new filmkritik


Mittwoch, Dezember 18, 2002
Bitte besuchen: Disneys "Der Schatzplanet"
Von Michael Girke

Ein Film für vaterlose Söhne. Wie ein anybody versucht jemand zu werden, ein somebody mit einem eigenen Leben, das ist hier ein Abenteuer, das nicht zur Kriegserklärung gegen das Leben mit allein erziehenden Müttern wird. Das ist selten in der jüngeren Filmgeschichte. Sollte die Verfilmung von Michel Houellebecqs "Elementarteilchen" erfolgreich sein, droht "Der Schatzplanet" als Disney für Männerunglück befördernde 68er identifiziert und verhöhnt zu werden. Zeichentrickfilme nehmen alle (Ex-)Kinder als beladene Träger von Narben aus Familienkonstellationen sehr ernst. Nicht nur deswegen schätze ich sie so sehr.

Dem jungen Jim Hawkins ist bei seiner Schatzsuche ein Roboter an die Seite gestellt. Der hat 100 Jahre Einsamkeit auf einem abgelegenen Planeten hinter sich. Rost in den Schaltkreisen und verlorengegangene Chips liefern die Entschuldigung fürs Disneysidekick typische Rumschusseln - diesmal einer Menschmaschine. Den Figuren und klassischen Stoffen wird durch solche Sidekicks der tragende Ernst genommen und eine, ja, realistische Dimension gegeben: Rumschusseln ist, wenn ins Sprachlose Verdrängtes sich für Momente austobt und wir dabei zusehen. Anders ausgedrückt: Wenn jemand wissen will, was eigentlich aus Jerry Lewis geworden ist: er ist bei Disney untergekommen, arbeitet als Roboter im Zeichentrick.

Wie immer animiert Disney auch diesmal zum Mäkeln: Der Hang der Disneystudios Animation realistischer zu machen, läßt ihre Filme aussehen wie "Star Wars" und "Matrix" schon ausssehen, schränkt also den spezifischen Zeichentrickzauber ein. Wie Tarzan vor zwei Jahren ein Surfer sein mußte, muß Jim Hawkins ein nerdiger, Gitarrenmusik hörender Skater sein, damit neues Publikum Disney nicht als altbacken verhöhnt. Opportunismus, Ausverkauf? Kein Problem. Das ist wie in den Jugendvorstellungen vor 25 Jahren in Herforder Kinos, als ich mir die großartig wortkargen Cowboys auch in der Antike und im Zukunftsfilm gewünscht habe. Durch die Bilder hindurch hört man die Disney Macher nicht nur als clevere Geschäftsleute denken.

"Der Schatzplanet" schätzt nicht nur allein erziehende Mütter, sondern miese, raffgierige Cyborgs sind gar nicht mies und raffgierig, sondern - achten sie auf das Blinzeln im Maschinenauge - die andere Seite von dem, was Rationalität, Logik, Seriosität, Warenverkehr aus der Realität machen. Was (Ex-)Kinder nachts unter die Bettdecke in den Taschenlampenschein in die Bücher (heute PC Games) zu den Piraten lockt.

Warum es gut ist, daß die Zeit vergeht, wird am Weihnachtsfilm deutlich: Ein Disney Happy End heute ist, wenn Piraten nicht sterben müssen, sondern auf Kaperfahrt bleiben, um vererbten, im Weltall herrschenden Vorstellungen von Männlich-, Väterlich-, Vorbildlichkeit einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Auch die Cyborg-Menschmaschine ist früh im Film kenntlich als Träger von Narben aus familiären Konstellationen. Weil so ein Glibberwesen, so ein niedliches Sidekick-Es, ihrem Bösewichteranführer-Ich an die Seite gestellt ist. Morphie heisst das Glibberding. In diesem Namen steckt all das, was so schön furchtbar an unseren Wünschen ist, daß es ordnungsgemäßer Selbstbeherrschung und Lebensplanung, oft in den zwanghaftesten und ungelegensten Momenten, schwer zu schaffen macht. Diesen vorletzten Satz, glauben sie mir, kann man verstehen, wenn man "Der Schatzplanet" gesehen hat.

Verlassen des Disney-Kinos ist, als ließe man etwas von sich selbst zurück. Nicht Träume vom besseren Leben, sondern Ausdrucksmöglichkeiten.



Donnerstag, Dezember 05, 2002
Auf unserer Langtextseite: Die Blicke, die verändern - Ein Text von Manfred Bauschulte zu Heinz Emigholzs Buch “Das Schwarze Schamquadrat”.



Dienstag, November 26, 2002
Fernseh-Hinweis
Donnerstag, 28. November, 22:20 Uhr, TV5: ABC Africa, Regie: Abbas Kiarostami (Iran 2001)



Dienstag, November 19, 2002


lex performantia
ein ungehaltener kanzler schröder verbot heute morgen mit sofortiger wirkung und unter androhung schwerster sanktionierung sämtliche veranstaltungen, die sich mit medien, media, neuen medien, new media, media of the other, media of the Other, medienumbrüchen, medialität, intermedialität, neue medialität, medienspezifik, multi-media, multimediale installation(en), multi-media-ästhetik, körper, neuen körpern, anderen körpern, (neuer) in-, ex-, meta-, trans-, hypo-, hyper-, oder einfach korporation, (neuer) performativität, (new) performing, (neuer) performanz, (new) performance, (neuer) materialität, (new) materiality, ereignis, neuem ereignis, ereignishaftigkeit, neuer ereignishaftigkeit, kultur, netz-[irgendwas], darstellung, dar-stellung, darstell-ung, darstel-lung, da-rstellung, ent-stellung, end-ställlung, digitalem, ritual, digital als ritual, digital als anderes ritual, o. ä. oder irgendeiner kombination des genannten beschäftigen.

schröder: 'damit ist jetzt schluss.'



Montag, November 11, 2002
Fernseh-Hinweis
Heute, 11. November, 3 Sat, 22:55 Uhr - Prüfstand 7, Regie: Robert Bramkamp, Deutschland 2001
Zu “Prüfstand 7” gibt es hier ein längeres Gespräch zwischen Robert Bramkamp und Michael Girke zu lesen.



Killertext
Manny Farber, 1962: White Elephant Art vs. Termite Art
(Mehr zu Manny Farber demnächst. Hier nur noch ein link zu einem instruktiven Artikel von Noel King aus Framework.)



Sonntag, November 10, 2002
“[...] Eine Woche darauf bin ich nach Arizona geflogen, mit einer High8 Video Kamera in der Hand. Was ich dort vorfand, hatte den Charakter eines handfesten Beweises: der Beweis war evident, nur was er beweisen wollte, war doch durchaus noch undeutlich.
Eine Idee für einen Film braucht diese Art misslicher Verstimmung: da liegt etwas vor, man schaut es sich an und ist beeindruckt, aber einen Reim kann man sich darauf nicht machen. Und dann braucht eine Idee, für einen Dokumentarfilm zumal, eine starke und vielfältige Realität, an der sie hochwachsen kann. Genau dies offenbarte sich in den zerschundenen Wrackteilen der B-52, ein reichhaltiger, umfassender Ausschnitt der Realität.[...]”

Destruktion als Ziel der Produktion - Interview mit Hartmut Bitomsky zu seinem Film B-52



Dienstag, November 05, 2002
Fernseh-Hinweis
Mittwoch, 6.11., WDR, 23:15 Uhr: Running Out Of Time, Regie: To Kei-fung a.k.a. Johnnie To (Hongkong 1999)



Samstag, November 02, 2002
Viennale 2002
Eben aus Wien nach Berlin zurückgekehrt, entnehme ich meiner Jackentasche mit dem Reisepaß auch jenen Zettel, der mich die letzten zwei Wochen hindurch während der Viennale begleitet hat: ein dichtes Programm, in dem einige Filmtitel herausgehoben sind; es sind die, die ich sehen wollte, nicht alle habe ich geschafft. Glück ist, "Verantwortung für die Grenze zum Rausch zu übernehmen", rief Schlingensief aus, als er aus dem Kuhlbrodtbuch vorlas (darüber muß eigens geschrieben werden) - während eines Filmfestivals hält man viel Pathos aus, und Schlingensief war an diesem Abend großartig. Die Viennale eröffnete heuer mit ETRE ET AVOIR von Nicolas Philibert, einem Dokumentarfilm über eine Grundschulklasse in der Auvergne, der mir wie ein Echo auf Rossellinis Gaukler Gottes erschien. Das Gartenbau-Kino ist von allen Festivalpalästen, die ich kenne, der beste: ein Saal für 740 Menschen, die nicht (wie in den Musicalauditorien, die bei A-Ereignissen als repräsentative Räume gelten) wie in einem Theater sitzen, sondern wie in einem Kino zu der Leinwand aufblicken, die enorm groß ist, und eines Abends, als das Bild für GERRY von Gus van Sant tiefblau wurde und der Vorhang sich zu Cinemascope öffnete, war das dan fast ein erhabenes Ereignis: eine Kamerafahrt durch die nordamerikanische Wüste, Musik von Arvo Pärt, zwei unheimliche Schnitte und eine Gefahr wie zu Beginn von Kubricks SHINING, der Matt Damon und Casey Affleck sich mit der Unbedarftheit zweier Jungen aussetzen, die außer rauchen und gehen nicht viel können. Die wagemutigen Unschärfen dieses Films wurden nur von LA VIE NOUVELLE von Philippe Grandrieux übertroffen, aber dessen exzeptionelle Horrorästhetik ist den Leidenschaften eines jungen Westmannes im wilden Osten zu weit voraus, um einen Film zu ergeben. Also der beste Fetzen der Viennale. Der beste Globalisierungthriller stammte aus dem Jahr 1933, wurde unlängst wiederentdeckt, trägt den Titel ÖL INS FEUER, Regie: Rudolf Katscher, der von Wien aus ins Exil ging. Eine Räubergeschichte zwischen Brasilien und Berlin, mit Peter Lorre in der Rolle eines Agenten, mit Aktionären und korrupten Vorständen, mit viel Zigarrenrauch und vielen Genossen von Bossen, mit ausgeplünderten Ölfeldern und einer frühen Faxübertragung, es ist alles da, wozu der deutschsprachige Film nicht mehr aufgeschlossen hat. Der schönste Gobelin der Viennale stammt von Todd Haynes: In FAR FROM HEAVEN nimmt er ein Melodram von Sirk, und statt es zu dekonstruieren, errichtet er es auf den Diskursen von Race/Gender neu, und es leuchtet nur noch intensiver - mit Julianne Moore und einem herrlich finsteren Dennis Quaid. Selbstreferentieller war da nur noch die Szene in UNKNOWN PLEASURES von Jia Zhangke, in der einer der jugendlichen Aussichtslosen in einer chinesischen Provinzstadt einen Freund auf der Straße trifft, der DVDs verkauft. Ob er XIAO WU hat, fragt er, oder PLATFORM (die beiden vorangegangenen Filme von Jia Zhangke), oder wenigstens LOVE WILL TEAR US APART (einen Hongkong-Film, der auch schon mit einem Joy-Division-Titel gespielt hatte)? Nein, der Händler hat nur Mainstream-Filme, während UNKNOWN PLEASURES ein Arthaus-Film ist, produziert mit französischem Geld, für ein Publikum, das eher Les Unrockuptibles liest als im Hinterland von Festlandchina auf DVDs von Jia Zhangke wartet. Trotzdem ist UNKNOWN PLEASURES wieder toll in seinen Beobachtungen einer umfassenden Entwertung: Des Geldes, der Körper (die Mädchen tanzen für Wodkareklame, ein Junge hat Hepatitis), der Beziehungen, zuletzt sogar des Verbrechens. der ungebärdigste Film der Viennale kam von Jean-Francois Stevenin (PASSE-MONTAGNE), der in MISCHKA eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe unter die Touristen in Südwestfrankreich mischt: Einen alten Hünen, eine junge Mutter mit einem kleinen Bruder, eine schöne Zigeunerin und mittendrin sich selbst als ziellosen Vitalisten, plus dem Rockstar Johnny Hallyday, der dort auch gerade auf Tour ist. Stevenin möchte fliegen, aber nicht mit der Kamera, sondern durch die Montage, deswegen wirft es den Film oft hin vor lauter Ausbruchsenergie, aber er rappelt sich immer noch einmal auf, und sammelt am Straßenrand seine Außenseiterbande wieder ein. Vieles habe ich versäumt, den ganzen Rivette zum Beispiel, vor allem L'amour fou; auch einen neuen Guy Maddin. Beim Abschlußfest kam dann noch ein Mann daher und sagte, er hätte in Klaus Wyborny einen "genuinen Intellektuellen" entdeckt (SULLA hatte Premiere), und für die nächste Viennale wünscht er sich einen Tribute an Peter Watkins - das ist nun wirklich eine großartige Idee.



