt. Den Gefallen werde ich ihnen nicht tun. Wenn man den Originaltitel herausgefunden hat, der nirgendwo vermerkt ist, findet man im Netz sogar den ein oder anderen Artikel.
Maldone (100 Worte)
Der tödliche Reitunfall seines Bruders hatte die Kamera in eine schwindelerregende Aufregung versetzt. Jetzt muss der Binnenschiffer Maldone, der nur in der Unruhe Ruhe findet, das Landgut übernehmen. Mit den gleitenden Kamarabewegungen, mit der filmischen Anverwandlung an Natur und Körper, die sich am Umschlagpunkt zu Taumel und Delirium steigert, ist nun Schluss. M. sagt, das liege daran, dass die Stative 1928 noch keine Kugelgelenke hatten, aber trotzdem ist diese Eckigkeit der Bewegungen auch ein Ausdruck für die Steifheit des bürgerlichen Lebens. Ich stelle mir einen Film vor, der keine diagonalen Schwenks kennt und dem Blick deshalb immer wieder Haken schlägt. Maldone F 1928 Regie: Jean Grémillon Freitag, November 26, 2004
film hinweis
Sonntag, 28.11.2004, ab 21:00 Pirate Cinema Berlin Ziegelstrasse 20 21:00 Uhr - Dziga Vertov: Three Songs About Lenin, Sowjetunion, 1934, 59 min, mit englischen Untertiteln 22:00 Uhr - Groupe Dziga Vertov: Vladimir and Rosa, Frankreich, 1970, 94 min, mit englischen Untertiteln "Was den Film zu einem der unterhaltsameren Werke der Groupe Dziga Vertov macht, sind die Auftritte von Godard als Lenin und Gorin als Rosa Luxemburg, die während eines Tennismatches am Netz auf und ab laufen und über Revolution und Kino diskutieren." (mehr hier) Mittwoch, November 24, 2004
Im Bauch des Kapitalismus
Gesehen bei den Duisburger Dokumentarfilmtagen: "Nicht ohne Risiko" von Harun Farocki Von Michael Girke Geldgeschäfte der neuesten Ökonomie. Lange hat Harun Farocki nach Möglichkeiten gesucht, diese filmisch fassbar zu machen. Plötzlich erteilten zwei Firmen Erlaubnis ihre Verhandlungen zu drehen. Farockis Dokumentarfilm ist ein zufällig gefundener. Man sieht den Bildern die Arbeit an, die sie gemacht haben, das enorme Geschick des Kameramanns, die Bemühung um Rhythmus. Zugleich treten Autor und Kinoapparat in den Hintergrund. Dies Verschwinden ist keine Selbstaufgabe, sondern ein Geschenk für Zuschauer. Die haben Ungewohntes vor Augen: Bilder, die zuhören, zusehen, geduldig registrieren. Eine Firma entwickelt eine bahnbrechende Technik und braucht, um in die Produktion gehen zu können, Kapital. Eine andere Firma verleiht Geld und verlangt zur Reduzierung ihres Risikos Firmenanteile und Einfluss. Internationales Transaktionsgeschehen. Es ist bei Farocki verdichtet auf reale Verhandlungen real existierender Firmenvertreter: Ein Büroraum, ein Tisch, 6 Teilnehmer, hin und her fliegende Argumente, Einschätzungen, Probier- und Verführungsgesten, Schachzüge. Farockis Kino ist so materialistisch, dass seine dramatischen Qualitäten leicht übersehen werden. Nicht dass Filme stets ihre eigene künstliche Wirklichkeit formen wird in ihm sichtbar, sondern wie viele filmische Eigenschaften die Wirklichkeit besitzt. Das Tischgespräch über den Geldtransfer erinnert an Pokerrunden im Western; niemand weiß, was die Mitspieler wirklich in der Hand haben; sichtbare echte Emotionen sind Verrat am Gewinnziel; Gesicht und Körpergesten müssen zu Maske und Schauspiel werden. Wenn der Firmenchef einmal das ökonomische Fachchinesisch nicht mehr versteht und hilflos ausgeliefert sich umsieht, ist ein Melodram angedeutet. Wenn die Kreditgeber berichten, ihre Tauschwertberechnung hätte rein gar nichts zu tun mit dem realen Firmenmaterial, sondern mit einer vollständig ausgedachten zukünftigen Entwicklung, dann ist der Zuschauer Zeuge, wie eine Realität und ihre Bewohner zu Gespenstern werden. Zu Objekten abstrakten Denkens. Erstens ist der Kapitalismus eine reine Kultreligion, vielleicht die extremste, die es je gegeben hat. Der Kapitalismus ist vielleicht der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus. Dies schrieb Walter Benjamin 1921. Diese Einsicht steht im Widerspruch zur Ökonomierhetorik von Politik, Presse und Wissenschaft. Die hämmert den Menschen täglich ein, der Kapitalismus regele sich zum Nutzen der Allgemeinheit auf strikt rationale Weise selbst. Was Benjamin mit bloß verbalen Mitteln behauptet, macht Farockis Film erfahrbar. Man sieht hochgebildete, mit allen Businesswassern gewaschene Unternehmer, wie sie mit ausgesuchten Anzügen, Büroausstattungen, Frisuren, Manieren den Schein von Rationalität zwanghaft erzeugen und zugleich eingestehen, ihre Geschäfte werden eigentlich von Psychologie, vom Bauchgefühl bestimmt und dass ihre Planungen sich nie realisieren; die haben den Charakter von Heilsversprechen. Wo Triebgeschehen in glatte Fassaden und Vokabeln gekleidet wird, ist Verdrängtes nicht weit. Ob man die Erfüllung des kapitalistischen Heilsversprechens sich selbst zugesteht, aber schon nicht mehr dem Anderen? Ob es Wachstumssucht ist, die Menschen als Funktionen betrachtet, als solche gewaltsam in Dienst nimmt oder ausspuckt - ohne Chance auf Gnade und Veränderung? Warum die westliche Welt Wahrsager verspottet, in Nationalökonomen aber die Verwalter der Weltvernunft sieht? Vermutlich weil 15 Zeitungs- und Fernsehjahrgänge nicht annähernd so viel Realität enthalten wie 15 Minuten Kino von Harun Farocki. Seine neue Dokumentation ist wie von jemandem, der nach Jahrzehnten im Filmbetrieb das Kino noch einmal neu entdeckt. Widerstand gegen bestehende Verhältnisse sind seine Bilder aufgrund ihrer Machart. Sie entfalten sich befreit von ihrer alltäglichen Sklavenarbeit Erzählformen, normative Kategorien auszufüllen. Sie werden nicht von Theorien, von Anforderungsprofilen her gedacht. Lumiere aus Berlin. Die Realität der New Economy trifft den Zuschauer so unvermittelt wie der einfahrende Zug im ersten Film überhaupt. Samstag, November 20, 2004
film hinweise (hände, pt.4)
Werkschau Robert Bramkamp, beginnend Montag, 22.11. im Babylon-Mitte, Berlin, gefolgt von Aufführungen im Filmmuseum München und Filmclub 813 Köln. Informationen und Termine: http://www.bramkamp.info Donnerstag, November 18, 2004
oktober, november (notizen)
"deutschland im jahre null" von rosselini. eine ganz grauslige kopie. sie ziehen den ton hoch, als verstünde man so besser die umso unverstehbareren dialoge. die dialoge scheppern grell, die musik blechern, kratzend, schrill. man will sich die ohren zuhalten. über die moral im ausnahmezustand. condition humaine & coming of age. ein film darüber, wie man sich retten kann und dennoch überleben. und der film sagt, dass das nicht geht, beides zusammen gehe nicht. der film sagt, entweder du rettest dich, oder du überlebst. wie sich der ansatz, die filmgeschichte als geschichte des herausragenden zu denken, vielleicht überlebt hat, vielleicht in sackgassen führte. dass man die formen und die mit ihnen entstehende semantik nicht von ihren höchstleistungen, sondern von ihren ablagerungen verstehen sollte. diese aber wirklich ernstnehmen. andererseits: sich an horwaths utopischer filmgeschichte aufzurichten. oder auch: solche listen collateral ist ein wahnsinn. wie die stadt da ist. die schöne vorstellung, dass filme an orte gebracht werden, um dort, wenn auch nur ein einziges mal, in sie hineinzustrahlen. ob das strahlen aufbewahrt ist in den körpern, auf die es trifft? dagegen thom andersens kritik an collateral. seine post-neorealistische argumentation - das unwahre der filme: ihre passend gemachten wirklichkeitsausschnitte. (immer: der pathetische rekurs auf die alten cinematographischen vermögen -zumutungen-, die realität durch abbilden zu retten.) [und in der nacht bei "starbuck" auf n3 die alten aufnahmen von 1967/68, farocki und meins in knokke, das festival stürmend, REALITÉ, REALITÉ rufend] zwei, drei tage lang -weil ich bei meinem ersten festivalfilm ihm begegne- verbringe ich mit k, dessen diskursive unbeweglichkeit ich dann als spiegel meiner haltungsstarre erkennen möchte. beides ausprägungen von "indie". ms pointierte kritik an "indie" nach dem besuch in hamburg. (dynamik des utopisten vs apathie des siedlers). im palast der republik vier filme von gordon matta-clark. hs kritik daran... die lächerliche emphase der einzelnen einstellungen... die permanente suche nach dem anthropomorphen (volker: "face value")... die stursinnige happening-emphase... das blöd-soziale... die hippieesken lyrismen... die forcierte aura von menschenköpern in gegenlicht. h erzählt daraufhin von einem film von serra über eine brücke, die jener filmt, als sei sie ein von ihm geschaffenes kunstwerk. - med hondo: sarraounia (burkina faso 1986) über eine schlacht in den kolonialkriegen, ende des 19. jahrhunderts. in der mitte des films die entscheidende, proto-laizistische rede der rebellin. aufstand als letzte möglichkeit, die freiheiten der praktiken zu verteidigen. der film hat die form einer ideen-ballade. nur aufgrund von verbiegungen könnte er als epos gelesen werden. die einzelnen strophen parallelisieren die ereignisse, es geht aber nicht um die koloratur des dekors, sondern um die ideologischen ausformungen der antagonistischen kräfte. das alles bündelt sich nicht zu einem porträt der titelgebenden heldin, sondern strebt danach, je aktualisierbare zustandsbeschreibung zu werden. der eklektizismus der verfahren wird nicht zum stil. sarraounia ist in den anfangssequenzen als anlass der beschreibung präsent, danach wird sie als retardierendes moment eingesetzt. ihre funktion ist eine verschaltende. sie ist uninteressiert an weltanschaulicher dominanz, und daher unterschieden von ihren widerparts: den protagonisten des raumgreifenden islam und denen des raumausschöpfenden kolonialismus. die auf ihren gleichmut gegenüber den politischen optionen zurückgeführte heroisierung der hauptfigur ist eher narrative funktion, als ideologische zielvorgabe. das überraschend offen bekundete ziel ist die bildung einer transponierbaren legende. es geht darum, ausgehend von sarraounia geschichten zu erzählen; der film stellt sich damit gleichberechtigt in eine reihe mit oraler geschichtsschreibung, bisweilen scheint es sogar, er ordne sich dieser unter. rajmann: "hassliebe zum spielfilm" der dumpfe text hochhäuslers in der taz & meine angeekelt faszinierte erstarrung gegenüber den äußerungen großsprechwollender Dienstag, November 16, 2004
The Manchurian Candidate (Jonathan Demme) USA 2004
Die closure macht den Zwilling des Kandidaten dann doch wieder zum Herr im eigenen Haus; entlang der Wiederherstellung des politischen Urteilsvermögens und einer geschichtsbewussten Subjektivität, können auch die staatlichen Apparate wieder ihren demokratischen Dienst aufnehmen. Schade, dass Demmes ansonsten so smartes Update, in dem die Verschränkung von Geo- und Biopolitik den Sprung in die zeitgenössische Machtlogik markiert, die Spirale der Konspiration ausgerechnet in einem fotografischen Sentiment ertränkt. Während Warren Beatty in Parallex View noch zum handlungsohnmächtigen Schatten 'desubjektiviert' wurde, darf Denzel Washington die historisch-kritische Aufarbeitung der Verschwörung identitätssicher anführen. Wenn die böse Hitchcock-Mutter tot ist, kann plötzlich wieder ungeniert tapferer Soldaten gedacht werden. Dass der angeblich so unterwanderte Staat dann durch den verliebten Blick einer Polizistin repräsentiert wird, hat mir für einen Moment den Film verleidet. Freitag, November 12, 2004
filmhinweis
Filmsamstag, 13. November 2004, 19 Uhr, Großer Saal, Babylon-Mitte, Rosa Luxemburg Str. 30, 10178 Berlin "Zwischen Gebäuden" von Thomas Schultz Bärbel Freund, vom Filmsamstag, schreibt: Ein Spielfilm nach Sätzen des "Räuber"-Entwurfs von Robert Walser, in Schwarzweiß, auf 35-mm-Orwo-Material gedreht, 72 Minuten lang, 1988 an der DFFB entstanden und fast nie gezeigt worden. Weil ich diesen Film sehr schön finde, sehr pur, abendfüllend im besten Sinne, möchte ich ihn an unserem "FilmSamstag" im November vorstellen. * edit: dort, im babylon mitte, wo seit längerem u.a. der "filmsamstag" stattfindet, geht es möglicherweise bald nicht mehr weiter. streichungen. mehr dazu hier. (via filmtagebuch) Donnerstag, November 11, 2004
"Dann möchte ich ihnen noch das mit den weißen Negerinnen erzählen. Möchte mir aber das Ja-das-gibts und die jeweiligen Beispiele ersparen, denn im Wirtshaus gibt es keine Sicherheit vor Rassismus. Ich gehe und überlege mir, was ich wohl alles nicht begriffen habe in dem Film 'White Chicks'. Aber wie? Also gehe ich nochmal in den Film und noch einmal im Mathäser. Im Kino 14 läuft das Original, in 13 sind die Köpfe angeschnitten, im 2 perfekt. Mein erster überwältigender Eindruck, die beiden Wayans-Brüder spielen auf Teufel komm heraus, Schneewittchen komm heraus, weiße Blondine. Hat es das schon einmal gegeben? Was ist denn mit schwarzen Männern geschehen, wenn sich weiße Damen von ihren Blicken belästigt fühlten, noch vor 60 Jahren? Und jetzt das!
