new filmkritik


Montag, Mai 07, 2007
UMZUG

Nach knapp 2000 Tagen bei antville und blogger machen wir ab jetzt hier weiter. Unter der neuen Adresse www.newfilmkritik.de sind alle Einträge seit November 2001 zu finden.

Großer Dank an Erik Stein für die technische Unterstützung.



Freitag, Mai 04, 2007
A Trace in the Desert in the Form of a Circle next to a Naked Tree

Erinnerungen an UMUT (1970, Serif Gören/Yilmaz Güney), gesehen vor gut einer Woche: Der Droschkenfahrer, gespielt vom Regisseur Yilmaz Güney selbst, der sein Pferd verliert und den ohnehin ziemlich aussichtslosen Job nicht weitermachen kann. Er rackert sich ab, um Geld für ein neues Pferd aufzutreiben, aber überzeugend sind diese Manöver nicht, zumal die Stadtverwaltung die anachronistischen Gefährte per Dekret verbieten will.

Das harte Schwarz-Weiß und wie die Realität einer Stadt im Umbau in die Bilder hineinsickert: Brachen, halbfertige neue Wohnblocks, Kräne, dagegen die engen Slums, in denen der Droschkenfahrer mit seiner Familie wohnt.

Es waltet eine merkwürdige Grammatik im Film. Später, im Gespräch, wird einer von uns zurecht fragen, ob das denn überhaupt eine Grammatik sei. Stimmt: Es waltet vielleicht keine Grammatik im Film, nicht einmal eine merkwürdige. Mir kam es zum Beispiel vor, als habe Güney eine bestimmte mittlere Einstellungsgröße einfach weggelassen. Die einfachsten Sequenzen bekommen dadurch etwas Unbeholfenes, Stolperndes. Wenn er die beiden Kinder auf dem Weg zum Einkauf filmt, sieht man sie einmal von Nahem und dann, unvermittelt, aus einem ganz exzentrischen Kamerawinkel vom Dach eines Gebäudes aus. Vergleichbares passiert häufig, und es hat eine Desorientierung zur Folge, die zwar gar nicht unangenehm ist, von der man allerdings nicht weiß, welcher Überlegung sich dieser Einfall verdankt. Überhaupt: Das Verhältnis von Einfall und Überlegung. Wahrscheinlich ist das nicht besonders gut, wenn einer zu viele Einfälle hat für seinen Film. Aber genau dies scheint Güneys Film selbst nach einer Weile zu merken, weshalb er sich nach 50 Minuten zur radikalen Einfallsaskese entschließt.

Schluss jetzt: Keine Einfälle mehr! denkt der Regisseur. Doch, diesen einen noch, bittet der Film. Na gut, lenkt der Regisseur ein, aber ehrlich gesagt sind jetzt beide ein bisschen unzufrieden, Film und Regisseur. Der Hauptdarsteller vermittelt.

Mit einem etwas zwielichtigen Typen, der von Beginn an in regelmäßigen Abständen von einem Schatz daherredet, verlassen der Droschkenfahrer und ein Freund die Stadt und machen sich auf die Reise. In der Nähe eines Flusses, zwischen zwei Brücken, gleich neben einem nackten Baum, sei dieser Schatz zu finden. Das ist eigentlich alles, und der Plot wirkt jetzt so karg wie die Wüstenlandschaft, durch die der Film sich mit den drei Figuren und zwei Eseln bewegt. Dieses Zurückschrauben von narrativen Einfällen führt ärgerlicherweise dazu, dass ich als Zuschauer auf einmal glaube, die Einfälle produzieren zu müssen, die der Film mir bisher im Überfluss aufgezwungen hatte und jetzt plötzlich vorenthält. So wie man, wenn das Gegenüber nach einem langen Gesprächsbeitrag schweigt, sich aufgefordert fühlt, nun doch bittschön selbst mal was zu sagen.

Einer dieser Einfälle war der, dass diese Leute mit ihrem Spleen etwas von den Gestalten haben, die man aus Kiarostami-Filmen kennt und dass dieser Film daher auch etwas mit Kiarostamis Filmen zu tun haben müsse. Man kann aber an dieser Kiarostami-Assoziation studieren, dass es nicht automatisch gut sein muss, wenn einem zu einem Film etwas einfällt. Im Gegenteil. Die Bilder aus den Kiarostami-Filmen, an die ich mich erinnerte, waren für das Nachdenken über UMUT überhaupt nicht hilfreich. Diesem Kiarostami-Einfall gegenüber musste ich mich verhalten wie gegenüber einer lästigen Fliege, die sich mit sicherem Instinkt immer dort niederlässt, wo sie besonders stört.