Jetzt fast ein Jahr “new filmkritik” - What would you have done differently?



Dienstag, Oktober 29, 2002
Fernseh-Hinweise
Heute Abend, Dienstag, 29.10., 20:15 Uhr, auf 3Sat: Der schöne Tag, Regie: Thomas Arslan (Deutschland 2001)
Heute Nacht, Mittwoch, 30.10., 0:55 Uhr, auf arte: Rosetta, Regie: Luc und Jean-Pierre Dardenne (Belgien/Frankreich 1999)



Donnerstag, Oktober 10, 2002
Lieber Jan,
ich war, vor allem vom 2. Teil unseres Gesprächs zu Deinem WINDTALKERS-Text in film-epd 8/2002, so angeregt, daß ich auf einer anschließenden Zugfahrt Notizen machte, die ich nun maile. Zugleich war ich am Telefon etwas überfahren. Das, weil ich feststelle, zunehmend langsamer zu denken, leider viel Zeit zu benötigen, damit sich zum Film auch nur annähernd das einstellt, was man Klarheit nennen könnte. So vermochte ich zu Windtalkers nichts als Flüchtiges, Angedachtes, Fetzen beizutragen. Wenn das, wie Du sagst, "voll auf Linie liegt", dann möchte ich hiermit von dieser Linie aus einige vorsichtige "Anstöße" zu einer irgendwann zu führenden Windtalkers- Debatte (die sich hoffentlich nicht in der Diskussion ausgerechnet dieses Films erschöpft) schon liefern.

Um nicht von zu vielem zu reden: Windtalkers beginnt und endet mit Bildern des Monumental-Valley. Das sind Bilder aus einer überdeterminierten Ikonographie, die ich nur als Verweise auf eben diese Ikonographie lesen kann.
Hieraus ergibt sich m.E. ein dominantes Thema des Films: Wie Figuren dieser Ikonographie (die Indianer) auf Figuren aus einer anderen Ikonographie treffen (die amerikanischen Soldaten) und was sich daraus ergibt. Anders formuliert: Wie läßt sich das Markenzeichen John Woo in diesen Ikonographien plazieren und etablieren?
Zudem betont der Film an vielen Stellen bestimmte Blicke: Den von Joe Enders auf Yahzee, den von Yahzee auf Enders. Die "objektive", nachvollziehbare (Kriegs-)Handlung scheint mir gegen diese Dramaturgie der Blicke zweitrangig. So ist der Film nur sehr sehr bedingt lesbar als einer über den 2. Weltkrieg. Zumindest mir will es nicht gelingen, die Verweise und den Gestus des Films zu lesen als "Es ist Krieg!" Was ich sehe, kann man, verkürzt, nennen: "Es ist Kunst".

Ist das nicht ein Unterschied ums Ganze? Zum Beispiel zu Nachrichtenbildern oder denen von Guido Knoop? Zu Inszenierungen also, die eben jene Ausrufezeichen setzen: "Es ist Realismus" und also "Es ist Krieg!" Ist nicht ein nervendes Problem - von den Promotionsabteilungen der Filmfirmen, von gängigen Betrachtungsweisen und der Mainstream-Filmkritik genauen Lesarten (was man so nennt) und vor allem auch Filmen selber aufgehalst - daß man sich bis heute herumschlagen muss mit Wahrnehmungen von Filmen, die Realismus selbst da hinein lesen, wo Filme dies nicht nur nicht nahelegen, sondern offen ausstellen, dass sie ganz und gar nicht auf Realismus aus sind? In der Tat, Filme wie "Wir waren Helden" wirken auf mich, als hätten sie sich zum Ziel gesetzt, die Erfüllung all der als Filmkritiken getarnten Wünsche zu sein, die ich vor 4 Jahren in meinem Text zu "Soldat James Ryan-" zitiert habe, also die angemaßte Realisierung des Phantasmas, es ließen sich objektive, authentische Bilder (und damit Erlebnisweisen) des Krieges mit (Spiel-)Filmmitteln herstellen.
In Windtalkers aber geht es in etwa so um Erinnerung, wirkliche Geschichte oder Wahrscheinlichkeit, wie es in einem Film von Joseph von Sternberg mit dem Titel "Scarlet Empress/Die große Katharina" um die wirkliche geschichtliche Figur der Zarin Katharina geht.

Wo es in Windtalkers um wirkliche geschichtliche Aspekte geht, gibt es einen augenfälligen Bruch, gerät der "John Woo-Film" in Widerspruch zu "seiner" Geschichte, liefert er andere Bilder. Das sind die eineinhalb Szenen, in denen sich der Film um das Versprechen kümmert, das der Filmtitel auch gibt, nämlich sich für die Codesprecher als solche zu interessieren und damit für die kriegsentscheidende Bedeutung von Codes, von Technologie und wie sie den Krieg verändert und die Stellung der Person in ihm.
Wenn der kleine Nicolas Cage-Trupp die Ausrichtung des Geschützfeuers verändern muß, werden die Codes wichtig und ihre Folgen, die aus den Rohren der Riesengeschütze der Schlachtschiffe erwachsen. Man kann die Bilder der durch ihr eigenes Tun plötzlich sehr klein und sehr bedeutungslos werdenden Hauptfiguren kritisieren, weil sie diesem maßlosen Feldherrenblick so entsprechen, der einzelne Menschen zu bedeutungslosen Statisten großer geschichtlicher Ereignisse (oder imposanten Bildern davon) macht. Gleichwohl ergeben diese Bilder einen seltsamen, inkohärenten Film im Film, den ich bemerkenswert finde, weil das, was er visualisiert, so gar nicht aufgeht in der Geschichte dieses Films oder Geschichten, die man erzählt über ein seit Jahren laufendes Kriegsfilmprojekt Hollywoods. Und: Weil dieser Film im Film zu Windtalkers gehört, das heißt, mit den anderen Bildern zusammen gedacht, jeden leicht ermittelbaren, somit leicht verfügbaren Sinn dieses Films (sowie eine abgeschlossene Beurteilung) in Frage stellt.
Man kann in Windtalkers einen bestimmten Stilwillen beobachten. Einen, der offen ausstellt, dass er nicht historisch oder geographisch rekonstruiert, der auf anderes aus ist. Wenn man diesem Stilwillen, verkürzt gesagt, anmaßenden und schlechten Realismus ("Es ist Krieg") vorwirft, ist das nicht so, als werfe man der Kunst vor, Kunst zu sein?

Fragen: Kann man Enders (und schließlich Yahzee) nicht, neben anderem, als Varianten der Kapitän Ahab-Figur betrachten? Und, vorausgesetzt das trifft zu, macht Kapitän Ahab hier nicht einen Lernprozess durch, tritt er nicht auch neben seinen Wahn (der keinesfalls nur verständlich und legitimiert, sondern auch als Motor einer Katastrophe im Bild ist: Der Katastrophe des vom Soldatischen strukturierten, unerträglich engen und brutalen Raumes, der der Liebe nicht mehr zugänglich ist)? Entwickelt er nicht einen Blick, der Unterscheidungen möglich macht und spaltet sich darüber auf - und wird so fähig Teil eines Gemeinwesens, einer Familie, einer Liebe zu sein? Anders gefragt: Ist Windtalkers nicht auch Wiederholung, Variante und milde Kritik von "The Searchers"? Und was war die tiefere Motivation von "The Searchers", was ist der (historische) Gehalt dieses Films?

Wie die Windtalkers-Bilder korrespondieren mit der Romanvorlage und dem Drehbuch des Films;
wie Motive, Einstellungen, Konflikte (und ihre Auflösungen) dieses Films korrespondieren mit anderem Material der Filmgeschichte, mit gegenwärtigen Kriegsfilmen (kann man die "Nah-Dran-Einstellungen" bei Explosionen nicht neben anderem auch als Production Values betrachten, als State of the Art filmischen Designs, daß man in Hollywood benutzt und benutzen muss, woraus aber noch nicht das Projekt des jeweiligen Films abzuleiten wäre?) oder mit Bildern anderer Filme des John Woo;
wie die Themen, Konflikte (und ihre Auflösungen) korrespondieren mit Gesetzmäßigkeiten von Genres und mit (amerikanischen) Mythen (alten, ewigen oder gegenwärtigen);
vor allem: In welcher Relation einzelne Filme oder filmische Werke zu dem stehen, was man Realität nennt - aus all dem mag sich ergeben, ob es sinnfällig ist, beim Regisseur von Windtalkers von einem Autor zu reden.

"Einmal mehr ist der Krieg im Kino nicht nur ein Ort, an dem die Probleme kulminieren, sondern auch der Modus ihrer Auflösung" schreibst Du in Deinem Windtalkers-Text. Wenn man das "im Kino" ersetzt durch "in der Filmkritik" macht der Satz auch Sinn. Und aus dem, was der veränderte Satz markiert, ergibt sich mein Diskussionsbedarf.
Was sich aber monumentaler und melodramatischer anhört, als es gemeint ist. Ich bin sicher, Dir nichts Neues und darüber hinaus eher Schlichtes mitzuteilen. Es geht mir um die Diskussion von drei Gedanken: Filme der gegenwärtigen Blockbuster- und Kriegsfilmwelt lassen sich mannigfaltig unterscheiden.
Die Kategorie des Autors kann - überhaupt, aber auch in der Blockbuster- und Kriegsfilmwelt (allerdings nach einer Klärung ihrer Voraussetzungen, zu der es in der Mainstream-Filmkritik nie wirklich kommt - mit grotesken Folgen) - kein Qualitätsmerkmal, aber durchaus angemessen und praktikabel sein.
Durch welche Gesten und Verfahren werden Filmkritiker wahrnehmbar und wichtig (zu Autoren)?