Die schwarzen FBI-Agenten lassen sich in angenehmer Kürze zu weißen Mädchen ummodeln. Sie leben in der ständigen Angst, ihren Job mit den angenehmen Sozialleistungen zu verlieren. Und das Weibchen des Jüngeren. Mit faszinierender Ähnlichkeit unterscheiden sie sich nicht nur in Farbtupfern, sondern geheimnisvolle Trauer umgibt sie... Ein feiner Höhepunkt ist eine Autofahrt mit 5 weißen Mädels, drei normale. He, sagt die Fahrerin, habe ich nicht ein N-Wort gehört? N für Neger? Da sagt so eine weiße künstliche Dame: Ist doch keiner da. Wie da die beiden schauen und schweigen, ist feiner nicht zu machen. Endlich eine Darbietung, die mich an Tashlin und Jerry Lewis denken lässt, mich aber gleich wieder mitreißt." (Auszug aus "Unter die Haut. N-Wörter und 'White Chicks', von Herbert Achternbusch, SZ 4. November - drunter steht "gekürzte Fassung": Wo gibts die ungekürzte?) Freitag, Oktober 29, 2004
Donnerstag, Oktober 28, 2004
Mittwoch, Oktober 27, 2004
5 x 2
Der Titel klebt auf dem Film wie das Preisschild auf einer Ware. Eine etwas abgeschmackte Art ist das, Versuchsanordnung zu sagen oder Experiment. Auf einer Toilettenpapierverpackung wirkt das gut, fünf Rollen, zweilagig, wie das vom Penny um die Ecke, auf dem "Happy End" draufsteht. Das finde ich immer grandios und es passt gut zu Ozons Film, der in einem Glück endet, das durch das schon Gesehene, das noch Kommende, bereits vollständig kontaminiert ist. 5 x 2, das klingt auch ein bisschen so, als gäbe es etwas umsonst - man kauft ein Paar und kriegt noch vier andere dazu. Hier also: Papa & Mama, Ich & mein One-Night Stand in der Hochzeitsnacht, der schwule Bruder meines Ehemanns & sein Freund, mein Mann & seine Ex. Und überall ist es gleich, es ist eine unnötige Vervielfachung des bedingt Interessanten, überall herrschen die gleichen Automatismen von Beziehung und Alltag, von Verletzen und Verletztwerden. (In einem typisch französischen Mittelklasse-Milieu noch dazu, das die Houellebecqs und Beigbeders dieser Erde frustrierter und deshalb meinungsfreudiger denunziert haben.) Über schlechten Sex sind schon bessere Filme gemacht worden. Das vermeintliche Rätsel, das sich mit dem Titel verbindet, ist läppisch, und aus der damit verbundenen formalen Entscheidung, die Geschichte in fünf Etappen rückwärts zu erzählen, springt erstaunlich wenig erzählerischer Surplus heraus. Gut, ein paar scheinbare Eindeutigkeiten geraten ins Schwimmen. Zum Beispiel ob der gemeinsame Sohn wirklich der gemeinsame Sohn ist (dieser Gedanke kam mir im gleichen Moment wie der Neben-, Gegen-, Ergänzungs- und Entwertungsgedanke "So what?": für den Film hätte auch das überhaupt keine Folgen). Bei jeder Einstellung der Verdacht, die Rückseite des Bildes sei interessanter. Häppchenweise Psychologie bekommt man durch Marions Eltern eingeflößt. Dass das schon immer so... Und dass das halt zum Pärchen-Sein... Geschenkt. An diesen Stellen wird die Argumentation anthropologisch, aber in der verallgemeinernden Gleichung zugleich banal. Alltag = Beziehungskiller. "Alle diese Gleichnisse wollen eigentlich nur sagen, daß das Unfaßbare unfaßbar ist, und das haben wir gewußt. Aber das, womit wir uns jeden Tag abmühen, sind andere Dinge." Dabei behauptet der Film, er würde genau das zeigen, die alltäglichen Dinge eben, die in französischen Filmen so viel Spaß machen können. Aber die sind hier in keinem Bild enthalten und es wird schmerzlich bewusst, wie wenig Ozon mit dem Alltag anfangen kann: Wischi-waschig ein paar wichtige Papiere im Büro unterzeichnen und im Bistro um die Ecke mit entrücktem Blick Steak-Frites essen, während die Ehefrau im Krankenhaus entbindet. Ein Gesicht wird nicht zwingend dadurch aussagekräftiger, dass ich ihm langsam immer näher rücke mit der Kamera. Allerdings, das gebe ich gerne zu, mag ich Valeria Bruni-Tedeschis obere Schneidezahnreihe, wenn sie so von schräg halb-unten gefilmt wird. Ein Film wie ein Vorwand für etwas anderes, das er selbst vergessen hat. Was mir gefallen hätte als eine verächtliche Geste (und damit: überhaupt eine Geste) dem Publikum gegenüber und als wirkliche Überraschung: Wenn Gilles und Marion am Ende, der zugleich der Anfang ihrer Beziehung ist, in diesem unerträglichen Postkartenbild also, in dem beide in den italienischen Sonnenuntergang hinein schwimmen, plötzlich ertrinken. Dann hätte sich der ganze Film im Vor- und Nachhinein selbst gelöscht und ich wäre mit dem zufriedenen Gefühl der Bestätigung nach Hause geradelt, dass all dies wirklich nicht der Rede wert war. Mittwoch, Oktober 20, 2004
TV-Hinweis: 20.10., WDR 23.15 Uhr
Diejenigen, die nicht in Österreich sind, diejenigen, die hier ausharren oder mit dem Zug in die, wie man anderswo lesen konnte, "lebenswerteste Stadt der Welt (Kategorie 200.000 - 750.000)" unterwegs waren, um dort "A Corner in Wheat" und "Die Seele des Geldes" zu zeigen, diejenigen, die auf die John Ford-Filme verzichten müssen, und auch auf die Filme von den beiden, die die John Ford-Filme ausgesucht haben für Wien, eine Stadt, in der es, wie ich erfahre, keine Camel-Zigaretten und keine Lucky Strikes gibt, seit zwei Jahren schon, was mir in einem merkwürdigen Gegensatz zu den John Ford-Filmen zu stehen scheint, die man dort sehen kann, diejenigen also koennen sich heute abend den Film, besser: die Filme IL RITORNO DEL FIGLIO PRODIGO - UMILIATI" im Fernsehen anschauen, was doch immerhin auch etwas ist. Freitag, Oktober 15, 2004
langtexthinweis
JOHN FORDS Horizont. Von Manfred Bauschulte & Michael Girke Aus dem Prolog: "John Ford steht da als Monument des Kinos und ist doch zugleich ein großer Unbekannter. Er ist Hollywoods erfolgreichster Regisseur, vier Oscars für Regie erhielt er selbst, unzählige weitere Oscars und Nominierungen seine Filme. Er brachte Leinwandikonen hervor wie John Wayne, der Western wird auf ewig mit seinem Namen verbunden bleiben und ganze Bücher ließen sich füllen mit der Aufzählung all der Regisseure, die Ford bis heute ehrerweisend zitieren, ihn beklauen, kommentieren oder überbieten wollen. Aber wer wüsste schon, dass Ford Filme machte seit 1917, dass seine Karriere also beinahe die ganze Filmgeschichte umfasst, oder, dass er über sich selbst sagt, nicht seine Western sind wirklich gut, sondern seine billigen kleinen Filme ohne Stars über einfache Leute? Fords Unbekanntheit begann offenbar schon zu Lebzeiten (er starb 1973). 1965 drehte er "7 Women", seinen beinahe ausschließlich mit Frauen besetzten letzten Film, der in den von Veränderungsgeist bewegten 60ern heftig ignoriert wurde. Als Manfred Bauschulte und ich uns Anfang des Jahres aufmachten, "7 Women" anzusehen und zu würdigen, begann ein Abenteuer. Dank der Unterstützung von Klaus Volkmer, ergab sich ein intensiver und regelmäßiger schriftlicher Austausch mit Tag Gallagher, dessen "John Ford - The Man & His Films" eines der besten Filmbücher überhaupt ist. Gallagher schickte Videos, dank deren wir Filme wie "The Sun Shines Bright", "Battle Of Midway", "Wagonmaster" im Original und ungekürzt sehen konnten, was zu Einsichten verhalf, von denen wir vorher nicht einmal etwas ahnten. Immer mehr verdichtete sich der Eindruck: Trotz einiger sehr verdienstvoller Arbeiten, wie der Hartmut Bitomskys in der FILMKRITIK, ist Ford im deutschen Sprachraum nie wirklich angekommen. Um so aufregender ist es, dass Danielle Huillet und Jean Marie Straub den Anstoß gaben zu einer Ford-Retrospektive bei der diesjährigen Viennale. Warum diese umfassende, zeitraubende Beschäftigung mit einem Regisseur, der lange tot ist? Vielleicht muss man jeder Kinogeneration das Recht zugestehen, Vorgänger geflissentlich zu übersehen oder von ihnen gelangweilt zu sein. Gerade an John Ford aber lässt sich zeigen, wie fragwürdig eine Kinologik ist, die das jeweils Neueste auch für den höchsten Stand der Entwicklung hält. Filmgeschichte verläuft zugleich vorwärts und rückwärts. Holt man Kinomonumente wie Ford von ihren Sockeln und erlöst sie aus kanonischer Erstarrung, so lassen sich beim Betrachten alter Filme eben nicht nur "Meisterwerke" oder vergangene Welten und ihre Probleme entdecken, sondern, es wird auch möglich, die Gegenwart mit anderen Augen zu erfassen. Und nur einer der Effekte dabei ist, dass manche Anmaßung und Ignoranz des heute selbstverständlichen und gültigen (Film-)Denkens sichtbar wird. Wir hoffen, unser Gespräch zu "7 Women", kann ein wenig dazu beitragen, zwei Brücken zu bauen; eine für das heutige Publikum zu Ford und erst recht eine Brücke für John Ford in die Gegenwart." (mehr hier) Sonntag, Oktober 10, 2004
film hinweis
Sonntag, 10.10.2004, 21:00 Pirate Cinema Berlin Ziegelstrasse 20 Klassiker des urheberrechtsverletzenden Films (Teil 2) René Vienet: The Girls of Kamare (F 1974, 88 min) Japanisch mit englisch untertitelten französischen Untertiteln "(...) Bereits 1967 festgestellt zu haben, dass man die Abschaffung des Kinos nicht allein Jean-Luc Godard überlassen sollte, ist nur eins der Verdienste von René Vienet, mit dessen "The Girls of Kamare" wir unsere Reihe "Klassiker des urheberrechtsverletzenden Films" am Sonntag fortsetzen. Bei "The Girls of Kamare" handelt es sich - in voller Länge - um "A Pair of Panties for Summer" von Norifumi Suzuki (in dessen zentraler Schaffensperiode Mitte der 70er Jahre auch Werke wie "Hot Springs Mimizu Geisha", "Tokugawa Sex Ban", "School of the Holy Beast" und "Dolls of the Shogun's Harem" entstanden sind). Vienet hat sich - wie bereits in "Can Dialectics Break Bricks?" - darauf beschränkt, die Originalvorlage entgegen des durch die Tonspur intendierten Sinns neu zu untertiteln - womit "The Girls of Kamare" Debords "Gesellschaft des Spektakels" nicht nur an formaler Radikalität übertrifft, sondern auch an Unterhaltungswert." (mehr hier) Freitag, Oktober 08, 2004