Ich war deshalb dankbar, als der Droschkenfahrer beginnt, einen großen Kreis aus Steinen neben dem Baum auszulegen. Er benutzt seinen Daumen wie eine Wünschelrute, und die bisher eher folkloristische Musik wird von einer türkischen Krautrockvariante abgelöst. Vielleicht lag es an dieser Musik, vielleicht an der Art, wie dieser Steinkreis und der mit der Spitzhacke arbeitende Mann gefilmt sind, jedenfalls ist dieser Film von 1970 plötzlich ganz woanders als bisher, er hat sich vollständig gelöst von der Zeit, der Geografie und der sozialen Realität, die seine erste Hälfte bestimmte. Statt an Kiarostami dachte ich jetzt an Robert Smithson und Jan Dibbets und an die Earth Art Ausstellung, Cornell University, Ithaka 1969. Erdmassen, die bewegt werden, Wahrnehmung von Landschaft als potentieller Skulptur. Mit einem Schatz hatte dieses Loch nichts mehr zu tun, es war ein Beitrag zu etwas ganz anderem als der Erzählung dieses Films oder der Filmgeschichte.

Dass dieser Gedanke nicht weit führt und mit Recht als herbeigeholt bezeichnet werden kann, ist unerheblich. Mir rettete er in diesem Moment Güneys Film, denn einen solchen Schizo-Spagat zwischen neorealistischem Melodram und hochabstrakter türkischer Land-Art Adaption hatte ich in dieser Form noch nicht gesehen.



Donnerstag, Mai 03, 2007
Veranstaltung

8. Mai 2007, Akademie am Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, 19.00 Uhr, Kunst und Öffentlicher Raum – Beispiel Filmkritik: Journalismus und Public Relation in den Medien – mit Rainer Rother, Heike Melba Fendel, Andres Veiel, Günter Rohrbach, Jan Schulz-Ojala, Anke Zindler, Gregor Schwering, Ulrich Greiner, Rüdiger Suchsland und Claudia Lenssen



Sonntag, April 29, 2007
Kino-Hinweis

"Der Film ist damals (1999) völlig zu unrecht sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ziemlich untergegangen. Hauptgrund dürfte sein, dass er nicht in die Schublade 'französischer Film' passt und die Inhaltsangabe sich nach langweiligem, uncoolem Sozialdrama anhört - aber weit gefehlt: Es ist einer der spannendsten, poetischsten Filme der 90er und müsste in einer Reihe stehen mit den besten Dumonts und Dardennes. - Der Vergleich hinkt etwas. Vermillard ist viel undogmatischer, hat viel mehr Humor und Tempo. Die Laien/Schauspieler-Besetzung ist großartig und die Autorin macht ihre Figuren nie zu Opfern, sondern zu einzigartigen, überraschenden Individuen."

Sagt Ulrich Köhler, der den Film morgen abend in der Reihe "Mein Film" im Central zeigt:

LILA LILI
F 1999
Regie: Marie Vermillard
Central Berlin, Rosenthaler Straße 39
30. April
20.00 Uhr



Donnerstag, April 26, 2007
Helmut Färber zum Geburtstag

Heute vor 70 Jahren, "am Tag des Bombardements von Guernica", wie er in der Rubrik "Lebensläufe" in der 100. Ausgabe der Filmkritik schrieb, wurde Helmut Färber in München geboren.

Der Text geht so weiter: "Meine Eltern sind Kaufleute. In Regensburg bin ich aufgewachsen, und dort habe ich auch eine polytechnische Erziehung erlebt. Realgymnasium bis 1955, danach, sehr instruktiv für den Höheren Schüler, vier Jahre als Arbeiter. 1958 Buchdrucker-Gehilfenprüfung, 1960 nachgeholtes Abitur. Seit dem Winter 1969/61 in München Studium vor allem der deutschen Literatur und der Kunstgeschichte, letzteres bei Hans Sedlmayr, der aufgrund von Vorurteilen oft mißverstanden wird, und bei Ernst Strauß. Bildungsreisen in die DDR. Filmische Anregungen danke ich den emser Filmtreffen und den Jugendfilmclubs. Vereinzeltes in verschiedenen Zeitungen, u.a. in der Kultur und der Anderen Zeitung. Seit Sommer 1962 Filmkritiken in der Süddeutschen Zeitung, seit November 1962 in der Filmkritik."

Die Publikation dieser autobiographischen Zeilen liegt mehr als 40 Jahre zurück. Seitdem hat Helmut Färber an der HFF in München und der Berliner DFFB gelehrt, mehrere Fernsehsendungen für den WDR hergestellt und zahlreiche weitere Texte verfasst, die in vier selbstverlegten Büchern, in der Filmkritik, in den letzten Jahren auch in der französischen Zeitschrift Trafic erschienen sind.