Viele Grüße,
Michael Girke

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Lieber Michael,
mir ging es auch so: Bei unserem ja ziemlich langen, zweigeteilten Telefonat fehlte mir trotzdem die Zeit, all das zu sagen, was da irgendwie hinaus mußte. Das hängt, denke ich, damit zusammen, dass wir eigentlich (oder zumindest ich) ständig parallel zum Film auch über die prinzipielle Frage nach der Autorenschaft im populären Kino redeten - dass da zwei Themen, die vielleicht auch gar nicht voneinander zu trennen sind, auf ein Mal bearbeitet sein wollten, und noch dazu von Zweien, die (so war jedenfalls mein Eindruck damals) unterschiedlich mit der Frage nach dem auteur umgehen. Gerade darum finde ich Deine Idee, ein paar Gedanken dazu schriftlich und quasi in einem Rutsch anzugehen, inzwischen (nach Bedenken, keine Zeit zu haben & doch eigentlich den direkten Dialog zu bevorzugen) klasse. Ich nehme einfach mal Deine Anmerkungen als Ausgangspunkte.

Ja, die Monumental-Valley-Szenen sehe ich ähnlich wie Du als Teil einer, wie Du schreibst, "überdeterminierten Ikonographie". Ich wäre nur dafür, sie nicht gleich als "Verweise" auf ihre eigene Bild-Geschichte zu akzeptieren, sondern sie zuerst eben als Teil dieser Ikonographie zu beobachten. Als stereotype Repräsentationsmuster mit einer eigenen Geschichte von Identifikation und Repression; als Bilder, die uns verständlich "Indianer", "Ursprung" und "Natürlichkeit" sagen sollen und die inzwischen natürlich auch den Untergang oder die Bedrohung dieses "Anderen" mitsprechen.
Die dominanten Fiktionen zu "US-Soldaten" und zu "Indianern", die sich in WINDTALKERS zeigen, sehen nicht nur anders aus, sind auch in ihrer Entstehungsgeschichte und in ihren Integrations- und Ausschlußverfahren voneinander unterschieden. Insofern (und das scheint mir ein Problem des Films im Umgang mit diesen Bildertraditionen zu sein) ist es dann auch nicht überraschend, dass die Gruppe "der Soldaten" heterogener ist als die "der Indianer", deren Inszenierung traditionell immer schon auch eine geschlossene, ursprüngliche Form von Gemeinschaft behauptet.

Auch dieses Verhältnis von Hetero- und Homogenität ist ein historisch gewachsenes. Es gehört zu der "überdeterminierten Ikonographie", von der Du sprichst - ich kann nur einen "Verweis" darauf, also eine ausgestellt bewußte (vielleicht sogar kritisches) Beziehung des Films dazu, kaum entdecken. Wo ist der Punkt, von wo aus hier gezeigt, verwiesen wird? Noch dazu: Wenn wir uns einig sind, dass wir es hier mit Stereotypen zu tun haben, dann ist es im Sinne des möglichen Verweises doch auch interessant, dass beide Stereotypen am Ende (jedenfalls aus meiner Sicht) ungebrochen sind und - auf ihre Art - bestätigt werden. Allenfalls hat die Armee und der Krieg die Kameraden über alle (auch inneren) Widerstände hinweg zueinander gebracht. Zwischen den Waffengängen ein kleines Konzert, WhiteHorse an der Indianer-Flöte, Henderson an der Westerner-Mundharmonika. Selbst der einzige Rassist in der Kompanie wird bekehrt, und wenn Nicolas Cage am Ende sagt: "We saved a lot of marines today", dann ist das nicht nur ein Genre-Ritual, sondern auch innerhalb der Logik des Films schlicht "richtig".

Ich will damit nicht sagen, dass WINDTALKERS dominante Fiktionen bruchlos fortführe - schon deshalb nicht, weil ich nicht glaube, dass ein von so vielen für so viele konstruiertes Kulturprodukt/Kunstwerk so einfach funktioniert. Du hast recht, dass es in WINDTALKERS auch darum geht, wie man sich anschaut. Und genau das hätte auch ein Thema werden können, das die, wie Du schreibst " "objektive", nachvollziehbare (Kriegs-)Handlung" in den Hintergrund rückt. Mir scheint es nur so zu sein, dass diese Frage der Blicke aufeinander sehr stark innerhalb der Kriegsfilmgeschichte verhaftet bleibt - sowohl in der des Films als auch in der des Genres. Die Dramaturgie zielt ja auch darauf, offensichtlich rassistische Klischees (ein paar Mal wird Yazeeh "Wilder" genannt" und die Frage nach dem Feind auch in Bezug auf Yazeeh gestellt) aufzulösen und auch darauf, dass sich Enders und Yazeeh letztlich als Kameraden und Freunde blutend und fast wie ein Liebespaar in den Armen liegen. (Zu der Tradition dieser Arm-in-Arm-Ikonographie des Kriegsfilms hat John Newsinger mal geschrieben: "The experience of battle is shown as binding men together in a way that no other experience can and, of course, it is an experience that only other men can share. Men die in other man-s arms, combat is what being a man, being a warrior, is all about.") Wenn wir also sagen wollten, dass WINDTALKERS auf Stereotypen verweist, dann tut er das - mal ganz grob und über alle Widersprüchlichkeiten hinweg gesprochen - bis zum Ende und erfüllt sie auch mit der letzten Szene, wenn wir wieder im Monument Valley, wieder in der "Indianer-Kultur" sind und Yazeeh den erfolgreichen Abschluß der Mission, binding men together, bestätigt: "If you want to tell a story about him, tell he was a friend." Anders gesagt: Ein Verweis auf etwas hat für mich immer etwas mit einer Distanz zu tun, mit einem Standpunkt, von dem aus man auf etwas anderes verweist. Und meiner Meinung nach gelingen WINDTALKERS in diesem Sinne kaum Verweise, sondern vor allem Affirmationen, weil er immer schon drin steckt in der Ikonographie.

Darum würde ich bei Deiner Unterscheidung "Es ist Krieg!" (also "Realismus" - wer auch immer das entscheidet) vs. "Es ist Kunst!" ( oder "Stilwille") erstmal diesen Kunst-Aspekt betonen und befragen: Woraus speist sich dieser Stil, was macht ihn aus, worauf beruft er sich, was blendet er aus, wo will er hin und was geschieht dabei mit mir? Ist es nicht so, dass WINDTALKERS in den Gefecht-Szenen etwas von dem inszenatorischen Gestus der beweglichen Frontschweinkamera hat, die in der Rezeption von SAVING PRIVATE RYAN und anderen Kriegsfilmen ziemlich häufig als "beklemmend authentisch" als größtmögliche Nähe zur "Wahrheit des Gemetzels", als "the nature of war" usw. übersetzt worden sind?
Ganz sicher hast Du recht damit, dass die ""Nah-Dran-Einstellungen" bei Explosionen (...) auch als Production Values (...), als State of the Art filmischen Designs" betrachtet werden können. So sieht Action und Krieg halt heute (immer öfter) aus, könnte man vielleicht sagen. Und mir geht es auch gar nicht darum, daraus "das Projekt des jeweiligen Films abzuleiten". Ich entdecke aber Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten zu zeitgenössischen und historischen Kriegsfilmen - und selbst wenn wir diese Mittendrin-statt-nur-dabei-Ästehtik als Production Value sehen: Hat dies nicht einen Effekt auf das, was mit diesem Production Value erzählt wird? Kann man sagen, dass diese Inszenierung von Krieg eine eigene Kriegsgeschichte (und Kinogeschichte und Filmkritikgeschichte) erzählt, die inzwischen so etwas wie konsensfähig ist und gerade als Production Value andere Bilder verhindert, die unser intuitives Verständins von "so sieht Krieg aus" stören könnte? Deshalb hatte ich in meiner Kritik das ziemlich nebulöse Wort "langweilig" gebraucht - weil ich diese point-of-view-combat-Ästhetik in Verbindung mit dem leidenden Soldaten in den Klauen der "Bestie Krieg" nicht mehr sehen will. Mich macht das wütend und erinnert mich in der behaupteten Allgemeingültigkeit von Kriegs-Bildern an Rudolf Scharping und die Bild-Zeitung, deren Fotos aus Jugoslawien ("Wir dürfen nicht wegsehen!"; "Sie treiben sie ins KZ!") den NATO-Kriegseinsatz hierzulande für eine breite Öffentlichkeit intuitiv verständlich und notwendig erscheinen lassen sollten.