The Hunted (100 Wörter)
Ein Film über die Liebe zum Handwerk. Des Tötens, als Kampf Mann gegen Mann. Der Rest ist Überbau: Tierliebe, Abraham und Isaak, Johnny Cash und Vorgeschichten. Was Kultur ist, soll Natur werden, der Film nimmt die Witterung auf fürs Proto-Signifikative im Unterholz der Zivilisation. Keine Hermeneutik der Spur, sondern Rückkehr in die Urzeit animalischer Jagdinstinkte. Werwölfe in Portland. Die geblähten Nüstern von Tommy Lee Jones und der Faustkeil. Verlust der Unschuld, Heilung durchs Sohnesopfer. Im Hintergrund das Tosen der Ideologie. Friedkin inszeniert, schneidet, schlitzt mit Bewegungseleganz. Auge in Auge mit einem Regisseur, der sein Handwerk versteht: Wenn Schnitte töten könnten.
The Hunted (Hundert Worte)
Aaron (Del Toro), in die Ecke getrieben, deutet auf einen ideologischen Kern seines Tuns, über die Industrialisierung der Nahrungskette sprechend: dass dabei superiore den Respekt vor inferioren Wesen verloren haben. Der Profilerin wäre dies ein Schlüssel zur psychischen Disposition. LT. (Lee Jones) aber unterbricht, als Aaron Namen von Militärsondereinsätzen reiht: "black eagle, mongoose, cobra..." Tiere! Vom Kern her streben alle Aussagen und Bilder zu Natur. Der Film streut sie im Modus der Analogie - Parallelmontage und Attributierung durch Lebensraum. Sie sollen aber nicht gelesen werden, sondern gravieren. So entsteht Gravity (Gravität), die Friedkin außerordentlich zu dynamisieren weiß. Jagen, Stellen, Töten. The Hunted (William Friedkin) USA 2003
The Hunted (100 Worte)
Um den pensionierten Ausbilder L.T. zu charakterisieren, zeigt Friedkin, wie er einem Wolf in der verschneiten Landschaft aus der Schlinge hilft und den verletzten Vorderlauf mit weichgekautem Moos verarztet. Dem Fallensteller, der sich derweil in der Blockhütte einen gemütlichen Jungsabend macht, knallt er die Falle auf den Tisch, und seinen Kopf gleich hinterher. Jemand springt auf, aber schon hält L.T. den Aufgebrachten mit seinem Zeigefinger in Schach. So ähnlich geschmeidig habe ich beim Trampen mal einen Fahrer immer wieder vom zweiten in den dritten Gang schalten sehen, wobei sein Arm die Bewegung wie ein Tänzer bis vorne zum Armaturenbrett verlängerte.
The Hunted (Hundert Worte)
"There is no reference in what you do", flüstert es den überausgerüsteten Freizeitjägern zu. Verweise hinterlassen und als bedeutende Spuren wahrnehmen - darauf gründet der modus operandi echter Naturburschen, die noch ein indexikalisches Weltverhältnis leben. Ein kartographisches Spiel betreiben sie: Räume mappen, auch in der urbanen wilderness noch Material finden, in das eingeschrieben werden kann. Der Showdown als biblische Verabredung; archaisch, vielleicht auch antizivilisatorisch, in jedem Fall aber: nicht mehr im Zugriffsbereich einer Polizeimacht, die high-tech-bewehrt im Hubschrauber kreist und die Räume nicht mehr prozessiert bekommt. Am Ende werden alle Abdrücke ausgelöscht; Briefe verbrennen, Schnee legt sich über die Landschaft. The Hunted (William Friedkin) USA 2003 Samstag, Oktober 02, 2004
Debate
Von alleine wäre ich nicht auf die Idee gekommen, vorgestern Nacht das Fernsehduell mitzuschneiden - in einem Akt zivilen Ungehorsams hat mir der Videorecorder die Entscheidung abgenommmen. Programmiert war Téchinés "Mord um Macht", auf dem Tape sind - schöner Kommentar - eineinhalb Stunden Kerry vs. Bush. Ich habe bisher nur zwei Minuten davon angeschaut und auch keine große Lust, viel mehr zu sehen. Die zwei Minuten transkribiere ich hier trotzdem kurz, weil ich Bushs 'Argumentation' so bestechend finde. Man muss da nicht "den ganzen Bush" - whatever that means - in a nutshell drin sehen wollen, aber komischerweise habe ich in den Berichten über die Debatte nichts über entgleisende Passagen wie diese gelesen (vielleicht weil 'Entgleisung' hiesse, dass der Zug eigentlich in einer anderen Richtung unterwegs ist). Überall heißt es "Punktsieg Kerry", "Bush bisschen verkrampft" etc. Mir kam es eher vor, als sage GWB alles auf seine gedanklich schlichte, sprachlich etwas verworrene Art genau so, wie er es meint. Ich hätte gerne den Gegenschuss auf seine Coaches hinter den Kulissen gesehen. Ob die sich die Haare raufen. Ob die das ganz normal finden. Ob die ihn so gebrieft haben und bester Laune sind: "OK, an der Performance müssen wir noch arbeiten." Frage: Eine neue Frage, Herr Präsident, zwei Minuten haben Sie. Sie haben gesagt, es hätte eine Fehleinschätzung gegeben über die Bedingungen im Irak nach dem Krieg. Worin bestand die und wie passierte das? Bush: Nun, was ich sagte war, dass, weil wir so einen schnellen Sieg errangen, dass eben mehr Saddam-Loyalisten immer noch übrigbleiben. Wir dachten, wir würden mehr von denen besiegen auf dem Weg dahin, aber Tommy Franks hat so toll geplant, dass wir so schnell vorangekommen sind in dem Krieg. Viele der Saddam-Loyalisten haben einfach die Waffen niedergelegt und sind verschwunden. Wir dachten, die würden weiterkämpfen, aber die haben nicht weitergekämpft, und jetzt finden wir die... nach und nach, und das ist sehr schwer. Ich verstehe, wie schwer das ist, ich bekomme jeden Tag die Berichte über die Toten und Verletzten, ich sehe das im Fernsehen, wie schwierig das ist, aber es ist eine notwendige Arbeit und ich bin optimistisch. Ich denke man kann realistisch und optimistisch sein, gleichzeitig. Ich bin optimistisch, dass wir es schaffen. Wir werden das nicht schaffen, wenn wir gemischte Signale raussenden. Wir werden unser Ziel nicht erreichen, wenn wir unseren Truppen gemischte Signale schicken. Das gilt auch für die irakischen Bürger. (Es geht nicht um Sprachkritik, ein Teil der Unbeholfenheit liegt daran, dass ich nur die Simultanübersetzung verstehen konnte). Ist also das Argument, dass sie sich einen längeren Krieg erhofft hatten, um eine größere Zahl von Saddam-Anhängern im direkten 'Feindkontakt' umbringen zu können? Weil man dann jetzt keine Scherereien mit denen hätte? Im Sinne von: "Das Schlechte ist, das wir so gut waren." Oder gibt es da noch eine andere Lesart, die ich nicht sehe? Freitag, Oktober 01, 2004
* listen
Einer, der auch ein weblog macht (chez del), macht in Wien einen Buchladen auf (phil) und fragt Leute, die sich auskennen mit Sachen, nach Listen von Büchern, von denen die Leute etwas erfahren haben über die Sachen. Die Listen sind toll. Eine Liste ist von Alexander Horwath, der das Österreichische Filmmuseum leitet. Die Liste handelt von Büchern zu Film, hat ein Motto - "Filmliteratur ist, wenn sie gelingt, der Versuch, eine Ausdrucksform nicht durch eine andere Ausdrucksform zu ersetzen oder abzutöten, sondern der ersteren ein zweites Paar Flügel zu verleihen."-, ist unterteilt in Rubriken, wunderbar kommentiert und ganz großartig. Lesen sie das. Hier: Alexander Horwaths Filmliteraturliste Donnerstag, September 30, 2004
Collateral (Michael Mann) USA 2004
Dass das postphotographische Kinobild ästhetisch nach wie vor ein vergleichsweise unbekanntes, ungedachtes und entwicklungsoffenes Wesen ist, lässt sich zur Zeit in "Collateral" beobachten, den ich auch beim zweiten Sehen als Farbfilm verblüffend finde. Nach dem Film kurz diskutiert, über das Potential der High-Definition, die spezifische Materialität digitaler Bilder mit der abgebrochenen Technicolor-Tradition kurzzuschließen, und zwar nicht nur in terms of Stiftung nicht-naturalistischer Farblichkeit. Vielleicht auch bezeichnend, dass wir während des Films beide dauernd an "Vendredi Soir" denken mussten, dessen Nacht-Ästhetik der Autoscheinwerfer, Ampeln, Straßenlaternen und Barbeleuchtungen, Alexander Horwath einmal pointillistisch genannt hat (vgl. Frieda Grafe, Filmfarben, S.54), was mir damals sofort einleuchtete, weil ja dort der Impressionismus nochmals farbanalytisch zerlegt und dabei zugleich psychisch aufgeladen wurde. Dienstag, September 28, 2004
kino hinweis
heute, dienstag 28.9.04, 21:00 ein ziemlich schöner, wenn du mich fragst: sehr schöner dokumentarfilm von jürgen böttcher im großen arsenal, berlin: IN GEORGIEN (DDR 1986) die defa-manier des dokumenarfilmmachens ist mir ja oft nicht geheuer, oft ist darin ein bizarrer umgang mit der last des abbildens eingeschrieben und die verhandlungsweise dieser last scheint mir, als nachgereichtes ethos des dokumentaristen, oft die lakonie, die ihre zugrundeliegende melancholie (wegen des wissens um den verlust der unmittelbarkeit) nur mit mühe verdeckt, um ihr später umso anschwellender raum zu geben als pathos. das sehe ich so bei den sachen von koepp, und ich kann das, dosiert, auch mögen. bei böttcher, von dem ich einiges, aber nicht alles kenne, gibt es das auch (und bei heise sowieso, da liegt der fall aber nochmal anders). der georgienfilm böttchers aber scheint mir so sehr infiziert zu sein von der überraschung des bilderverbindenkönnens, dass der film den melancholischen pessimismen der grundhaltungen des autors, die ihm stets eingeschrieben bleiben, ein schnippchen zu schlagen weiß - und der autor ist klug genug, das mit sich und dem film machen zu lassen. im georgischen, das er sieht, meint er diese grundhaltung nämlich wiederzufinden als geschichtliche (das heißt: er schreibt sie natürlich seinem objekt ein, aber wie er das macht....), erinnere ich mich jetzt, aber zugleich durch ganz andere, dem filmemacher