Über Färbers Arbeit kann man hier etwas lesen; hinzugekommen ist inzwischen das schöne Buch zu Ozus "Soshun" (new filmkritik, Eintrag vom 2. Februar 2006).

In einer Broschüre des gerade stattfindenden portugiesischen Filmfestivals "indie lisboa" ist - auf englisch und portugiesisch - ein Text Färbers mit dem Titel "Ideas for a manifesto" zu lesen, und in der Einleitung wird er als "the most influential critic in Germany" bezeichnet; das ist eine überraschende Fremdwahrnehmung, die mir sehr gefällt.

Zum Geburtstag eine Probeaufnahme von den Dreharbeiten zu PARTIE DE CAMPAGNE: der grüßende Jean Renoir knapp ein Jahr vor Färbers Geburt.




Sonntag, April 22, 2007
* Langtexthinweis

Warum ich keine "politischen" Filme mache von Ulrich Köhler



Donnerstag, April 19, 2007
Vorfreude



Omaggio a Roberto Rossellini (2. Mai 2007 bis 30. Juni 2007, Arsenal)



Samstag, April 14, 2007
From Apichatpong Weerasethakul

Dear All,

Regarding the censorship of my film. I am glad in a way that it is leading to a very important step for our cinema.
Please kindly forward to the ones you think have relevant interest in this issue.
Thank you very much.

www.petitiononline.com/nocut/petition.html



Mittwoch, April 11, 2007
Etliches am Wochenende: Helmut Färber und das Kino

Der Filmsamstag zeigt am 14. April 2007 um 18 Uhr (Babylon-Mitte Studiokino Rosa Luxemburgstr.30 10178 Berlin) unter dem Titel "Helmut Färber und das Kino" Fernsehsendungen von Helmut Färber für den WDR, Redaktion Werner Dütsch.

Etwas über A Corner in Wheat (Filme von D. W. Griffith aus dem MoMA, NY) 1983 26'30
Stroheim zum Gedenken 1985 11'55
Drei Minuten in einem Film von Ozu 1988 15'15
Dr. Cordelier und Professor Alexis. 2 x Jean Renoir 1989 19'21

Alle Beiträge werden in Betacam auf die Kinoleinwand projiziert

Außerdem auf Wunsch von Helmut Färber:
Färblein von Bärbel Freund, Rainer Bellenbaum BRD 1990/92 21' 16mm

*


"Der Filmsamstag im April ist Helmut Färber gewidmet, der dieses Jahr seinen 70. Geburtstag hat. Ich kenne ihn, seitdem er mein Filmlehrer an der Hochschule in München war. Jeden Freitag, von morgens bis nachmittags, galt es, wie Jean-Marie Straub es ausdrückt, 'Augen und Ohren zu waschen'. Oberflächlicher Geschmack hatte keine Chance. Am Schneidetisch spulte er den Film in normaler Geschwindigkeit zurück und nicht im Schnelldurchlauf.

Heute höre ich immer dann von ihm, wenn er ein Buch im Eigenverlag herausbringt, eine Fernsehsendung, die er unter dem Schirmschutz von Werner Dütsch gemacht hatte, wieder zu sehen ist oder er einen Vortrag hält. All diesen Arbeiten liegt eine Geisteshaltung zugrunde, die der Ungeduld eine klare Absage erteilt. In der zweibändigen Buchausgabe Das Leben der Frau Oharu (Saikaku ichidai onna) gibt er textlich (zusammen mit anderen Preziosen) die Bildeinteilung und Dialoge, fotografisch die Bild für Bild Reproduktion des Films von Kenji Mizoguchi wieder. Um zu dem vorliegenden herausragenden Ergebnis zu gelangen, wurde Helmut Färber zum Papierforscher. Er experimentierte mit den verschiedenen Materialien, bis er das Bestmögliche gefunden hatte. Es ist eine Symbiose von Buchdruckkunst und Kinematografie. Das Können der einen wird der anderen im gegenseitigen Wechsel zum Vorbild gesetzt, zur Verfügung gestellt. Um einer klaren Aussage willen. Der Leser stößt auf Wesentliches, Sinnliches, hervorgerufen durch die Behutsamkeit und Gewissenhaftigkeit des Autors.

Seine Fernsehbeiträge sind ebenfalls konkrete Vorschläge, wie Kinobildung aussehen könnte. In Dr. Cordelier und Professor Alexis. 2 x Jean Renoir kombiniert er zwei Filme von Jean Renoir, beide 1959 gedreht und mit ähnlicher Thematik: natürliche Liebe versus Labordroge bzw. künstliche Befruchtung. Drei Minuten in einem Film von Ozu untersucht die Architektur der Fahrradsequenz von Noriko und dem Assistenten des Vaters aus Spätfrühling (Banshun).