Ich merke gerade, dass ich endlos weiter über viele Punkte schreiben könnte, die Du in Deinen Anmerkungen nennst, und die ich alle sehr wichtig und bemerkenswert finde. Dazu gehören auch die Bezüge zu Ahab und Ford, wobei Ahab uns auch direkt zu PLATOON führen würde. Weil das aber alles zu lang wird, will ich mich auf eins beschränken, das mich schon lange umtreibt & das dann auch die WINDTALKERS-Debatte (vorläufig) verlässt. Ich möchte die Diskussion aufnehmen, die Du zum Verhältnis von Film, Autor und Filmkritik anregst; genau diese Debatte, in der die Frage nach Autorität und ihrer Konstruktion vielleicht im Zentrum stehen könnte, scheint mir extrem nötig.
Du schreibst von den "gängigen Betrachtungsweisen und der Mainstream-Filmkritik" und setzt dagegen u.a. die Frage, wie sich das Markenzeichen John Woo in diesen Ikonographien plazieren und etablieren ließe. In unserem Telefonat war das noch deutlicher gewesen, als Du von John Woos Perspektive gesprochen hattest, mit der sich Woo als Nicht-Amerikaner den US-Themen/-Genres zuwendet. Gegen das Reden vom "Realismus" (was ich auch ziemlich bescheuert finde) setzt Du "Kunst" und einen "bestimmten Stilwillen" und fragst danach, wie hier eine Kategorie des Autors "angemessen und praktikabel" angewandt werden kann.
Mein Problem ist erst einmal: Zu den "gängigen Betrachtungsweisen und der Mainstream-Filmkritik" gehört nicht nur das Rekurrieren auf einen problematischen Realismus-Begriff, sondern auch und gerade die Suche nach dem Autor, bzw. dem auteur. Seit Jahren wird John Woo als "action auteur" gehandelt und fast jede Filmkritik, die ich zu WINDTALKERS gelesen habe, arbeitet sich daran ab. Um als Filmkritiker seine Autorität unter Beweis zu stellen, werden traditionell Filmemacherautoritäten erkannt, benannt, diskutiert und etabliert. Und wenn ich dabei von Filmkritikern und Autoren spreche, und nicht von Filmkritikerinnen und Autorinnen, dann ist dies auch eine Reaktion darauf, dass dieses Verfahren des Spiels um Autorität seit der politique des auteurs traditionell eine Angelegenheit unter Männern ist, deren (implizite) Kategorien von Genie, starker Kreativität und künstlerischer Durchsetzungskraft eng an traditionelle Bilder spezifischer Männlichkeit gebunden ist.
Ich würde darum gerne zunächst von der Suche nach dem auteur als einer kommerziellen Strategie reden und von der ideengeschichtlichen Tradition dieser Konstruktion des "Manns hinter dem Film", die auch meine Kinosozialisation stark geprägt hat. Darum ging es auch in meiner Filmkritik zu WINDTALKERS: Durchaus trotzig zu sagen, dass ich bei diesem Entdeckungsspielchen (wo steckt denn der Meister?) erstmal einfach nicht mitmachen will und gleichzeitig davon reden, dass dies zu WINDTALKERS (auch zur PR des Films) dazugehört. Ich weiß, dass die Kategorie des Autors durchaus spannende Fragen an den Film stellen könnte. Mir scheint es nur gerade im Augenblick wichtig, auf die Implikationen und Bedingungen dieser doppelten Autoritätsstiftung (Kritiker und Filmemacher versichern sich gegenseitig ihrer Autorität, siehe z.B. die Interviews zu WINDTALKERS) hinzuweisen, um anders vom auteur zu reden. Nämlich als vor allem nachträgliche Konstruktion unseres Blicks, mit dem wir dem Gesehenen und Gehörten (das ja von sehr vielen verschiedenen Kräften produziert worden ist) "Sinn" geben. Bei der Produktion von Bedeutung spielt unsere Arbeit als Publikum ja eine ungeheure Rolle, und eben diese Arbeit nachträglich auf das Regie-Subjekt zurückzuführen, scheint mir falsch. Noch dazu, weil die historischen Produktionsprozesse sehr oft diesem Master-Plan widersprechen.

Ich denke, dass wir damit gar nicht weit auseinander liegen. Welche Rolle spielen dominante Fiktionen sowohl in Filmen als auch in Filmkritiken? Wie funktioniert "Verstehen" in diesem Zusammenhang? Du fragst: "Durch welche Gesten und Verfahren werden Filmkritiker wahrnehmbar und wichtig (zu Autoren)?" Dazu gäbe es sehr viel zu sagen - auch, dass spätestens seit Mitte der 50er Jahre, als Truffaut, Godard und die anderen als Filmkritiker Hitchcock und Hawks als Künstler etablierten, die Entdeckung von Filmemacherautoritäten ein wesentlicher Teil dieser Gesten und Verfahren ist. Natürlich ist jeder veröffentlichte Beitrag potentiell eine Geste, mit der man sich einen Namen macht. Auch eine Kritik am auteurismus oder an Tendenzen der aktuellen Filmkritik kann dazu prima dienen. Bourdieu hat vorgemacht, wie man als dezidierter Kritiker von Autoritätskämpfen, des "Ringens um symbolisches Kapital", selbst unbestrittene Autorität werden kann. Mir erscheint es als das beste, mit diesen Problemen und Fragen so transparent wie möglich umzugehen. Vielleicht könnte hier ja eine Diskussion darüber beginnen, wie das aussehen kann. Wie kommen wir in ein Verhältnis zum jeweiligen Film? Von wo aus sprechen wir? Und wie können wir beim Schreiben auch von unsere Bedingungen des Filmverstehens und Schreibens handeln?

Viele Grüße,
Jan Distelmeyer



Montag, Oktober 07, 2002
Presseschauen
Kam hier noch nicht vor: filmz.de: mit links zu allen vielen deutschsprachigen Rezensionen (neu)angelaufener Kinofilme.



Donnerstag, September 26, 2002
Gott allein weiß, was Brian Wilson meinte
In dem Film L’amour, largent, l’amour wird die Liedzeile oben, God only knows what Brian Wilson meant, mehrfach wiederholt. Ich weiß nicht, wer dieses Lied auf dem Soundtrack singt, aber es ist eine schöne Ellipse, in einem Film zur verrückten Liebe einen Popsong fragend und zweifelnd auf einen Popsong verweisen zu lassen, den Popsong vielleicht über das Gefühl des Geliebtwerdenmüssens und des Verlorenseins ohne das Geliebtsein durch eine/n Bestimmten, God only knows what I’d be without you. Und natürlich wird L’amour, l’argent, l’amour zum Schluß auch, nach 137 Minuten, zu der filmischen Entsprechung eines solchen Geschicks.
L’amour, l’argent, l’amour sah ich zuerst Anfang des Jahres mit Stefan in einer dieser Samstagmittagveranstaltungen ungestarteter Filme im Arsenal, Berlin. Stefan war auch dabei, als wir vor längerer Zeit Grönings TERRORISTEN auf Video sahen. Den Film mochte ich damals nicht besonders. Um den Film herum, und dessen Ausstrahlung im Ersten Fernsehprogramm, Anfang der 90er, gab es einen Skandal, an die Einzelheiten erinnere ich mich nicht - schaltete sich der Bayerische Rundfunk aus dem abendlichen Sendeverbund, weil in dem Film eine avantgardistische Terroristen-Kunstgruppe in einem hamburger Loft ein Attentat auf Helmut Kohl plante und dann auch -scheiternd?- durchführte? TERROISTEN mochte ich nicht sehr, weil er mir zu sehr um das kalkuliert Skandalöse herumgebaut schien; bei seiner bewußt scheiternden modernistischen Artifizialiät kam mir fast das Kotzen. Heute Nachmittag blätterte ich in der Programmzeitung und entdeckte den Ausstrahltermin von L’amour, l’argent, l’amour auf Arte. Ich suchte ein paar Bilder zusammen im Netz und notierte den Film als Fernsehhinweis ins Weblog. Ein Text zu dem Film war mir nicht eingefallen.
Beim Angucken des Films sind mir die Sachen vom Wolfgang Schmidt von dieser Seite eingefallen. Ein/Aus. Fernsehberichte. Wenn Wolfgang Schmidt diesen Text hier schreiben würde, stände jetzt vielleicht auch noch was über Hans-Dietrich Genscher, der in der DAS WERK/arte-Geldscheffel-Reihe “Why are you creative?”, die dem Gröningfilm folgte, nach Kreativitiät, seiner Kreativität gefragt wurde. Irgendwie raffte er, altersweise erscheinen wollend, zwei, drei Substantive zusammen. Phantasie und so. Und das man mit sich im Reinen sein müsse, wegen der Kreativität. Auf dem Wörterberg würde Treffendes stehen können darüber, wie die Kreativen der Wenderschen Sorte Vorschub leisten für nachhaltige semantische Verschiebungen sozio-ästhetischer Begriffe im Sinne Hartzs und Späths. Ich kann sowas nicht schreiben. Ich kann darüber schreiben wie Ludger mir vor Jahren aus der Zeitung die Geschichte von den beiden Jungen erzählte, 12 und 13 Jahre alt: wie sie ein Auto klauen, von Berlin, Marzahn auf die A10 bis nach Hamburg und zurück und kurz vor ihrer Wohnung erst, in Berlin, von der Polizei gestellt werden nach einem Tag und einer Nacht und in der Zeitung habe nichts darüber gestanden, was zwischendurch geschah; und wie man sich aber einen Film ausdenken könnte, der davon, davon was da zwischendurch geschehen könnte, etwas zeigen würde. Bei L’amour, l’argent, l’amour, Grönings Film heute abend, stellte ich mir wider besseren Wissens vor, wie Gröning den großartig ungelenken Schauspielern in Berlin einfach nur Mikrophone angesteckt habe und der Kamerafrau Filme in ihre Tasche gelegt und gesagt: nun mal los, macht mal, wir sehen uns dann in Hamburg. Und wie sie dann losfahren, zu dritt, von Berlin übers Ruhrgebiet nach Duisburg und von dort über Paris an den Atlantik.
Ich habe mir nie die Mühe gemacht, etwas über Roadmovies zu lesen. Ich gucke sie mir aber andauernd an. (Demnächst: Badlands, von Terence Malick, auf Arte.) Fernsehgucken kann man nicht mit Roadmoviegucken vergleichen, es ist eher wie Spazierengehen in Redlightvierteln, kaum ist man an einem Haus vorbeigekommen, zerrt ein nächster Türsteher einen in sein Boudoir, Hans-Dietrich Genschers Auffassungen zur Kreativität zu lauschen. Ich möchte aber noch etwas über den Film von heute schreiben. Aber der Durchmesser meines Fernsehers beträgt etwa dreißig Zentimeter. Als ich Michael heute anrief, um ihn daran zu erinnern, den Film von Gröning nicht zu verpassen, versprach ich ihm vor allem dessen Farben - natürlich hat das Farbenwahrnehmen auch etwas mit dem großartigen Filmfarbenbuch von Frieda Grafe zu tun (Frieda Grafe: Filmfarben, mit Die Geister die man nicht loswird. Ausgewählte Schriften in Einzelbänden, Band 1. Berlin: Brinkmann und Bose, 2002). Im Kino packten mich die Farben von L’amour, L’argent, L’amour spätestens als das Paar Berlin verlassen hatte, im Winter. Aufwachen im Auto auf einem abgeernteten, vereisten Feld. Die Haare kleben an einem oder stehen zu Berge. Und es hat einen schlechten Geschmack im Mund. Und man friert. Und die ganze Leinwand ist schmutzigweiß. Vorher waren die Geschehnisse im Film fast immer in Nacht zu sehen und dann auf einmal dieses überstrahlende Weiß. Stefan und mir schmerzten die Augen im Kino davon. Wolfgang Schmidt schrieb hier einmal etwas über die aufrauhende Funktion des Fernsehens. Dass das Fernsehen die Sujets greifbarer macht, und die Knoten, Übergänge, Scharniere einer Erzählweise diskursiver. Als ich aber bei Michael heute für den Film warb, wollte ich ihn mit dessen artaudscher Rauhheit und vorbehaltloser Unmittelbarkeitsemphase überzeugen, die sich bei meinem Fernsehen des Films aber fast restlos auflöste. Beim Gucken jetzt war mir auch noch Punk eingefallen. Die drei Akkorde und die Unbedingtheit, die es braucht, einen Film zu machen. Ich finde es ganz unverständlich, dass es keinen Verleiher hier gibt, der diesen Film in die Kinos brachte.