eigentlich fremde äußerungs-/ausdrucksformen manifestiert. the same yet different. es gab vor ein paar jahren mal eine kleine böttcher-renaissance, in leipzig auf dem dok-festival sah ich damals ein paar sachen, böttcher war teilweise auch anwesend. böttcher, der damals, stolz mit verbitterung mischend, von der nun nach und nach nachtröpfelnden anerkennung, den wiedergutmachungsversuchen sprach, von der einladung beim kanzler schröder, der eines seiner bilder, die er als "strawalde" zeichnet, gekauft hatte und den kauf mit dem künstler feiern wollte. böttcher vor der leinwand, in schwarzer lederjacke, etwas selbstgerecht fand ich, die beleidigungen und verletzungen, berufsverbote und abbrüche in den knochen und der erinnerung. IN GEORGIEN sah ich dann später im babylon-mitte, berlin, noch unter diesem eindruck. mit stefan pethke im kleinen saal. und wie wir danach rausgehen, sprechen wir beide davon, wie großartig, wie lässig dieser film doch ist, der mit den mitteln von 35mm und edelkameramann (plenert) ein travelling-journal vorführt. der trotz sprüngen und auslassungen - eine ganz tolle unverhältnismäßigkeit innehat: das pathos der großen apparate, die kenntnis der literatur, der kunst, der (sozial)geschichte, die selbstdefiniton des machers als auteur maudit und dessen lust, jedes sujet mit den mitteln der lakonie zu einem fatalen zu machen... und wie all dem oder trotzdem, so die behauptung der narration (auf die ich gerne reinfalle), dieses land erscheint. ich würde den gerne heute nochmal sehen, kann aber nicht. Programmtext zur Mini-Retro der Filme von Jürgen Böttcher im Arsenal Sonntag, September 19, 2004
fernseh-hinweis
Heute Nacht, 20. September, 0:30 Uhr, NDR: ZAMANI BARAYE MASTI ASHBA - Zeit der trunkenen Pferde Regie: Bahman Gabadi, Iran 2000 (80') Winter. Eine Schmuggel- und Geldbeschaffungsgeschichte im kurdischen Berggebiet an der Grenze zwischen Irak und Iran. Pferde müssen in dieser Saukälte betrunken gemacht werden, damit sie weiterlaufen. Daher der Titel des Films. Mit den Pferden werden riesige Autoreifen in den Irak geschmuggelt Es spielen Laien, die Hauptfiguren sind Kinder, wie oft im iranischen Kino. Schmuggler. Deren Vater tritt (was man nicht sieht) bei dieser Arbeit auf eine Miene und stirbt. Die Mutter starb bei der Geburt des letzten Kindes. Am Anfang die Marktszene, in der fast nur Gesichter und Hände bei schneller und schwieriger Arbeit zu sehen sind. Es gibt ein behindertes Kind, kleinwüchsig, das braucht eine Operation. Doch sie kommen nicht an das Geld dafür. Mal arbeitet die Kamera mit statischen Tableaus, in die sehr intelligent Bewegungen der Handelnden eingebaut werden; mal eher von der Schulter, bewegt, dokumentarisch aufmerksam, in den Szenen, in denen man die Schmuggler die Berge hinaufsteigen sieht. Die Sicherheit, mit der zwischen diesen beiden zum Erkennungssignal geronnenen Kameraoptionen (Doku- und Kunstkamera) hin- und her gewechselt wird. Bemerkenswerte Auflösung der Szenen, in denen, über deren Kern hinaus, Blick-kommentare anderer Figuren eingefangen werden. Daher verschränkt sich ökonomisches (individuelles) und politisches (gemeinsames) Verlangen, nicht so weiterleben zu müssen. Das Wort "Kurde" fällt kein einziges Mal. Montag, September 13, 2004
More, More, More
Gestern: "Police" im Zeughauskino; zur Einstimmung den kleinen Text von Serge Daney, der Pialats Eigensinn mit meteorologischer Begrifflichkeit beizukommen versucht. Da der Film sans sous-titre gezeigt wird, entscheide ich mich, den schwer verständlichen Milieu-Jargon erinnernd, doch noch um und sehe stattdessen "Maîtresse" von Barbet Schroeder (Assistenz: Jean Francois Stevenin; Kamera: Nestor Almendros). Der Film beobachtet mit bemerkenswerter Gelassenheit Arbeitsalltag und Handwerk einer upper-class-Domina und behauptet nebenher beinahe interesselos eine Liebesgeschichte, die ich keine Sekunde glaube, aber trotzdem mag. Beim ersten nächtlichen Spaziergang erzählt Olivier, ein kleiner Dieb, Ariane, dass jetzt die Stunde angebrochen sei, in der in Paris die Pferde geschlachtet würden und dass er das wisse, weil er selbst in einem Schlachthof gearbeitet habe, bis zu jenem Moment, wo die Gewöhnung an die Handgriffe des Tötens diesem das Grauen zu nehmen beginnt. Da sei für ihn Schluss gewesen. Später wird Olivier den alten Arbeitsplatz aufsuchen, draußen ist es dann schon hell. Er wird zusehen; fast ein wenig naiv, aber dennoch: ein Zeuge sein. Er wird sehen, dass Mensch und Maschine perfekt harmonieren, wenn es gilt, das Tier in den Kreislauf seiner industriellen Verwertung einzuspeisen. Der Kopfschuss geht von der menschlichen Hand aus, der Kran bewerkstelligt eine kleine Transportstrecke, anschließend die Hängung. Der Film zeigt diese letale Kooperation als seltsam flüssige Bewegung, die unter den qualvollen Zuckungen des Ausblutens ihren Stillstand findet. Anschließend kauft sich Olivier im angeschlossenen Fleischladen zwei rosig-saftige Steaks, bereitet sie zu, isst sie. Nur mit Senf, zum Frühstück. Währenddessen erzählt er Ariane, dass er sich ihren Zuhälter vorgeknöpft habe. Die Nacht ist jetzt endgültig vorbei, alle Schuld ans Licht gebracht. Ich lese noch einmal Daney über "A Nos Amours": "Eine einfache Geschichte, die ihre Einfachheit nicht zur Schau stellt. Komplizierte Charaktere, die sich in ihrer Haut nicht wohl fühlen, aneinandergefesselt und doch einsam sind. Unmögliche Verbindungen, Flucht nach vorn, Schwerkraft." Auch "Maîtresse" endet mit gegenläufigen Bewegungen; mit einer Autofahrt, akrobatischem Autosex, einem Autounfall und einem beschwingten Gelächter, das in einem Wald verschwindet, der herrlich grün leuchtet. Vielleicht gibt es mehrere Arten, die Schwerkraft zu überleben, im Auge des Zyklons zu sein und zu sehen. Mâitresse (Barbet Schroeder) Frankreich 1973; mit Gérard Depardieu, Bulle Ogier, u.a. Freitag, September 10, 2004
(hundert worte) santo domingo blues
Außer der Form des Film-Musical, das Musik gleichrangig zu Bewegung, Dialog, Plot, Licht, Figur und Raum inszeniert, hat Film mir noch keine vollkommen überzeugende Form angeboten, Musik zu zeigen. Man muss aber versuchen, die Form "Musikdokumentation" anders zu beschreiben, es geht da ja um anderes als "Zeigen" - um Berichten, Dokumentieren, Ordnen, Typisieren, Schreiben. Nach 70 Minuten, kenne ich "Bachata" und dessen größten Star Luis Vargas, habe um die 40 Titel gehört, ein paar schöne Textzeilen darunter ("Mama, Mama, you gave birth to a macho") und ziemlich viele Leute gesehen, Interpreten und Zuhörer, die der Film zu Protagonisten gemacht hat. santo domingo blues regie: alex wolfe usa 2003 Freitag, September 03, 2004
White of the Eye (Donald Cammell) USA 1986
Cammell, die zweite; erschließt ein halbes Werk, das schmal ist, leider. Lange Zeit verwirrt mich der mutwillige Stil-clash - Dario Argentos dekorative Misogynie kollidiert mit Barbara Lodens ghost-town-Realismus - und ein serial-killer-Plot, dessen Pointe mal wieder die verweigerte Pointe ist. Da schnallt sich David Keith einen Pierrot-Sprengstoffgürtel um und die kleine Tochter, ohnehin die kompetenteste Sprecherposition des Films, behält den Überblick: "Daddy is wearing a bunch of hot dogs". Auch in anderen spielerischen Formen geht es um amerikanische Mythologie und deren Umschriften, was spaßig ist, aber nicht mehr so recht funktioniert, als daraus postkolonialistisch informierter Mehrwert destilliert werden soll. Die Schizophrenie des Killers als psychodynamische Wiederkehr eines durch hegemonial-popkulturelle Erzählungen - "I believe in miracles / Where you from / You sexy thing" - verdrängten Genozids. Fucking Psycho, natürlich mit einem Faible für ausgestopfte Tiere. In Peter Weirs "The Last Wave" ein ähnliches Problem gehabt, mit dem Symbolhaushalt des "Ureinwohners", der immer aus der Natur heraus erzählt wird, als ganz Anderer, ohne Aussicht auf politischen Subjektstatus. Im Finale allerdings findet und inszeniert Cammell plötzlich einen kinematografischen Raum, in Tucson/Arizona, der so viel klüger ist, als die ausagierte Sozialpathologie: Fort Alamo als steinerne Ruine der ersten Industrialisierungs-Phase; Fels geworden, Geschichte gespeichert, Natur geblieben. Ich frage mich, warum ich erst so spät begreife, dass Friedkins "The Hunted" ein Echo sein muss. Samstag, August 28, 2004
I