Filmwissenschaftler seines Formats gibt es in Deutschland nur ganz wenige. Seine Art und Weise der Filmrezeption orientiert sich mehr an der cinephilen Leidenschaft und Tradition französischer Couleur. Das macht Sinn, wenn man den rabiaten Einbruch des Kinos bei uns durch den Nationalsozialismus zu bedenken gibt.

So ist Helmut Färber für manche unentbehrlich, andere nehmen keine Notiz von ihm. Er besitzt die Fähigkeit, Film spürbar zu machen. Dadurch macht er ihn bewußt. Bei ihm in die Schule zu gehen, bedeutet für zukünftige Regisseure, sich nicht von gängigen Moden manipulieren zu lassen, sondern Altes im Neuen zu erkennen, das Große des Kleinen schätzen zu lernen. Auf seinen Wunsch hin zeigen wir auch Färblein von Bärbel Freund und Rainer Bellenbaum in diesem Programm." (Karl Heil)



Etliches am Wochenende: kolik.film

Die österreichische Filmzeitschrift "kolik.film" hat mit einem Teil ihrer Redaktion ein Gastspiel im Berliner Arsenal. Zu den bisher erschienenen 7 Ausgaben werden, jeweils eingeführt von Leuten, die in der Zeitschrift mehr oder regelmäßig schreiben, 8 Filmprogramme, darunter SANG SATTAWAT - SYNDROMES AND A CENTURY (Österreich/ Thailand/F 2006) von Apichatpong Weerasethakul, David Lynchs INLAND EMPIRE (USA/Polen/ Frankreich 2006) und MUTUAL APPRECIATION (USA 2005; Andrew Bujalski). Die Filme laufen von Donnerstag abend bis Sonntag abend, Wiederholungen Ende April. Auch eine Diskussion zum "Schreiben über Film" wird stattfinden. Nähere Informationen zu alldem hier.



Montag, April 09, 2007
Demnächst (cont.)

Ein Nachtrag zu Rainer Knepperges' in der letzten SigiGötz Entertainment-Ausgabe erschienenem Text "Demnächst", der nicht realisierte Projekte und deren Ankündigungen zum Inhalt hat:

"Es ist bekannt, daß Bresson seit über zwanzig Jahren daran arbeitet, ein Vorhaben zu verwirklichen:
LA GENÈSE, Film nach den ersten Kapiteln des Buches Genesis, vom Anfang der Welt bis zum Bund Gottes mit Noah nach der Sintflut und wohl bis zum Turmbau von Babel.
Durch alle Jahre vergeblich.
Auch Jack Lang hat als Kultusminister vergeblich versucht, eine Finanzierung zu finden.
Jetzt aber ist zu erfahren, daß es für das Projekt einen Produzenten gibt und alle Mittel, die Bresson dafür braucht.
Der Film, sagt Bresson, sei schwierig zu drehen, wegen der vielen Tiere."

[mit Schreibmaschine geschriebener Text am Ende von Helmut Färbers Sendung "Robert Bresson zum 80. Geburtstag", Redaktion Werner Dütsch, WDR 1987]




Dienstag, April 03, 2007
* mittellangtexthinweis

Ein Mittellangtext zum ersten Film der Naruse-Reihe im Arsenal.




Freitag, März 30, 2007
nochmal Depardon

Noch bis Sonntag in Berlin zu sehen im Museum für Fotografie in der Jebensstrasse neben dem Bahnhof Zoo:
Raymond Depardon: VILLES / CITIES / STÄDTE. Film und Fotografie

Die Ausstellung besteht aus einer Videoinstallation mit 12 auf grossen Screens projizierten jeweils etwa 5 Minuten langen Filmschleifen. Ein Meditationsraum, eine dunkles halb renoviertes ehemaliges Offizierskasino. Zu sehen: Eine Einkaufsstrasse in Dubai, ein Busbahnhof in Addis Abeba, Times Square in New York, Aussichtspunkte an der Copacabana und in Schanghai, Strassenecke in Buenos Aires, U-Bahnausgang in Moskau, La Defense in Paris. Stumm, touristischer Blick, Auschluss jeden Kunstwollens. Man sieht eigentlich nichts und in diesem Nichts alles. Hochpolitisch. Der Berliner Film ist ein schockierender Ausblick auf den Zustand unserer Gesellschaft im Jahre 2030 (courtesy of demography). Wer die schlecht gelaunten Rentner am späten Vormittag eines Septembertages auf dem Bahnsteig des S-Bahnhofs Alexanderplatz gesehen hat, tritt auf der Stelle ein für eine Verdreifachung des Kindergeldes und die sofortige und bedingungslose Öffnung sämtlicher Aussengrenzen. Die schöne, ebenso beiläufige Fotoreihe im Raum nebenan erzählt zum Glück auch eine andere Geschichte.