Mittwoch, September 25, 2002



Fernseh-Hinweis

L’amour, l’argent, l’amour
, Regie: Philip Groening, Kamera: Sophie Maintigneux, CH/F/D 2000, 137 Min.
Heute, Mittwoch, 25. September, 22:45, arte



Montag, August 19, 2002
montageforum.org: Linkliste, zur Montagetheorie des Films



Sonntag, August 18, 2002
Ebert: (...) Das Visuelle ist etwas Zerebrales, das jeweils auf den Wahrnehmungsebenen spielt, auf denen man die Dinge anvisiert. Du könntest dir mit der Kamera auch die Silberkörner sichtbar machen, wenn sie belichtet werden, oder fliegende Elementarteilchen lassen sich in einem Hochenergiebeschleuniger fangen, doch wenn du das Bild so weit in die optische Information der Materie hinein auflöst, kommst du irgendwann in Bereiche des Immateriellen und rein Symbolischen.
Damit will ich nur sagen, daß das Kino nichts wirklich abbildet ohne eine bestimmte Sehweise. Es ist das Verlangen zu sehen, das etwas sichtbar macht. So daß die Filme also keineswegs in einer beliebigen aktuellen Gegenwart abrollen, sondern in einer Illusion von Gegenwart, in einer Virtualität verschiedener denkbarer Welten. Die “Gegenwartskunst” filmischen Sehens besteht eben darin, in einem einzigen Bild die Welt anhalten zu können, “woanders” zu sein und die Urteile über die Wirklichkeit aufzuheben. Ohne die Möglichkeit eines solchen Stillstandes der Bilder (S. 26) würde unser armes Auge nur Flimmern sehen. Die Wirklichkeit ist grundsätzlich eindeutig, ein echtes Bild dagegen unendlich vieldeutig - das ist der Trancemoment der Filmkritik, völlig nutzlos, aber unersetzbar. Allein aus dieser symbolischen Reflexionsfähigkeit des inneren Auges schöpft, recht verstanden, im Sinne Bazins noch, der Mythos des totalen Films. Aber ich fürchte, dies idealistische, selbstreflexive Element in der historischen Erfindung des Kinos ist seinen Nutzern heute gar nicht mehr bewusst. (...)

Beringer:(...) Mein Problem ist, dass ich nicht weiss, was das sein soll: ein Bild oder eine Einstellung als Zeichen. Wenn ein Film 'redet', dann ist das Faszinierende doch gerade, dass das auf einer anderen, vielleicht averbalen oder vor-verbalen Ebene geschieht und eben nicht so 'lesbar' ist wie ein Text. Die Verführung ist immer wieder gross, die Sprachen zu verwechseln - natürlich soll man verbalisieren, in Worte übersetzen, denken, was man da gesehen und gehört hat, aber das heisst ja noch nicht, die beiden Ebenen nicht auseinanderzuhalten und für sich, wie zwei parallele Welten, bestehen zu lassen. (So wie es in einem selbst ja auch geschieht: vor dem Einschlafen wälzt man noch Worte und Sätze, danach kommen die Bilder - man ist näher am Schlaf.)
Sicher sind die Einstellungen 'aufgeladen' mit Absichten, Gedanken, Gefühlen und tragen ihre 'historisch-materielle Signatur' (Deleuze hat ja versucht, die verschiedenen Arten von Filmbildern zu charakterisieren), aber ein Bild ist trotz allem immer noch etwas für sich - interessant darin ist auch der sozusagen nicht-menschliche Anteil. Und je mehr ein Bild nur noch Zeichen ist (schliesslich zur Chiffre herunterkommt, wie etwa die Nachrichten-Archivbilder für 'Judenvernichtung' und 'Auschwitz'), desto verbrauchter und nichts-sagender wird es - oder entzieht sich eben. (...)

Der Abschnitt oben ist ein Auszug aus einer Korrespondenz über “Filmkritik”, zwischen Jürgen Ebert und Johannes Beringer, gewechselt anläßlich der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Serge Daney: “Persévérance. Entretien avec Serge Toubiana." Paris 1994. Dt. "Im Verborgenen. Kino - Reisen - Kritik". Wien 2001.
Den Briefwechsel kann man hier im Netz, oder in der soeben erschienenen neuen Ausgabe von shomingeki lesen.
shomingeki- Filmzeitschrift | Nr. 11/12 | Frühling/Sommer 2002 | Preis 6 Euro
Mit Texten über Filme von Shaheen Dill-Riaz, Thomas Schlottmann, Simone Bitton/Cathérine Poitevin, Lothar Schuster, Klaus Wildenhahn, Danièle Huillet/Jean-Marie Straub; Notizen vom Filmfestival Oslo 2001 und der Berlinale 2002; einem Text von Bettina Klix zur “Kunst der Filmbeschreibung - Über Helmut Färber” [hier auch online]; sowie einem Essay von Charles Hersperger.
In Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg, Hannover und Köln in ausgewählten Buchhandlungen, oder hier -per mail- zu bestellen.



Donnerstag, August 08, 2002
"What do you see, when I turn out the light?"
- Blitzlichter auf das Kino und das Leben

Ilse Aichinger, 1921 in Wien geboren und heute dort lebend, schreibt seit vielen Jahren kurze Texte und Glossen für den Wiener "Standard". In diesen Texten widmet sie sich dem Kino und der Photographie. Um der verfließenden Zeit Einhalt zu gebieten, zugleich aber auch um an ihr teilzuhaben, geht sie ins Kino. Auf Filmregisseure von Fritz Lang bis Jean-Luc Godard, auf Filme vom "Dritten Mann" bis zu "Allemagne neuf zéro" wirft sie ganz kurze, beinahe verschwindende Streiflichter. In den Texten und zwischen den Zeilen erscheint dabei trotzdem das Kino als die Höhlenmalerei der Moderne, als das bildgewordene Innenleben unserer Zeit.

Wenn der Krieg beginnt, wenn der Krieg zu Ende ist, das Kino macht weiter.
Kino ist immer, macht immer weiter, nur an Karfreitag haben die Filmtheater spielfrei. Die Filme weisen auf "Lebensarten, Sterbensarten, aber vor allem Kinoarten, Kinoplakate, Kinoeingänge – dorthin, wo man immer hin wollte, ins Herz der Finsternis".

Ilse Aichinger schweift in ihren kurzen Texten ab, schweift weit ab, nimmt einen Film nie direkt unter die Lupe. Im Gegenteil je indirekter sie sieht und schreibt, um so genauer scheint sie zu werden, dem Atmosphärischen und Ungefähren des Kinos angemessen.

Ihr Leitmotiv bildet eine Zeile aus einem Song der Beatles: "What do you see, when I turn out the light?" Sie schreibt über diese Zeile: "Das wollen nur die Kleinen wirklich wissen, die anderen fürchten solche Fragen. >When I turn out the light?<: Soll das nicht heißen, dass einer fortgeht? Unser Sohn fürchtete schon bald, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte, die Abschiede. Es half nichts ihm zu sagen, dass man immer von jedem für immer Abschied nehmen muss".

Jeder Kino-Besuch kann zu einem kleinen Abschied werden, zu einem kleinen Gang in das Herz der Finsternis. - Beinahe beiläufig streifen die "Blitzlichter" von Ilse Aichinger solche direkten und nahen Wahrheiten. Vielleicht kann auch das Schreiben heute nur in einer solchen Beiläufigkeit bestehen. Etwas streifen.

Ilse Aichinger; Film und Verhängnis. Blitzlichter auf ein Leben.
Frankfurt/M. 2001.

(Manfred Bauschulte)



Freitag, August 02, 2002
VIET/NAM
der wahrscheinlich debilste schnitt des jahres ist in randall wallace's we were soldiers ... and young (wir waren helden) zu sehen. das erste bild ist eines aus der schlacht in vietnam. die amerikaner liegen eingebuddelt und mit der kamera im rücken auf dem boden, dann tauchen über eine kleine kuppe die nordvietnamesen auf und stürmen. schnitt in den alltag back home: eine soldatengattin führt den staubsauger in derselben bewegung über den teppichboden, die gerade noch die vietnamesen durch das andere filmbild zurückgelegt hatten. für das massaker im eigenheim an den milben und staubbewohnern wäre allerdings pixar zuständig. ich weiß nicht, wie entstellt diese erinnerung inzwischen ist (in der pressevorführung mußte ich laut lachen), aber ich muß dabei daran denken, daß mein gedächtnis bei THE DEER HUNTER von cimino immer eine ellipse eingebaut hat: ich dachte viele jahre, daß es einen schnitt gibt, der direkt von der jagd auf das großwild in den käfig führt, in dem de niro und walken & co in vietnam eingesperrt sind und zum ersten mal russisches roulette spielen. die szene im gasthaus, das I LOVE YOU BABY, das alles hatte ich vergessen, weil ich damals nicht so sehr am epos als an der eskalation interessiert war. bei randall wallace wird der gedanke von cimino, daß der vietnamkrieg eine spezifische vor- und eine traumatische nachgeschichte hatte, unerträglich trivial in genau dem oben beschriebenen schnitt, der auf eine politisch korrekte weise ja fast feministisch ist, aber es ist ein berücksichtigungsfeminismus, den sich im klassischen hollywood auch die frauen verbeten hätten, und auf den die vietnamesen, würde man sie gefragt haben, ob sie bei randall wallace auch helden sein wollen, ziemlich sicher verzichtet hätten. we were soldiers ... and we were young: ein ausgewogenes werk.
zur zeit: lagaan im berliner balazs und auf dvd
demnächst: la cienaga von lucrezia martel und le souffle von damien odoul



Dienstag, Juli 30, 2002
Oft wiederkehrende Erinnerung an und von Robert Bresson

Die Schauspielerin
Dominique Sanda sagt
Dass er sie unerbittlich
Daran erinnert
Im Sprechen
Immer die Augen
Auf die Ohren des Anderen
Zu richten
Dem Zuhörenden niemals
In die Augen
Zu schauen

(Manfred Bauschulte)



Montag, Juli 29, 2002


Fernseh-Hinweis
Montag, 29.7., 23:10 - 0:40, 3 Sat
Detektive, von Rudolf Thome. BRD 1969



Donnerstag, Juli 11, 2002
“Es ist auch gar nicht einfach, über Durchsichtiges zu schreiben mit kompakten Wörtern.”
(Frieda Grafe, 1934-2002)

Ein paar links zu Texten von und über Frieda Grafe im Netz:
Harun Farockis Festrede, vorgetragen zur Verleihung des 01-Awards 2000 der Hochschule der Künste Berlin an Frieda Grafe und Enno Patalas.
Manfred Bauschultes Text Arbeit an der Geographie des Unsichtbaren - Nachruf auf Frieda Grafe.
Auzüge eines Textes von Frieda Grafe, von 1974 über Frauenfilme und Filmfrauen, Das kreative Geschlecht, wiederabgedruckt in der heutigen SZ.
Frieda Grafes Das große Fräuleinwunder über Marlene Dietrich, aus der taz vom 27.12.2001.
Frieda Grafes Die Geschichte von der Einsamkeit des Helden, geschrieben anläßlich des 70ten Geburtstags von Godard, veröffentlicht am 2.12.200 in der SZ.