Seit Tagen will ich das Bild des Plakats für den Vincent Gallo Film am kalifornischen Boulevard in das Weblog hineinsetzen, weiss aber nicht, wie ich es anstellen soll, womit es begründen. Seit Tagen gibt es ständig neue Nachrichten im Filmfilter über den Film, Interviews mit dem Regisseur, Besprechungen, Kolportagen, aber ich schaffe es noch nicht mal, das Bild des Plakats in das Weblog hinein zu setzen. II In den Film "Nous Sommes Tous Encore Ici" mit Godard und von Anne Marie Miéville konnte ich Dienstag nicht gehen, ich hatte eine Verabredung. In dem Film läuft Godard die ganze Zeit mit einer Pudelmütze herum, bei der Pressekonferenz vor Jahren hatte man ihm das vorgeworfen. Ich hätte den Film wirklich gerne gesehen, aber er läuft ja nochmal. Am Sonntag, im Arsenal am Potsdamer Platz. III Letzte Woche Montag war ich mit Volker, Stefan und Ludger am Potsdamer Platz. Eine österreichische Literaturzeitschrift hatte ein Filmgespräch in Auftrag gegeben und wir produzierten einen "Tag im Cinemaxx". Letzte Woche Montag war es noch warm, gestern hat es geregnet, heute ist es kalt. Wir sahen 4 Filme, "Liebe Mich, Wenn Du Dich Traust", "Bekenntnisse Einer Highschool Diva", "Die Frauen von Stepford" und "Ladykillers", bis halb 3 in der Nacht saßen wir am Potsdamer Platz und produzierten Text. Inzwischen glaube ich nicht mehr, dass man einzig aus dem Gesprochenen heraus lesenswert Neues produzieren kann. Das Schöne sind die Aufgaben, die einen legitimieren nachmittags in Foyers von Luxushotels zu sitzen und Tee zu trinken. Foyers von Luxushotels sind oft schön. IV Ich versuchte mir eine Aufgabe auszudenken für die Zeit nach der Ausstellung. Ludger hatte das laptop zurückgefordert, es war aber abgestürzt und ich meinte, kein Geld zu haben für die Reparatur, aber jetzt mußte das laptop repariert werden. Martin kam am Freitagnachmittag vorbei, hier sah es aus wie Sau. Ich machte Kaffee und zog mir eine Hose an, wir setzten uns auf den Balkon. Auch Freitag war es noch warm. Wespen flogen und wir gingen zurück in die Wohnung. Martin pustet über die Tastatur, alles ist voller Asche, Martin lacht den Computer aus. Auf dem Schreibtisch liegt alles herum, weil es nicht aufgeräumt ist. Man kann auch nicht einfach durch das Arbeitszimmer gehen, weil der Fernseher in der Mitte steht und die Kabel den Weg versperren. Wir sprechen über die Rechtschreibreform und ihre Kritiker, ich berichte von den neuen Schülern im Nachhilfeinstitut. Institut Benjamenta. V Martin begleitet mich zur U-Bahn, Bülowstraße. Nachdem ich den Computer zur Reparatur in die Kastanienallee gebracht habe, schelle ich bei Julia. Julia muss sich eine Hose anziehen. Die Wohnung riecht nach Kohlsuppe, sie gibt mir einen Teller davon, raucht und erzählt von Moondog, Bonnie "Prince" Billy und der Musik, generell. Vielleicht sehen wir uns am Abend, da wird der Palast der Republik eröffnet. Ein paar Meter weit gehe ich unentschlossen die Kastanienallee hinunter, dann halte ich. Viele Leute tragen T-Shirts, es sieht nicht so aus, als würde das warme Wetter jemals aufhören. Ich gehe zur U-Bahn und fahre zum Potsdamer Platz. Im Arsenal läuft One Way Passage von Tay Garnett. Der Film ist ein Wunder an Schönheit. Ich sitze neben Ekkehard, neben Ekkehard sitzt Volker. Ich sitze im Kino und sehe "One Way Passage" von Tay Garnett und staune vom ersten bis zum letzten Bild. VI Die Transkriptionen für die Sendung über britsche Rockmusik in den späten 60er Jahren sind noch nicht fertig, Samstag und Sonntag halte ich mich ran. Jeff Beck von den Yardbirds sagt, er könne immer noch nicht verstehen, weshalb alle Antonioni so gut finden. Damals in den 60ern hat Jeff Beck bei dem Film "Blow Up" mitgewirkt, damals schon fanden alle Antonioni gut. Jeff Beck sagt: "He was just pompous." Sonntag mache ich die Transkriptionen fertig, am lustigsten sind die Passagen mit Michael Caine. VII Samstag und Sonntag schaue ich im Arsenal die Anne Marie Miéville Filme "Mon Cher Sujet" und "Àpres La Reconciliation". Am Samstag bin ich empört über "Mon Cher Sujet", dabei sagt Volker, dass sei endlich mal wieder ein Film, in dem man atmen könne. Das finde ich aber nicht, der Ton des Films ist so furchtbar. Angela mag den Film aber auch und Momo sagt, ich solle mir Sonntag "Après La Reconciliation" anschauen. Das ist ein ganz großartiger Film. Anne Marie Miéville steht in der Küche und erinnert das Gefühl der Liebe. Es ist gewesen, wie eine Probe, als stimme man seine Körper dafür, dass einmal das wunderschönste Stück mit ihnen gespielt werde. VIII Ich sitze am Schreibtisch und versuche wieder hineinzukommen ins Schreiben, aber nichts passt. Ich schaue in Weblogs, aber keines mag ich jetzt gerne lesen. Ich kaufe auf dem Flohmarkt für 1,50 Saussures Grundlagen der Allgemeinen Sprachwissenschaft, aber als Martin das Buch sieht, schüttelt er mit dem Kopf. Ich kaufe zwei Bücher von Michael Ondaatje im Antiquariat. Von der Straße aus sehe ich den Antiquar im Dunkeln stehen. Er trinkt. Im Laden spricht er mißgelaunt von den Leuten, die nichts kaufen, aber alles anfassen. Frauen sind die Schlimmsten, sagt er. Ich sitze am Schreibtisch und höre "Venice" von fennesz. Das ist schöne Musik. IX Steffi, Volker, Simon, Stefan, Ekkehard und ich gucken den Film "Wild Side" von Donald Cammell bei Michel in Lichtenberg. Am nächsten Morgen steht schon ein Text von Ekkehard darüber im Weblog. Ich beschließe, das Bild der Plakatwand in das Weblog hinein zu setzen. Freitag, August 27, 2004
Cammell - Wild Side (100 Worte)
Am Ende des Films kann ich mich nicht entscheiden, ob ich ihn mochte oder nicht. Die Überfülle an Überdrehtheiten fügt sich zu dem Mangel an klarer Motivation der Erzählung. Überraschendstes Element für mich bleibt auch zwei Tage danach immer noch die Liebesgeschichte zwischen den weiblichen Protagonisten: der Ehefrau Brunos und seiner Lieblingsprostituierten. Stoff für einen weiteren pathologischen Auswuchs mit Bruno als seinem Zentrum. Tatsächlich jedoch: die wahre Liebe im naturalistischen Gewand gefilmt, durchgehalten bis zum Schluss. Für M. der Tod einer jeden Erzählung, für mich ein bisschen von beidem: Erzählungskiller und Überraschungsstifter - der erwartete Twist, die nächste Intrige bleibt aus. (Stefanie Schlüter) Cammell - Wild Side (100 Worte)
Doch wieder kurz an Fred Jameson und die "new representational situation" gedacht. Dass es Cammell in seinem Abschiedsgruß an die Produktionsökonomie 'des Systems' um spätkapitalistische Dereferentialisierung geht, wäre zuviel gesagt. Nur weil sich die Hochfinanz exaltiert und ein wenig geerdetes Verhältnis zu den eigenen Kapitalressourcen kultiviert. Andererseits: cash- und lovestreams werden so penetrant enggeführt, bis sich dieses immer wieder eingeschnittene Geldbündel-Bild noch einen Dreh weiter aus allen erzählerischen Sinnzusammenhängen verabschiedet. Zeigt nicht mal mehr Fetisch oder Tauschökonomie an. Auf der Montage-Ebene geht es aber eine heimliche Allianz mit dem ziellosen Privatjet ein: I'm a frequent flyer, I'm a notorious liar.
Cammell - Wild Side (100 Worte)
In dem Film gibt es zwei Ökonomien: die neue, unsichtbare besteht darin, Zahlen in Telefonhörer zu sprechen, eine Visitenkarte über den Schreibtisch zu reichen, eine Diskette von Hand zu Hand gehen zu lassen. Diese Ökonomie bleibt, auch wenn alles auf sie hinorientiert ist, seltsam blass: Kommunikation. Die alte, eine Reminiszenz an B-Movies und Noir, ist die der Banknoten und Geldbündel. Es ist wichtig, die Scheine anzufassen, denn offenbar lassen sich Körper mit ihnen kaufen, vergewaltigen, tauschen. Der Film zeigt zwei Möglichkeiten, diesen Ökonomien zu entgehen: Lesbisch zu werden oder nach Mexiko auszuwandern. Wer auf Nummer sicher gehen will, tut beides.
cammell: wild side (100 worte)
Nach ein paar Minuten schon gemerkt, dass der es nun auch nicht ist. Fataler Defekt, ständig Kinoevolution beobachten zu wollen. Im TV hätte ich den beim Raufundrunterzappen nur für sekundenbruchteile gestreift, viermal vielleicht, und wäre nicht mal irritiert gewesen davon. Umso unverstehbarer, dass, wie die Legende geht, Cammell sich wegen der Wegnahme des final cut dieses Films umbringt. Bewunderung aber für die anderen vorm Bildschirm. S, S und S, E, V und M, die beim Betrachten andere Fragen entwickeln können. Christopher Walken als Bruno, Tony erniedrigend. Dessen Calvin Klein Unterhose zerreissend. "Bend over. Bend over. Bend...over. Bendover. Ben Dover." wild side regie: donald cammell usa 1995/2000
Cammell: Wild Side (100 Wörter) Du hast mich um 100 Dollar betrogen, sagt Alex zu Bruno. Das ist mein Kick, sagt er, und erstattet ihr 200 Dollar zurück. Tony gibt Alex 500 Dollar und vergewaltigt sie. Virginia, Brunos Frau, eröffnet in Brunos Auftrag bei Alex' Bank ein Konto für ihre Schuhproduktion in Höhe von 375.000 Dollar. Brunos Coup, geplant für 12 Uhr des nächsten Tages, soll 179.000.000 Dollar bringen, danach kann sich Mr. 13 Prozent zur Ruhe setzen. Was dazwischenkommt: die Liebe, Christopher Walkens overacting (Verausgabungsökonomie), eine rote Blende, eine blaue. Worauf es hinausläuft: die Dritte Welt, die Sonne, Erlösung, a buck is a buck.
Samstag, August 21, 2004
TV-Hinweis:
Heute nacht (Samstag auf Sonntag), 00.30 Uhr, arte: 13 Lakes, USA 2004, Regie: James Benning "Die Idee des Films ist ganz einfach. Es geht darum, auf die Seen zu blicken, auf den Himmel und wie das Licht vom Wasser reflektiert wird - und das an dreizehn verschiedenen Orten in den Vereinigten Staaten. Es ist im Grunde eine ästhetische Studie des Lichts - wie es auf das Wasser trifft und wie es sich bewegt. Die Einstellungen werden länger sein - ich denke sieben bis acht Minuten, damit man Zeit hat, über das Licht nachzudenken. Und weil die dreizehn Seen sehr verschieden sind, möchte ich sie so filmen, dass man das Licht auf dem Wasser vergleichen kann. Aber ich möchte auch, dass das Bild ausdrückt, was an diesem See besonders ist. Und das ist der schwierige Teil." (James Benning im Interview mit Reinhard Wulf, Auszug aus dem Dokumentarfilm "James Benning - Circling the Image"). Bei der Berlinale 2002 hat Anna Faroqhi ein Gespräch mit Benning über die "California Trilogy" geführt, ein Text zu seinem Film "Landscape Suicide" ist hier zu lesen. Auf Bennings eigener Seite kann man die Texte von acht Filmen (in Buchform erschienen unter dem Titel "Fifty years to Life. Texts from Eight Films by James Benning", Madison, Wisconsin: Two Pants Press, 2000) herunterladen. Donnerstag, August 19, 2004
Teil zwei des laufenden Sammlungsprojekts im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereichs "When film buffs become Busunternehmer". Gesichtet am vergangenen Sonntag vor dem Grand Hotel Esplanade am Berliner Landwehrkanal.