Mittwoch, Juni 12, 2002
Harun Farocki hat uns freundlicherweise einen Text zur Verfügung gestellt: Quereinfluss/Weiche Montage, geschrieben für die herausragende französische Zeitschrift “Trafic, revue de cinéma”. Hier zu lesen.



Dienstag, Juni 11, 2002
Fernseh-Hinweis
23:15 bis 1:10 - Mittwoch, 12.6.2002 im WDR: “Der Wind wird uns tragen” (Iran/Frankreich 1999, OmU), von Abbas Kiarostami



Samstag, Mai 25, 2002
Robert Bramkamps Film Prüfstand 7 -über Raketenmythen, das Verhältnis von Körper und Technik, Thomas Pynchons “Gravity’s Rainbow”, Nordhausens "Mittelbau Dora", die Raketenstadt Peenemüne und den Space Park in Bremerhaven- läuft seit Donnerstag in Hamburg im Kino und danach in mehreren deutschen Städten. Ab Ende Juni auch in Berlin.
Michael Girke hat ein längeres Gespräch mit Robert Bramkamp zu dem Film geführt, das hier ungekürzt zu lesen ist.



Fernseh-Hinweis
3-Sat, Sonntag, 26.5.2002. Ab 21:15 Uhr Filme von Peter Nestler (“Menschen in Sheffield”, 1965 | “Am Siel”, 1962 | “Aufsätze”, 1963 | “Mühlheim/Ruhr”, 1964) und ein Gespräch mit Nestler.




Fernseh-Hinweis
Arte, Samstag Nacht, 26.5., 0 Uhr: Divina Obsesión, von Volko Kamensky. Deutschland 1999. 28 Minuten um Kreisverkehrmittelinseln in Frankreich. Mit Telefoninterviews.



Freitag, Mai 24, 2002
Neulich im Arsenal, eine postkoloniale Erfahrung:
Pasolini möchte die Orestie in Afrika wiederfinden. Er erzählt im Off, wie es sich das vorstellt, während er mit der Kamera unter die Menschen geht, und assoziiert. Die Nacherzählung der altgriechischen Dramen, dazu Bilder von Menschen, die einer Zivilisationsgeschichte entsprechen, traditionell aussehende zu Beginn, am Ende urbane, westlicher Habitus. Dann das Casting: Wer könnte Agamemnon sein? Wer Orest? Wer sind die Furien? Wilde Bäume, wilde exzentrisch gewachsene Kronen. Die Furien können von Menschen nicht dargestellt werden. Die Studenten in Rom problematisieren den Ansatz von Pasolini: Afrika ist nicht einfach Afrika, die Nationen sind zerstritten in Stammesgebiete, ein Bretone ist auch nicht sofort ein Franzose oder ein Europäer. Es geht um die Einheit der Erzählung, um das Subjekt, die Frage kehrt in der zweiten Gesprächsrunde wieder, dann schon individuell: Seid ihr Orest? Dazwischen die Orestiade, wie Pasolini sie vorfindet: Das Feuer, das Kassandra und Agamemnon vorauseilt. Bilder aus dem Biafra-Krieg. Eine brennende Raffinierie ist Troja. Ein Mann wird hingerichtet, erschossen, Pasolini schweigt dazu, auch die Kamera läßt sich zurückfallen aus der Gruppe, die den Mann abführt. Eine Leiche wird begraben, aus der Savanne (Uganda und Tansania sind die Länder, in denen das meiste gefilmt wurde) kommt Orest, auch Elektra. Das mythische Stadium ist bei Pasolini auch eines der Archive, er dreht das nicht selbst, sondern nimmt Bilder (appropriation), es geht um Transformationen des Mythos (war Pasolini ein Strukturalist?), der in einem abrupt eingeschobenen Intermezzo sogar in Avantgarde übersetzt wird: In Jazz (Gato Barbieri), zu dem zwei schwarze Sänger, ein Agamemnon, eine Kassandra, die Untergangsprophetien singen; dann in ein Geschehen, das nicht inszeniert ist, sondern vorgefunden, die Darsteller sprechen nichts, sondern gehen nur durch das Bild: Orest kommt in den Tempel Apolls, der die Universität von Daressalam ist, von der Volksrepublik China gestiftet, aber mit amerikanischen ("neokapitalistischen") Büchern in der Vitrine; Pasolini kann sich seine Orestie nur "popolare" vorstellen, deswegen ist der Chor so wichtig, die Menschen der "afrikanischen Renaissance"; sein Film wird "datata" sein, veraltet, bei dem Tempo der Veränderung. Orest tritt vor das Gericht und wird freigesprochen, die Furien (Stauden im Wind) werden gezähmt, und Pasolini sucht nach einem Bild dafür: er findet einen Tanz bei den Vagogos, der vor kurzer Zeit vielleicht noch kosmische Bedeutung hatte, jetzt aber ein leeres Ritual ist; und er findet bei einer Hochzeit eine Gruppe von "Folklore" (Schamanen? Unterhalter? Tänzer?), die zugezogen werden, um das Fest rituell anzureichern. Die Arbeit der Eumeniden. Elemente der Fotoromanza. Euphorische Tropen.
Ich würde gern nach den Studenten suchen, die damals mit Pasolini gesprochen haben.



Freitag, Mai 03, 2002
Jean-Luc Godard: Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos.
Bei http://textz.com/



Freitag, April 26, 2002
Bartleby und Two-Lane Blacktop aufeinander zu beziehen, das ist natürlich eine willkürliche Assoziation. Und doch erscheint mir die Erzählung von Melville wie ein Urtext, von dem Monte Hellman einen (durch viele historische Schichten und solche des Unbewußten hindurch veränderten) "Abkömmling" hergestellt hat, in einer anderen Epoche, in einem anderen Medien, aber immer noch nach der Formel: Ich möchte lieber nicht. Bartlebys Entschluß, das Kopieren (von Gesetzestexten) aufzugeben, und das Anstößige, das sich in seinem Todestrieb äußert (den sogar Deleuze nur als prophetische Magersucht deuten kann), sind entscheidend. Auch der Fahrer und der Mechaniker geben das Kopieren auf, indem sie ihr Auto (das dem klassischen Abschreibprozeß des 20. Jahrhundert entstammt, der fordistischen Produktion) wieder individuell machen, durch Bauteile, derentwegen sie bis Columbus, Ohio fahren würden. Auch der GTO träumt ständig davon, "one of those Detroit machines" so umzubauen, daß sie seinen Größenphantasien besser entspricht. "A clean machine, homegrown", sagt James Taylor einmal über das Auto eines Konkurrenten, als wäre der ein lächerlicher Biobauer, aber die Idee des Nonkonformen teilt er natürlich, unausdrücklich und introvertiert zwar. Das Gesetz, das von Melville bis Hellman gilt, ist das der Kopie, und es ist kein Zufall, daß die Kollegen von Bartleby allesamt Originale sind, aber widerspruchslose Abschreiber, während Bartleby eine Null ist, mit der sich nichts mulitplizieren läßt. Die Zweckentfremdung des Automobils in Two-Lane Blacktop wendet sich auch gegen das Gesetz: Ausdrücklich dort, wo die Highway Patrols verhöhnt werden, viel wichtiger aber insofern, als das Auto so "überdeterminiert" wird, daß man damit gar nicht mehr richtig vom Fleck kommt. Bartleys träumerisches Verweilen vor einer Feuermauer und James Taylors Blick nach vorn durch die Windschutzscheibe sind verwandt: Es ist ein nicht-gegenständliches Sehen, aus dem der Fahrer nur herausgerissen wird, wenn es einen Unfall zu vermeiden gilt, das sich am Ende aber tatsächlich erfüllt, wenn das Bild selbst einen Unfall erleidet und mit seinem Betrachter, dem Lenker, identisch und abstrakt wird. Bartleby bekommt von Melville am Ende noch einen Tod und eine Vorgeschichte, der Fahrer aber wird zu reiner kinetischer Energie, woraus sich kein religiöser Gewinn mehr ergibt, aber auch kein Verweigerungspathos, das sich so einfach politisieren läßt, wie Hardt und Negri in Empire Bartleby für ihre Globalisierungskritik reklamieren. Bartlebys Formel hat sich in Two-Lane Blacktop zerstreut, sie hat ihre Dringlichkeit verloren, und ist nur noch in Echos zu vernehmen: That don't hardly matter to me, sagt ein Anhalter mit Stetson, der ähnlich von sich selbst abzusehen scheint wie Bartleby auch. No good, sagt das Mädchen, bevor es sich aus dem Film davonmacht, ohne noch den Beutel mitzunehmen. Die Menschen, die den Film durchkreuzen, tragen alle ein Moment dieser Verweigerung in sich, aber in einer Welt, die tatsächlich "vaterlos" ist, wie Deleuze schrieb, wird die Differenz zwischen Original und Kopie unwichtig, und deswegen kann der Fahrer nicht sterben, sondern muß frontal in das Medium krachen.



Mittwoch, April 24, 2002
Kino-Hinweis


Two Lane Blacktop, von Monte Hellman, USA 1971
Donnerstag, 25.4., 19 Uhr, im Arsenal, Berlin.
2LB ist schon häufiger auf diesen Seiten vorgekommen, als geheime, fast untergründige Referenz. Seit Bert Rebhandl mir vor 1 Monat erzählte, er würde den Film im Arsenal vorstellen, in Kombination mit Herman Melvilles “Bartleby”, fiebere ich der Sache entgegen. “Bartleby” -hier kann man die Erzählung lesen- hat eine ähnlich untergründige Wirkungsgeschichte wie der Film von Hellman (George Perecs Erzählung “Un homme qui dort” und sein gleichnamiger Film beruhen darauf; Jay Leyda, amerikanischer Assistent Eisensteins und Melvilleforscher, hat ein Opernlibretto zu “Bartleby” geschrieben; und Deleuze und Agamben in den 90er Jahren lesenwerte, bei Merve auf Deutsch veröffentlichte Texte). Ich erinnere mich jetzt auch viel zu wenig an Hellmans Film, nur an Eindrücke von Weite und Offenheit. Und daran, dass diese Weiten und Offenheiten etwas Beklemmendes, de-euphorisierendes haben. Wenn “Two Lane Blacktop” noch ein “Road Movie” ist, dann eines, dass die Linearität der Erzählung nicht mit dem Versprechen des auf ein Ziel hin gerichteten Unterwegsseins verbindet. Es wird dem Film, trotzdem er zum Ende in Flammen aufgehen wird, sehr viel Liebe entgegnet, vielleicht auch unerwiderte (und vielleicht gerade wegen seines Verbrennens so bedingungslose). Ich nehme mal an: vor allen von Jungs. Sucht man bei Google nach Belegstellen zu dem Film, stößt man auf 967. Viele Fanseiten. Kult-Film.
Im Internet zu sehen: autofahrende Jungs, die sich “Ölprinz” nennen und Monologe voll der sachlichen Schönheit von Maschinennamen, die von Denis Wilson, damaliger drummer der Beach-Boys (the mechanic) gesprochen werden, auf ihre Homepages stellen (http://www.oelprinz-online.de/tlb.html) - hier:
“Check that ‘67 ‘cuda...That’s nice, a ‘57 Chevy. Hmmm, a 442 Olds. There’s a little muscle around tonight. What we got over there?...A Ford 429. An Anglia panel. Look at that Anglia panel. Beautiful. An AMX. Okay... Listen, we got to just rope one out... I believe I got her spotted. Look at that ‘67 Plymouth Road Runner and that dude in those sharp threads eatin’ a chiliburger. That’s a score. A Hemi, two four-barrel Holley carbs. Chrome rims. Goodyear slicks. Headers. Probably a torqueflite transmission. Yeah, well let’s get it on.” 