Ich sah - déformation professionelle - zunächst gar nicht den einer solchen Firma eher abträglichen Namen, sondern gleich die notdürftig getarnte filmgeschichtliche Referenz. Samstag, August 07, 2004
Kino -
Kino - Kino - Das Kino. Kino. Take me to the Kino again. Das Kino, Kino. Take me to the Kino again. Das Kino, Kino. Take me to the Kino again - it's easy! Das Kino. Kino. Take me to the Kino again. It's easy: ask me. Take me to the Kino again. (Life without Buildings - Daylighting) Mittwoch, August 04, 2004
Die 53. Minute: California Split (Robert Altman, 1974)
Bill hat Spielschulden und also spielt er noch mehr. Sein Freund Charlie ist nicht aufzufinden, es geht jetzt auch nicht um den Spaß am Zocken, sondern das Geld muss her. Alleine schließt sich Bill einer Pokerrunde an - und verliert. Während wir die beiden vorher während des Spiels gesehen haben, solange sie gewonnen haben nämlich, springt der Film an dieser Stelle von dem Moment, an dem Bill am Pokertisch Platz nimmt, sofort zum nächsten Morgen: Übernächtigt tritt er auf die Straße, die tröstenden Worte seines Gastgebers, dass er beim nächsten Mal dann der Gewinner sein wird, nimmt er kaum noch wahr. Lässt sich Gewinnen im Film einfach besser zeigen als Verlieren? Oder ist Gewinnen immer der Prozess selbst, während die Bedeutung des Verlierens erst anhand der Folgen deutlich wird? Am Ende des Films dann verschwimmen die Kategorien von Sieg oder Niederlage: Wieder vereint, gewinnen Bill und Charlie eine ungeheure Summe, aber sie gehen fortan getrennte Wege. Was wurde eigentlich aus Elliott Gould? Was wurde eigentlich aus George Segal? Wie konnte es kommen, dass zwei Schauspieler, die Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre in einigen der interessantesten amerikanischen Filmen jener Zeit zu sehen waren, so völlig in zweitklassigen Video- und TV-Produktionen verloren gingen? Und: war Elliott Gould nun eine bewusste Antwort auf den jungen Belmondo, oder war das einfach eine dieser Ähnlichkeiten, wie sie immer wieder einmal, Kontinente und Kulturen übergreifend, vorkommen? Immerhin hat ja auch Belmondo nach einem so glänzenden Karriereauftakt bei Godard den Großteil seines Schauspielerlebens dann mit leichtgewichtigen bis dumpfen Rollen verbracht. Und was in diesem Zusammenhang auf jeden Fall auch noch zu fragen ist: Was wurde eigentlich aus Alan Arkin? Freitag, Juli 30, 2004
abouna, 146 wörter
Einmal versuchen die Brüder, aus der Koranschule zu entkommen. Sie brechen frühmorgens auf und laufen quer durch die Steppe. Als der jüngere in einen Dorn tritt, ist der Ausbruchversuch vorbei. Weil es in dem Film vieles zweimal gibt - einmal in der Stadt, dann in der Abgeschiedenheit -, wird auch die Flucht wiederholt. Aber jetzt ist der Fliehende schon kein älterer Bruder mehr, sondern ein jüngerer Erwachsener. Das taubstumme Mädchen folgt heimlich, sie ersetzt den Gestorbenen, dessen Tod ein Schock war. S ist misstrauisch gegenüber der Reibungslosigkeit der Abläufe: Medizin. Psychiatrie, wie das einfach so da ist, vielleicht eher als französischer Blick denn als afrikanische Wirklichkeit. MF wirft, sehr zur Freude von MB, den Begriff 'flüssige Statik' für die Kameraarbeit in die Runde. Unter Bauarbeitern, erklärt er, sei das ein Ausdruck dafür, wenn man den Mörtel nur noch schnell hinknallt (was hier aber gar nicht zutrifft). abouna, dt.: der vater tschad/frankreich 2002 regie: mahamat-saleh haroun
abouna, 146 wörter
Gestalten im Dunkeln, Müdigkeit. Dass in Filmen Dunkelheitsszenen sind, damit die Augen der Figuren ausdrücklicher handeln können. Es gibt diesen Spruch, "Neger frisst zwei Blenden", meint S, und H, der Kameramann ist, widerspricht: man müsse sich halt ein bißchen mehr anstrengen, aber das mit den zwei Blenden sei Quatsch. Zur Postkolonialität des Films, zum Mangel an Realismus: wie aufgeräumt die Koranschule ist, wie sauber der Motorroller des Onkels, sauber dessen Gitarre, sauber das orange Hemd Amins. Amin trägt das orange Hemd während des ganzen Films, es leuchtet nicht nur in der Nacht. Des taubstummen Mädchens goldene Kleider. M meint, ihn habe das gelangweilt nach einer Weile, wie in dem Film ab dessen Mitte keine Gegenkräfte und -wünsche die Erzählung an ihrem Abspulen hindern. Einerseits. Andererseits, meint H, dass das dessen Märchenhaftigkeit gut charakterisiere. Die Beerdigung Amins. Was ist glückendes coming of age? Das Sterben des Kindes. abouna, dt.: der vater tschad/frankreich 2002 regie: mahamat-saleh haroun Donnerstag, Juli 29, 2004
Zeitschriften-Hinweis
"Er fand es immer schwierig, sich so machtlos beim Aufhören der Bilder zu fühlen, wenn die Verbindung gerissen war, die darüber täuschte, wo das Bild entstand und dass er es nicht selbst projiziert hatte. Plötzlich wieder so ohnmächtig zu sein oder es eben zu wissen, machte nüchtern. Oder wenn es sich verzögerte, taumelte er nach draußen, mal sich verwechselnd und glänzend, mal verzichtend." (Aus "Sitzenbleiben" von Bettina Klix) shomingeki Filmzeitschrift, Nr. 15, Frühling/Sommer 2004 Inhaltsverzeichnis * Hiroshi Shimizu - der Poet japanischer Landschaften (Rüdiger Tomczak) * 'Wie die Dinge sind' - Yasujiro Ozus Zustandskino (Johannes Beringer) * Nur ein Bild von Japan - Japanische Filme auf dem Weltfilmfestival von Montréal (Claude R. Blouin) * Ich hätte auch gern einen Körper gehabt (Bettina Klix) * The General. Zu Bob Dylan (Stefan Flach) * Une Visite au Louvre/Ein Besuch im Louvre (Johannes Beringer) * Zu Olivier Assayas: Fin août, début septembre (Bettina Klix) * Politique des acteurs (Andreas van Düren) * Godard. Liebe, Arbeit, Kino (Bettina Klix) * Aufzeichnungen zur Berlinale 2004 (Rüdiger Tomczak) * Retrospective: Films of Ingo Kratisch and Jutta Sartory (Daniel Eisenberg) * 'Kontinuum' von Bärbel Freund (Ulrike Pfeiffer) * 'Zwischen Gebäuden' von Thomas Schultz (Johannes Beringer) * Joel Agee - eine amerikanische Jugend in der DDR von Barbara Kasper und Lothar Schuster (J. Beringer) * Es ist noch nicht Tag, es ist nicht mehr Nacht (Stefan Flach) * Drei Filme aus Quebec (Rüdiger Tomczak) * Sitzenbleiben (Bettina Klix) Une visite au Louvre von Johannes Beringer ist auch auf unserer Langtextseite (im Rahmen des umfangreichen Straub/Huillet-Dossiers von Klaus Volkmer) zu lesen, der Rest der Texte im Heft. Bezugsadressen entweder hier, oder via e-mail. Samstag, Juli 24, 2004
"Damit Sie sich mal kräftig über einen dieser Filmheinis ärgern können... Kursiv-Lektüre genügt! W. Donner"
[in regelmäßigen Lettern auf einem Kärtchen mit dem Aufdruck "Internationale Filmfestspiele. Mit besten Empfehlungen". In einem Buch, offenbar von dem damaligen Leiter der Berlinale an jemanden mit dem Kürzel "Go" verschenkt: Syberbergs Filmbuch - Filmästhetik - 10 Jahre Filmalltag - Meine Trauerarbeit für Bayreuth - Wörterbuch des deutschen Filmkritikers, Nymphenburger München 1976, mit 132 Fotos, 314 S., Einband mit kleinen Läsuren am oberen Rand, sonst sehr gutes Exemplar] Freitag, Juli 23, 2004
MORE - Barbet Schroeder (in 100 Worten)
Stefan, ein Herumtreiber, lernt in Paris die Amerikanerin Estelle kennen. Sie schlafen miteinander. Der junge Deutsche raucht mit ihr zum ersten Mal Gras. Stefan folgt Estelle nach Ibiza. Sie wohnt bei einem alternden Lebemann, der sie mit Heroin versorgt. Stefan überredet die Amerikanerin, sich von diesem Mann zu lösen. Beide ziehen in ein abgelegenes Haus. Estelle nimmt weiter Heroin. Sie überzeugt Stefan, es auch einmal zu probieren. Schnell sind beide stark abhängig. Entzugsversuche schlagen fehl. Nach endlosen Streitereien wegen Drogen verläßt Estelle Stefan. Auf sich allein gestellt verliert er völlig den Boden unter den Füßen und stirbt an einer Überdosis. (Michel Freerix) Donnerstag, Juli 22, 2004
Sunburnt
[more on MORE] Heroin heisst hier die Sonne, um die sich alles dreht, und man müsste darüber nachdenken, was das heißt, 1969. Der Film jedenfalls setzt den Stoff als das einerseits zentrale, andererseits völlig entleerte Signifikat ein, das den Spaß ebenso verbrennt wie die Liebe und die Politik. An einer Stelle wird die Droge zum Herzstück einer utopielosen Gegenideologie gemacht und der Film ist überzeugend in der Überzeugungslosigkeit, mit der das verkündet wird: Die Heroin nehmen, wollen vor der Welt fliehen, sagt die Süchtige lakonisch, während die Hippies die Welt verstärken wollen mit ihrem Dope. Zwei Welten seien das, die nichts miteinander zu tun hätten. Dann nimmt sie noch einen Zug aus der Wasserpfeife und setzt sich noch einen Schuss. Einmal, viel früher, gibt es bei einer Party eine Ratte auf einer Schulter zu sehen, da ist der Film plötzlich Jahre weit voraus bei ganz anderen Insignien einer ganz anderen Popkultur, deren Lust an der (Selbst)Zerstörung er vorwegnimmt, ohne daraus irgendwas blöd-Prophetisches ableiten zu wollen. Die beiden jugendlich-bedrückten, seltsam leer wirkenden Protagonisten, "Stefan" aus Lübeck und "Estelle" aus New York stranden, nachdem die Paris-Erzählung, als die der Film begonnen hatte, plötzlich überraschend abgebrochen ist, auf Ibiza und hängen über kurz oder lang beide an der Nadel. Ein Nazi kontrolliert die Insel, Wolf heißt er und wirft im Kreise seiner zahlreichen Freunde Messer, in deren Klinge das Hakenkreuz noch eingeritzt ist. Er wird ganz sentimental dabei. Wir sind ziemlich unvermittelt auf eine politische Spur gesetzt. Da ist noch jemand hinter Wolf her, der ist ganz nach Karikaturen des "Jüdischen" aus dem neunzehnten Jahrhundert modelliert und man denkt schon: gleich lässt er ihn hochgehen, aber das Stereotyp war eine Finte, und gegen das Heroin muss auch die moralische Entrüstung einpacken. Der Film erzählt von der Entleerung der Zeichen, die ein Jahr vorher noch alles bedeutet haben mögen. Politik und Liebe sind hier nur noch als ausgestanzte Hohlformen zu sehen, Spurenelemente. Eines von vielen Bildern dafür ist, dass die freie Liebe zu dritt hier hinter dem feinmaschigen Gitter eines Mosquito-Netzes statt findet. MORE wirkt wie Zabrisikie Point minus Politik. In beiden Filmen gibt es Musik von Pink Floyd zu hören. Eine Wüste - eine Insel. Reisen und Stranden. Anders als bei Antonioni richtet sich in Schroeders Film aber alle Aggression nach innen und lässt keine hochmodernen Ingenieurshäuser gaaaannnnz laaaanngsam, Vorsicht mit der Axt, Eugène, gezeitlupt in der Wüste explodieren. Stattdessen: Ein ganz unspektakuläres, etwas hohles Geräusch am Schluß, als ein Sarg unten im Grab aufschlägt und die Kamera schamvoll nach oben schwenkt, in die Sonne. (Volker Pantenburg)
MORE, ein Film von 1969, zum ersten Mal gesehen am 15.7.2004.