Oft auch: Kaufaufforderungen -die VHS, die DVD, die diversen Original-Poster (australisch, englisch, amerikanisch) für ein Heidengeld.
Auch sind dort Leute zu finden, die einen schönen Teil ihres Leben den geisterhaften Austragungsorten dieser amerikanischen Regionalrennen widmen -http://lakelandraceway.crosswinds.net
Andere, die über die Begeisterung für Tarantino zu dem Film fanden: Hellman hatte das Buch zu Reservoir Dogs gelesen und wollte es verfilmen. Er traf sich mit Tarantino. Aber Tarantino meinte, “... bei allem Respekt für sie, Mr. Hellman, das ist mein Film...” und wollte später ein Drehbuch für Hellman schreiben. Hat er aber nicht gemacht -http://www.geraldpeary.com/books/tarantino_interview.html. Aber Hellman war dann immerhin ausführender Produzent von Reservoir Dogs.
Irgendwann, um den Sommer 2000, ist Hellman in Austin, Texas, und dreht in der Gegend seinen neuen Film, Pay Off, wird gesagt. Und in Austin war im Sommer 2000 auch eine Ausstellung mit Schwarz/Weiß-Fotografien von ihm zu sehen -http://www.ifmagazine.com/common/article.asp?articleID=567
Eine Weblogautorin berichtet, sie hätte Hellman nach der Vorführung von 2LB einen Miniaturfrosch geschenkt -http://bitchinville.blogspot.com/?/2001_12_01_bitchinville_archive.html
Und James Taylor sagt 1976/77, er habe den Film nie gesehen.
Ich stelle mir all diese Leute vor. Und mich/uns, jetzt in der Reihe der 967 google-Fundstellen, abgezogen vielleicht die “compare-prizes” und imdb und diverse dvd-mailorder-Seiten. Lass es 100 Fans sein, die ein paar Stunden und Tage lang html und was-weiß-ich-noch-alles gelernt haben, um diesem Film zu huldigen.
Hier noch ein paar links:
-Ein Bericht aus dem “Rolling Stone", 1970, über die Dreharbeiten:
On Route 66 -- Filming Two-Lane Blacktop; und einer aus dem “Show Magazine”, March 1971: http://geocities.com/denniswilsondreamer/denny/mag.html
- 4 Interviews mit Monte Hellman: 1 | 2 | 3 | 4
Und: Richard Linklater gives 16 reasons to love the classic Two-Lane Blacktop



Donnerstag, April 11, 2002
warum finde ich JOL vom dareschan omirbaev so gut? ich glaube, mich begeistert die orthodoxie, mit der hier zwischen den verschiedenen bewußtseinszuständen hin- und hermontiert wird, wie sich die wassermelone, die der regisseur an einer kasachischen landstraße kauft, in einen ball verwandelt, mit dem reisende an einer wasserstelle spielen, und wie der ball dann in einer sequenz wieder auftaucht, die eine mögliche einstellung für einen film darstellt, über den der regisseur im film nachdenkt, den es in wirklichkeit aber schon gibt: KILLER - omirbaev wurde damit bekannt, aber die form von JOL erinnert mich eher an den sehr schönen KAIRAT, eine vitelloni-geschichte, die auch im kasachischen nirgendwo beginnt, an einer eisenbahnhaltestelle. JOL setzt ein individuum zusammen, einen filmemacher, den ein filmemacher spielt (djamsched usmonow), der auf dem weg in sein dorf ist, wo seine mutter zu begraben ist. der filmemacher ist aber kein individuum, sondern gewissermaßen der kasachische gesamtfilmemacher, denn die episoden, an die er denkt und an die er sich erinnert (zwischen rückblende und möglichkeitsform macht omirbaev keinen unterschied), sind solche aus dem kasachischen kino der letzten zehn jahre: die geschichte von dem mädchen, von dem für eine großaufnahme ein body double eingesetzt wurde, und das sich dadurch entehrt fühlt, hat sich tatsächlich zugetragen, und der mann, der den filmemacher in JOL dafür vermöbelt, ist serik aprymow, der regisseur des inkriminierten films. das verprügeln ist aber auch variation einer geldeintreiberszene aus KILLER. wie der titel schon sagt, ist JOL sehr linear konstruiert, am ende der reise ist dann auch am anfang der subjektivität: wenn die lehrerin die schulkinder anweist, die augen zu schließen und sich etwas vorzustellen, ist das vermutlich die geburt des filmemachers, den wir als erwachsenen sehen. auch das ist sehr orthodox gedacht. wenn die kinder dann, nun wieder mit offenen augen, an das fenster treten, um den fallenden schnee zu bestaunen, und die lehrerin hinter den jungen (filmemacher) tritt und ihm sanft die hand auf die schulter legt, dann kann ich nicht anders als an proust denken. der rahmen der geschichte nimmt wieder auseinander, was das road movie zusammensetzt: der brief, den die ehefrau am morgen an ihren mann, den filmemacher schreibt, nach einem traum, den sie hatte und aufzeichnet, macht den mann selbst zum objekt einer phantasie, eines liebeswunschs, der sich über einen akt der unbedingtheit wie bei dostojewski vermittelt: jemanden töten. von PASSE-MONTAGNE habe ich mittlerweile einige passagen wiedergesehen, noch nicht aber den ganzen film: eines nachts blieb ich einfach sitzen, als ich ihm auf arte begegnete, und fand plötzlich recht klar, was mir zuvor immer verwirrend erschienen war. man betritt diesen film nicht wie einen wald vom rand her, er fängt mitten im wald an, deswegen trifft man auf die ersten lichtungen erst allmählich. ich schlage vor, den hinweisen, die stevenin gibt, nachzugehen: man könnte SIEGFRIED von jean giraudoux lesen, eine erste deutsch-amerikanische freundschaft, und man könnte kafkas SCHLOß lesen (wegen der landvermesserei). der untertitel des romans von giraudoux lautet übrigens: die zwei leben des jacques forestier, und hieß nicht forestier der offizier in BEAU TRAVAIL? zufall. im übrigen bin ich froh, daß uns heuer der vierte satz der bayerischen schicksalssymphonie (mit effenberg als furtwängler) erspart bleibt.



Freitag, März 29, 2002
Fernseh-Hinweis
Jean-Francois Stévenins PASSE MONTAGNE, Frankreich 1978.
30.3.2002 um 1:05 Uhr. Und Dienstag, 2.4.2002, 0:30 Uhr. Auf Arte. OmU, als “Die Waldläufer”.
PASSE MONTAGNE ist einer der, ach was: der seltsamste Film, den ich je gesehen habe. Vor Jahren einmal, im Kino, als eine Nouvelle Vague Retrospektive der Viennale, von Frieda Grafe ausgesucht, in Berlin gezeigt wurde. Damals im Kino ohne Untertitel, heute Nachmittag auf Video mit, aber das tut sich nichts. Wieso sollte man alles verstehen? Demnächst mehr zu dem Film, jetzt nur, dass die Continuity im Vorspann “John Cassavetes” zugeschrieben wird und dass einer der Kameramänner Jean-Yves Escoffier ist, der Jahre später GUMMO, von Harmony Korine fotografiert hat, einen der, ach was: den seltsamsten Film, den ich gesehen habe.



Dienstag, März 26, 2002
aus einer laune heraus, eine kurze liste mit filmen, von denen ich mir eine DVD-edition wünschen würde: fata morgana (werner herzog), barreventos (glauber rocha), party girl (nicholas ray).



Dienstag, März 19, 2002
Hello, Louise-Lee, * 19. März 2002.



Montag, März 18, 2002
Film-Hinweis
Dienstag, 19.3.02, und Freitag, 22.3.02, zeigt das Arsenal in Berlin den Film A NOS AMOURS von Maurice Pialat. In Thomas Arslans Film Der Schöne Tag gibt es eine Szene, in der die Hauptdarstellerin Serpil Turhan im Rahmen eines Casting die Geschichte von A NOS AMOURS nacherzählt. Thomas Arslan hat uns freundlicherweise eine Transkribtion dieser Szene zur Verfügung gestellt.
*
- Fangen wir an. Am Besten du stellst dich erstmal vor.
- Mein Name ist Deniz Turhan. Ich bin 21 Jahre alt, lebe in Berlin und bin Schauspielerin.
- Du weißt, dass es um eine Hauptrolle geht.
- Ja.
- Traust du dir das zu?
- Sonst wäre ich nicht hier.
- Erzähl uns was.
- Fragen sie mich etwas genauer.
- Zeig uns was von dir, was du erlebt hast. Oder erzähl einen Film, der dich in letzter Zeit besonders beeindruckt hat.
...
- Es ist ein paar Wochen her. Ich hatte den ganzen Tag gearbeitet und war sehr müde, als ich nach Hause gekommen bin. Ich habe den Fernseher angemacht und ein bißchen rumgeschaltet. Dann bin zufällig auf einen Film gestoßen, der sehr schön war. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens. Sie ist 16 oder 17. Es ist Sommer. Das Mädchen ist in einem Ferienlager am Meer. Man sieht sie bei den Proben zu einem Theaterstück. Kurz darauf ist die Aufführung, nachts unter freiem Himmel. In dem Text, den sie spricht, geht es um die Liebe. Am nächsten Tag trifft sie einen Jungen, ihren Freund. Er ist ihr nachgereist. Sie ist mit ihren Gedanken woanders. Er merkt, dass sie sich von ihm entfernt. Er macht ihr noch ein Geschenk und dann gehen sie auseinander. Beide wissen, dass es vorbei ist.
Dann sind die Ferien zuende. Sie ist wieder in der Stadt, in der sie mit ihrer Familie lebt. Ihre Eltern, die sich ständig streiten, haben eine Schneiderei. Auch ihr älterer Bruder arbeitet dort, obwohl er eigentlich gerne Schriftsteller sein möchte. Sie geht viel aus und bald hat sie einen neuen Freund. Er muß zum Militär. Sie reden darüber, ob sie einander treu sein werden.
Eines Abends kommt sie erst spät nach Hause. Ihr Vater ist noch wach. Sie haben ein sehr langes Gespräch. Es ist das erste Mal, dass sie so miteinander reden. Er sagt ihr, dass er die Familie verlassen wird. Er hat eine Geliebte.
Dann lernt sie jemanden kennen. Er ist noch sehr jung, nicht viel älter als sie. Sie denkt, dass er anders ist als die anderen. Bald darauf heiraten sie.
Ein Jahr später gibt ihr Bruder ein Fest. Sie haben die Schneiderei verkauft. Ihr Bruder lebt jetzt als Schriftsteller, aber niemand nimmt ihn ernst. Sie flirtet auf dem Fest mit einem Freund ihres Mannes. Sie kennt ihn schon lange. Ihren Mann beachtet sie kaum noch.
Nach ein paar Monaten trennt sie sich von ihm. Sie packt ihre Sachen. Ihr Vater begleitet sie zum Flughafen. Im Bus haben sie noch einmal ein langes Gespräch, so wie damals, als sie zu spät nach Hause gekommen war. Ihr Vater sagt ihr, dass sie nicht fähig sei, jemanden zu lieben. Dann verabschieden sie sich. Sie fliegt mit dem Freund ihres Mannes nach Amerika. So endet der Film.
- Gut. Dann sind wir für heute fertig.
- Das war’s?
- Ja. Wir geben dir Bescheid, sobald wir uns entschieden haben.
- Wie lange wird das dauern?
- Nicht lange. Wir melden uns bei dir.