Ich wusste nur: der Score stammt von Pink Floyd und das Cover der Soundtrack-LP, zu meinen Teenager-Tagen in jeder zweiten Plattensammlung zu finden, zierte eine mediterran aussehende klapprige Windmühle. Vier Überraschungen: I Der Score beutet keinen Pop-Ruhm aus. Er ist sparsam eingesetzt und distanziert, als wäre ein Ethnologe auf der Suche nach zeittypischen Geräuschen fündig geworden. II Der Vorspann weist Nestor Almendros als Kameramann aus. Mit der Filmgeschichte im Rücken lässt sich sagen: Almendros ist der Star im Ensemble. Der Kubaner hat einige der besten Filme der französischen Nouvelle Vague fotografiert, später auch in Hollywood gearbeitet - und in seiner "Werk-Autobiographie" Barbet Schroeder als einen seiner Lieblingsregisseure bezeichnet, weil dieser Kino wirklich als Teamarbeit auffasse. III Keine Spur von hippieskem Geschnörkel, Gewabere oder sonstigem ästhetischen Geraune. Die Erzählung von MORE geht sehr geradlinig und gleichzeitig mit erstaunlichen Ellipsen vor. Sie beginnt auf einer Autobahn-Landschaft im nass-grauen Mittel-Europa und landet gleich in einem Sommer-Paris. Nur kurze Zeit später springt sie mit der Leichtigkeit eines Kinderspiels und der Kühnheit eines Manifests im 24stel einer Sekunde ins nachsaisonale Ibiza. Bunt und kalt defilieren Zeichen einer Realität vorüber, verwandeln sich für einen kurzen Moment in böse Orakel, bevor sie wieder behaupten, nichts weiter als die banale Abbildung von Gegenständen und Vorgängen zu bedeuten: ein Tramper im Regen, die Tätowierung eines Lkw-Fahrers, eine Pokerpartie, der Beginn einer Männerfreundschaft (möglicherweise), der nächtliche Einbruch in einem Luxusappartement, eine Party in einer kleinen Wohnung (Alkohol), die geheimnisvolle Blonde; Hasch, Sex, ein Schiff; verschwiegene Hotel-Rezeptionisten, ein Alt-Nazi, dessen SS-Dolch und seine ungeklärte Beziehung zu der jungen Frau; deren Freundin; eine ausschweifende Party in einer Villa (ganz viel Hasch, Percussion und Sex); entwendetes Heroin, ein einsam gelegenes Haus; eine Felsküste mit wogender Brandung; Sonnenaufgänge; ein Sterben im schwarzen Tunnel Richtung Meer. Gesten des Dokumentarfilms unterstützen die große Lakonie. Vage Motive, undeutliche Antriebskräfte, rudimentäre, nichts erklärende Herkünfte - regredierende Agonie zweier verzogener Gören, die alt genug sind, um Sex und vor allem Drogen als zentrale Vorrichtungen ihrer Existenz durchsetzen zu können. Die beiden Hauptfiguren produzieren nichts. Sie werden in ihrer Süchtigen-Wesentlichkeit immer leerer. Das klagt der Film nicht an. Er registriert es präzise und führt es in unsentimentaler Weise auf. Seine zentrale Bild- und Verbal-Metapher ist das Verbrennen. Verbrennen ist die etymologische Grundlage von Konsum. IV Ich habe Barbet Schroeder immer für einen frankophilen Amerikaner gehalten. Wir sprechen über den Film und es stellt sich heraus: Schroeder ist Deutscher (wie der männliche Protagonist von MORE). Ab jetzt wundert es mich, dass eine Figur mit derartigem Parcours in der deutschsprachigen Cinephilie nicht präsenter ist. (Stefan Pethke) Dienstag, Juli 13, 2004
Neulich stehe ich mit dem Rad unter der Hochbahn am Schlesischen Tor. Ich möchte unversehrt in die Oppelner einbiegen, also warte ich den durchrollenden Berufsverkehr auf der Skalitzer ab - eine Standardsituation. Routiniert schweifen die Gedanken ab, als etwas Größeres mich im mentalen Augenwinkel erwischt und Aufmerksamkeit fordert: ein schwarz-roter Reisebus schiebt sich vorbei. Ein pseudo-origineller Firmen-Name, so weit, so gewöhnlich.
Wertvolle Sekunden verstreichen. Plötzlich zuckt ein kleiner Blitz auf: Was für ein hübscher Alltagssurrealimus, zugeschnitten auf Cinephilie mit Kenntnissen über frühen Experimentalfilm! Doch bevor ich die Hand an den Fotoapparat kriege, ist es schon zu spät: Ampel auf grün, Bus biegt um Ecke, gleitet aus Gesichtsfeld. Als Entschädigung müssen wir uns jetzt alle mit diesem Fundstück aus dem Netz begnügen: (Stefan Pethke) Donnerstag, Juli 08, 2004
Am Samstag, 10.7., 19.00 Uhr werden im Filmkunsthaus Babylon die beiden Cézanne-Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, "Une visite au Louvre" (2004) und "Paul Cézanne im Gespraech mit Joachim Gasquet" (1989) gezeigt. Zu diesem Anlaß hat Klaus Volkmer eine umfangreiche Materialsammlung zusammengestellt, die Texte von Danièle Huillet, Stefan Hayn, Ingo Hohnhold, Jean-Charles Fitoussi, Jean Louis Schefer, Klaus Kanzog und eine Montage von Äußerungen Straubs bei verschiedenen Pariser Vorführungen von "Une Visite au Louvre" versammelt. Zudem: Ein Text von Johannes Beringer, der die Filme auch im Babylon vorstellen wird, und unter dem Titel "Kassiber aus der idealen Stadt" Auszüge aus einer Radiosendung mit Jean Rouch, in der er über die Filme von Straub / Huillet spricht. Dank an Klaus Volkmer! Samstag, Juni 26, 2004
L'enfant secret de la modernité
Morgen geht in der "Cinémathèque francaise", Paris, eine umfangreiche Retrospektive mit Filmen Philippe Garrels zu Ende: Bis auf die Fernseharbeiten wurde dort so gut wie alles gezeigt, viele Filme der 70er Jahre in frisch restaurierten Fassungen. Von den Schwierigkeiten, den Zerfallsprozeß dieser Filme zu stoppen und der traurigen Ironie, dass es oft leichter ist, einen Film aus den 20ern in einer vernünftigen Kopie aufzutreiben als einen, der dreissig Jahre alt ist, spricht Garrel in einem zweiteiligen Gespräch (Teil 1/ Teil 2). Über Sylvina Boissonnas, die ab 1968 viele Filme der "Groupe Zanzibar" finanzierte, findet sich dort der schöne Satz: "C'était une fille de bonne famille qui, après mai 1968, s'est dit : 'Mes parents ont tort et les artistes de ma génération ont raison'." Begleitend zur Retrospektive ist auch ein Interview" ("On oubliera Chirac, pas Godard") in "Libération" erschienen: "En 1968, pendant dix minutes, pas plus, on s'est foutu du cinéma, de la caméra... On s'est dit, un temps : cette autre vie est plus importante que sauvegarder le cinéma. Mais non." Freitag, Juni 25, 2004
TV-Tipp: "Wolfsburg", arte, 20.45h Mittwoch, Juni 16, 2004
Absichtserklärung
Bald, demnächst, irgendwann (wenn der Kopf freier ist und die Augen offener als jetzt), vielleicht nie, möchte ich etwas über dieses Bild schreiben und über den Film, aus dem es kommt: Vorher wäre herauszufinden, was genau mich daran anspricht. Es wird mit der Art und Weise zu tun haben, wie der Mann hier an einem Tisch sitzt und schreibt. Ein Brief entsteht, seine Hand bewegt sich erst flüssig, dann zögerlich, die Zeilen werden von einem kurzen Innehalten und Zur-Seite-blicken unterbrochen. Ein Augenblick der Sammlung, dann wieder Sätze. Aus dem Text, den er schreibt, genauer: aus der Schrift (wird man später erfahren), versucht der potentielle Arbeitgeber, an den sich sein Schreiben richtet, den Menschen herauszulesen. Er will das, was hier als Erzählung ins Bild gebracht ist, zurückübersetzen, als könne aus der Art der Linienführung, dem Druck, mit dem der Stift auf das Papier aufsetzt, der Enge oder Weite der Bögen, das Abbild vom Menschen rekonstruiert werden. So klar dieses Bild erscheint und so einfach, habe ich doch den Eindruck, dass darin mehr steckt, dass es eine Diagnose enthält und man in ihm das Interesse eines Forschers erkennen kann. Aber was wird untersucht, auf wen bezieht sich die Diagnose? Arbeitsverhältnisse an der Schwelle zwischen den Siebziger und den Achtziger Jahren, damals, als man ein Bewerbungsschreiben noch mit der Hand verfasste? Verzweifeltes Ineinanderdenken von Existenz und Schrift, wie es im Jahrzehnt nach 68 Konjunktur hatte (wie man nachlesen kann)? In diesem Bild etwas auszumachen, das auch schon den selbstgewählten Tod des Regisseurs ahnen lässt, der es ausgedacht und inszeniert hat, würde zu weit gehen. Trotzdem ist es für mich ein melancholisches Bild. Dienstag, Juni 01, 2004
Typo
Vor ein paar Tagen, beim Schnelltippversuch, hier zu landen, stattdessen hier gelandet. One letter less that makes all the difference. Fast gleiche Adresse, deutlich andere Bewohner. Welcher Glauben da wohin umgelenkt werden soll. Grabtuch und Leinwand. Ans Kino glauben. Meine Lieblingskategorie: "Spiritual Warfare". "Unsaved look like saved" und "Voice of Satan" klingen allerdings auch nicht schlecht. Zutiefst unklar, was das ganze mit Filmkritik zu tun haben könnte; der einzige Satz, den ich bislang in der Richtung ausfindig machen konnte: "Since it has been said that a picture is worth a thousand words, perhaps the best way to reflect a portion of the ministry is through pictures. See Ministry photos." Samstag, Mai 29, 2004
"I will tell them ce soir. Fuck'm!" (Helmut Berger 60)
Mittwoch, Mai 26, 2004
de la maison jump-cut
* newsblog * filmfilter * nichts als film sowie * cinema * licht * schrift/bild * schaufenster * still moving pictures
Rainer Knepperges schenkt uns einen Tipp:
Werkschau Louis de Funes - im Filmclub 813 in Köln Zu entdecken: Gesicht und Körper eines Mannes, der in komplexester wie dümmster Situation stets ein - und zwar genau ein einziges - Gefühl ausdrückt, in unnatürlich kurzem Abstand aber dann das nächste, ganz andere, ebenso scharf akzentuiert. Und zwischen den Attacken seines pur artifiziellen Spiels - das Wunderbarste: die Pausen, um deren Bedeutung er weiß, und die er deshalb mit reiner Leere füllt. Informationen unter Filmclub813.de Dienstag, Mai 18, 2004
Nadelöhr Film
"Möglicherweise nämlich ist der Kinofilm die einzige gesellschaftliche Technologie, die es erlaubt, 100 Millionen Dollar, einen äußerst laborierten Maschinenpark und die arbeitsteilige Aktivität mehrer tausend Beteiligter in einem einzigen Text von 90 Minuten Länge zu komprimieren; einem Text, der auf dieser Basis so attraktiv ist, dass er ein Massenpublikum anzieht, das ihn refinanziert. Der Film selbst ist, so betrachtet, das Nadelöhr, durch das die gesamte Anstrengung hindurch muss; die genannten Ressourcen werden im Produkt kondensiert, um sich dann - technisch reproduziert - an die Massen zu verteilen." (Hartmut Winkler: Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien, Frankfurt / Main: Suhrkamp 2004, S. 35) Mittwoch, Mai 12, 2004
stimmung
mein hysterisches desinteresse am kino verwirrt mich tag um tag mehr wenn ich noch dran denke - meist aber denke ich schon gar nicht mehr dran. i forgot to remember to remember. einer anfrage aus wien, c/o berlin, gestern abend verdanke ich ein wiederdrandenken. und leute tauchen auf in meinem kopf, die das kino beerdigten für sich und nur noch gutes über es sagten fürderhin, denn widerspenstiges dem vergangenen nachzurufen tut man nicht. selbst in den eigenen vier wänden und hinterstübchen. and i guess i have to admit that i'm on my way to become one of them in bielefeld dem leiter des kommunalen kinos lichtwerk damals öffentlich und verachtend vorgeworfen und wirkungstreffer damit erzielt, dass man ihn nie in kinos sehe und er immer nur in der spanne vom umfassendsten zum groteskkommunalsten vom kino zu sprechen vermochte. but to cope with the fact that the cultural legacy of socialdemocratic policy is built on the idea of degradable ghosts takes more than a lucky punch. und dem vergessenen relegierten der 68er-dffb wollte ich einen text machen, doch auch er devitalisierte sich in seinem alkoholisierten sprechen über filme und ihre zeit, und was ich dann noch hätte schreiben können zu ihm wäre wieder nur ruinöse mahnung geworden von gefahr und rettung, in der diese sich schnell suhlt. und im radio werden schirrmachers altersarmeen taxiert und ich denke beim denken an vs hingabe weiterzumachen mit dem kino, oder die emsigkeit knörers es von allen seiten erfassbar zu halten mit formaten comme il faut, nur noch an die arbeit, die so entstünde, nicht mehr an die lust dabei. und falsche metaphern steigen in den kopf, "verbrannte erde", zum beispiel, wenn ich daran denke, "dass alles unter seinen seinen händen zerrinnt wie wasser oder sand". aber auch an das sterntalermädchen und den anderen taumel kann ich noch kurz denken. für es aber und auch für ihn fühle ich mich gerade sehr ungeeignet und bin ganz matt vom sofühlen und lese auch texte nur noch wie man programmmusik hört. in der mail vorher stand hier ein zitat, dass den ton dieser texte wiedergibt, aber nicht unbedingt meine begeisterung für sie. außerdem möchte ich betonen, dass dies nur als stimmungsbericht zu lesen sei, nicht als credo gegen's kino Montag, April 26, 2004
Langtexthinweis
Drei Sequenzen aus "East Side, West Side" - Über den Eröffnungs- und Abschlußfilm der Filmreihe "East Side - West Side. Schätze aus dem Filmarchiv des MoMa" (9.5. bis 5.6., Kino Arsenal, Berlin). Donnerstag, April 22, 2004
langtexthinweis Wie man das 21. Jahrhundert erzählt - Michael Girke zu Heinz Emigholzs neuem Buch Das Schwarze Schamquadrat
Mittwoch, April 21, 2004
fernseh hinweis... ... aus einem e-mail-wechsel zwischen michael girke und eckhard schumacher
Lieber Eckhard, kaum lag der Hörer gestern auf der Gabel, fiel mir ein Filmtipp ein. Falls Du ihn noch nicht gesehen hast: Gus Van Sants "Elephant", m E ein sehr mutiger Film, ein Stummfilm mit Tonspur, lohnt sehr den Besuch. Lieber Michael, ich habe Elephant bereits gesehen, im Original, und fand ihn auch sehr toll, auf der Tonspur, in den Bildern. Und nicht zuletzt auch, weil das, was in allen Feuilletons als so großartig hervorgehoben wird, ja gar nicht stimmt: der Film würde kein Motiv liefern. Warum erwähnt denn meines Wissens NIEMAND die Szene, in der der, der später Klavier spielt, mit widerlichem Papiersabber beworfen wird? Erst dadurch wird der Film für mich richtig gut: Er gibt Hinweise für mögliche Motive, lässt ihre tatsächliche Relevanz aber offen, macht, genau, keinen Elephanten daraus. Bin vor diesem Hintergrund ziemlich gespannt auf die Erfurtdoku, heute abend, 23 Uhr, ARD. [Amok in der Schule, Die Tat des Robert Steinhäuser" Mittwoch, 21.4.04. - 23:00 Uhr - ARD] Lieber Eckhard, ja, ja, ja, ja...Elephant steckt über und über voll von Wahrnehmungen/Hinweisen Van Sants. Wie im Stummfilm: Wenn in der Wohnung der beiden Schützen PC-Game gespielt wird, ganz, ganz kurz...und dann, Schnitt, ist man wieder im Schulflur, da ist bei mir vor Spannung jedes Körperhäärchen Filmzuschauer geworden. Denn: es ist gerade nicht, (wie's aus Möchtegernelefantensicht vielleicht beliebt wäre), allesklärend festgestellt, PC-Spieler sehen ja mit den Augen von Serienmördern; nein, es ist nichts als eine von vielen Beobachtungen, die zu einer Diskussion dazugehören...vor allem aber bewegt sich ab da, vom Schnitt beabsichtigt, vorwärts und rückwärts durch den ganzen Film, so etwas wie ein Grusel vor dem eigenen Sehen...ich komme gleich darauf zurück. Dann: Elephant ist wie Charlie Brown. Da gibt es Eltern nicht, genauer, nur als unverständliches Tröten; in Elephant gibt es sie nicht als Eltern (um den Trinkervater muss sich ja der Blonde kümmern, bei einem anderen packen Eltern ein Schulbrot und begründen, warum sie keine Zeit haben an diesem Tag, in dieser Woche, in diesem Jahr, in diesem Leben...). Was für eine Welt ist das...so ist der ganze Film einer über Orientierung. Und so hört man dann den Film, die Schule, den Raum...das ist unglaublich gut...wenn dann die angedeuteten Täter Nazis im TV sehen und deren Scheiße-Sein lässig, aber dabei ungeheuer sensibel, beobachten, da hab ich fast geheult (obwohl oder weil die Elephantinszenierung es überhaupt nicht auf so etwas angelegt)...weil der Film wie ein Windhauch flüsternd mitteilt, dass das da im TV „das Böse“, das wir/alle bei der Betrachtung des Films und überhaupt so verzweifelt Dingfest machen wollen, nicht ist; es ist nur ein Gespenst der Deutlichkeit, von dem, und damit von 99,5 Prozent von all dem zu Fragen von Gewalt-Eltern-Kinder-Schule-Medien Gesendeten, Van Sant einen notwendigen Abschied filmt. Zum Blicken noch kurz: Ab dem oben erzählten Schnitt ist klar, die Kamerafahrten, die Wiesen, Flure, Zimmer, Büros, die Menschen, wir haben alles aus Gameeinstellungen gesehen. Das heißt einfach: nicht mit fertiger Psychologie, Jugend, Schule, Hysterie, Gesamtlage im Kopf, was uns sonst unsere Bilder vorauseilend inszeniert. Wenn das alles nicht da ist, was sehen wir dann noch von der Welt...weniger als jeder Serienmörder...wir sind drin im Game...der Mensch mit dem ich den Film sah, meinte, der Film fängt einfach an und hört einfach auf, das sei ja ein leerer Film...dessen Blick hat die Schüler genauso erledigt, wie die Gewehre der Jungs. Nicht gesehen: Das Weinen des Blonden, waren Filmtränen jemals aussagekräftiger (wenn der am Ende gestorben wäre, wäre ich mit gestorben; und damit die ganze Balance des Films; das weiß Van Sant natürlich). Die Gewehre der Jungs sind Verwandte dieser Tränen...sagt die Plazierung der Figuren im leeren Raum...auch das nur als Windhauch, wirklich Filmkunst, das alles. Nicht gesehen: ganz und gar nicht, niemals, sind die drei Schlankheitsgirlies banal; wenn die auf dem Klo erledigt werden, entscheidet sich, ob man den Film als ein Mensch sieht, oder, ob einem die Klischees oder die eigene Blindheit jede Sensibilität weggepustet haben. Auch das sage nicht ich, das legt der Film nahe. Was mich endgültig einnimmt: Dieser Film ist engagiert, er ist auf jeder Schülerseite, was die Schützen selbstverständlich einbezieht. Danke Gus Van Sant. * Zärtlicher Zusatz: Die Position der Figuren im leeren Raum habe ich eben gesagt. Wovon leer? Von liebenden Eltern/Erwachsenen/Menschen...von Zärtlichkeit und Mitgefühl...die einzigen Szenen, in denen es etwas davon gibt: wenn der Blonde von einer Mitschülerin im Vorbeigehen getröstet wird, und, ganz zentral, wenn die Täter sich küssen und streicheln unter der Dusche...Anti-„Psycho“-Duschszene...eine der Stellen im Film, von der aus gesehen, die Elephant-Welt so steril, so abtötend ist in ihrer Aufgeräumtheit. Sich in schönen, leichten, gleichgeschlechtlichen Berührungen und Küssen kurz findende, sensible Serienmörder; wenn ich diese Worte als Drehziel in einen Förderungsantrag für einen Film geschrieben hätte, würde mir ein Vogel gezeigt. DESWEGEN ist „Elephant“ kein Genre, deswegen artikuliert er so etwas stumm; auch um sich dem Kitschverdacht nicht auszusetzen...und es gelingt. Aber sind Bilder jemals stumm...für Van Sant nicht...dass am Ende das einzige klassische Liebespaar erschossen wird, nein, es wird bedroht, der Film endet...gleich sterben auch die Liebenden...das ist doch (bei allem Hauch, bei aller Balance) ein mit dem Vorschlaghammer gefilmtes „Bitte eingreifen, Bitte verhindern, Bitte hinsehen und Zustände ändern.“ Dass niemand nirgendwo über die vermisste und vorhandene Zärtlichkeit und Liebe in diesem Film spricht, macht, dass man die Realität als Teil von „Elephant“ empfinden kann.
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