Sonntag, März 17, 2002
Interview mit James Benning
Zu der California-Trilogy von James Benning war hier, während der Berlinale 2002 und danach, mehrfach etwas zu lesen. Zwei Links dazu nochmal: Stefan Pethke schreibt in der Jungle-World über El Valley Centro und Diedrich Diederichsen in der taz über die komplette Trilogie. Am Mittwoch, 20.3.2002, ist EL VALLEY CENTRO, der letzte Teil der Trilogie, im WDR zu sehen, um 23 Uhr.
Anna Faroqhi hatte während der Berlinale Gelegenheit zu einem längerem Interview mit James Benning. Dieses Interview, über Produktionsbedingungen, Kompositionsverfahren, "the politics of water" und "elegant solutions", ist jetzt ungekürzt auf unser Langtextseite bei antville, hier, zu finden.



Samstag, März 09, 2002
Film-Hinweis
Nur heute, Samstag 20 Uhr, wird im Filmkunsttheater Babylon, am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, der Film "Lianlian fengchen", deutscher Titel: “Liebe, Wind, Staub”, Taiwan 1986, von Hou Hsiao-Hsien gezeigt. OmU. Ich kenne den Film noch nicht, und die Leute von shomingeki, die in Deutschland schon früh auf HHH hinwiesen, haben ihre Texte nicht online gestellt. Eben, beim Schnellsuchen, fand ich zwei lesenswerte Seiten, auf denen der Film erwähnt wird, dessen Plot von einem jungen Mann und seiner Freundin handelt, und die Frau wartet nicht auf ihn, als er in den Krieg zieht: hier, französisch, etwas über die nouvelle vague du cinéma taiwanais; und hier, englisch, etwas von Jonathan Rosenbaum über HHH.



Donnerstag, März 07, 2002
Drehbücher, Transkribtionen
simplyscripts.com
Simply links to hundreds of Scripts, Screenplays, and Transcripts of Current, Classic and maybe a few Soon-to-be-Released Movies
Drew's Script-O-Rama
Free Movie Scripts For Everybody
Classic Movie Scripts
Scripts and Transcripts to Classic Movies (and others) made before 1970
Awesome Scripts and Screenplays
Awesome Scripts and Screenplays culled from the Internet and presented for your reading. For Educational Purposes Only
kingrr's Home Page
The Cinematograph, The Tube, The Wireless
Movie-Page.com
The various scripts listed on these pages are for educational purposes only



Mittwoch, März 06, 2002
nach dem film



Art Historian's Guide to the Movies



Neulich, nach SOGOBI von James Benning, zu dem hier unten und in den dortigen Kommentaren Hinweise zu finden sind, meinte B im Foyer des Arsenal Einwände vorbringen zu müssen, die die Geglücktheit des Benningschen Projekts betrafen. Es war zwar erst am späten Nachmittag, doch in meiner Erinnerung war der Himmel über dem Potsdamerplatz, den ich mir, dort unten im Arsenalfoyer stehend, dem Raum hinzudachte, bereits wolkenlos blauschwarz dunkel, fuhr bald schon die letzte S-Bahn, und ich hatte den ganzen Tag gearbeitet, und ich war müde davon, und der Film lief im kleineren der beiden Arsenalkinos, das annähernd ausverkauft zu vollbesetzt und hellhörig für Geräusche der Zuschauer war, und auf der Leinwand waren die Bilder des Films viel zu klein wie Diaprojektionen zu sehen - ein paar Gründe, dem Vorwurf Bs nicht nachzugehen.
Am anderen Tag bekam ich eine mail von B. Ich erinnerte mich wieder an seinen Vorwurf. In der Mitte des Films von Benning war zweieinhalb Minuten lang ein Tal zu sehen und im Hintergrund ein Wasserfall und wie B von diesem Bild unter anderem auf Stichworte wie “Idylle”, “Anthropomorphismus” und “falsch prozessierte Trauer” vorgestoßen ist, ist mir immer noch nicht klar, vielleicht kann er, wenn er das hier liest, in den Kommentaren etwas dazu schreiben. In Bs mail stand ein Zitat von Paul de Man:
Wahre ''Trauer'' erliegt der Täuschung weniger. Das Äusserste, dessen sie fähig ist, ist das Nicht-Verstehen zu erlauben und nicht-anthropomorphische, nicht-elegische, nicht-rühmende, nichtlyrische, nichtpoetische und das heisst prosaische oder, besser historische Formen der sprachlichen Gewalt aufzuzählen.
Heute kann man SOGOBI im Fernsehen sehen, West 3, 23 Uhr, und an den beiden folgenden Mittwochen LOS und EL VALLEY CENTRO. Daran erinnert hat mich dieses Weblog, in dem sowohl das Verschwinden der Riffelblende in den Einspielfilmen von Aktenzeichen XY notiert ist, als auch eine Beobachtung beim Zugfahren nach Süddeutschland: “bunte, nicht mehr recht runde Plastikbälle, verschossen und nie wieder eingesammelt, auf Dächern, in Gräben, sogar auf dem freien Feld.”
Manchmal schäme ich mich dafür, so zu schreiben wie ich schreibe und ich sehe dann auch ein, dass das “Äußerste” wirklich wäre, historische Formen der (sprachlichen) Gewalt aufzuzählen, wie Flaubert und Melville es getan haben, und wie B als Modernist es von mir und von Filmen erwartet. Die California Trilogie von Benning sollte man sich auch deswegen anschauen.



Dienstag, Februar 26, 2002
Nochmal Pialat
Spontaneität, Freimut, Institutionen und Psychologie - Bert Rebhandl hat 1996 für die österreichische Zeitschrif Meteor, Texte zum Laufbild, einen schönen Text zu den Filmen von Maurice Pialat erstellt (Meteor, Nr. 3, 1996, S.9-13). Dieser Text mit dem Titel “Offenes Geheimnis” ist jetzt auch auf unserer antville-Schwesterseite, nämlich hier, zu lesen. Die dort erwähnten Filme sind allesamt während der schon erwähnten Pialat-Retrospektive im Berliner Arsenal zu sehen und ausnahmslos klasse. Die Termine findet man hier.



Samstag, Februar 23, 2002
Geschichtsfilm, Autorenfilm, Filmkritik und Schnittstellen. Ein zitat- und umfangreicher Text von Michael Girke, Liebling, ich habe das Kino geschrumpft, bereichert ab heute unsere Tiefdruckbeilage bei antville.



Freitag, Februar 22, 2002
Gedichte lesen
Walking With The Wind,
von Abbas Kiarostami
This bilingual edition of recent verse by the celebrated Iranian filmmaker Abbas Kiarostami (award-winning director of such films as Close-Upand Taste of Cherry) includes English translations of more than two hundred crystalline, haiku-like poems, together with their Persian originals.



Donnerstag, Februar 21, 2002
Sehr vielseitig, sehr umfangreich: die Homepage von Klaus Wyborny.
Anfang/Mitte der 90er habe ich meinen einzigen Film von Wyborny gesehen, Aus dem Zeitalter des Übermuts, auf der Berlinale. Damals ließ der Projektor der Akademie der Künste den Film in der Mitte verbrennen und Wyborny lief dann rasch aus dem Saal, die Vorführung zu stoppen. Ich erinnere mich an das lyrische “Ach” der Voice-Over, an grobkörnige Bilder der Pyramiden und an eine Geschichte, die von der Idee handelte, auf jener Pyramidenspitze mit einer Frau zu schlafen. Flaubert hatte nur vergessen, diese Idee in seine Reisetagebücher zu notieren.
Band 6 (von 9) der auf der Homepage zu lesenden Comédie Artistique (Aus einem Künstlerleben) heißt Elementare Schnitt-Theorie, und handelt, schreibt Wyborny, “um die Theorie der Filme, die ich nicht machen möchte."



Samstag, Februar 09, 2002
Berlinale: Presseschauen und Weblog



Donnerstag, Februar 07, 2002













El Valley Centro, von James Benning. Heute abend, 22 Uhr, im Arsenal.



Sonntag, Januar 27, 2002
ein filmtip zum gedenken an bourdieu (der mich immer ein wenig an tommy lee jones erinnert hat) wäre REPRISE von herve le roux, den ich heute abend im berliner arsenal versäumt habe wiederzusehen: ausgehend von einem kurzen film aus 1968, in dem eine frau zu sehen ist, die sich vehement weigert, die batterienfabrik wonder zu betreten und damit den streik gegen das unternehmen zu brechen, ist REPRISE eine recherche, die primär dieser frau gilt (ob sie noch lebt, und unter welchen umständen), die aber in dieser suchbewegung ein großes epos der französischen arbeiterbewegung entstehen läßt, bei dem ich immer an Das Elend der Welt denken mußte, diesen kollektiv-balzacischen versuch eines teams um bourdieu, die soziologie nicht in die vororte zu tragen, sondern sie dort zu finden. REPRISE lief einmal auf arte, es sollten also videos around sein



Ein längerer Text zu Spike Jonzes “Being John Malkovich”, von Bert Rebhandl verfasst, ist jetzt auf unserer Schwester- und Langtextablageseite filmkritik.antville.org zu lesen.



Samstag, Januar 26, 2002


Bei Malorama gesehen:
The black-and-white photographs of the Farm Security Administration-Office of the Office of War Information Collection are a landmark in the history of documentary photography. The images show Americans at home, at work, and at play, with an emphasis on rural and small-town life and the adverse effects of the Great Depression, the Dust Bowl, and increasing farm mechanization. Some of the most famous images portray people who were displaced from farms and migrated West or to industrial cities in search of work. In its latter years, the project documented America's mobilization for World War II. The collection includes about 164,000 black-and-white negatives; this release provides access to over 160,000 of these images. The FSA-OWI photographers also produced about 1600 color photographs. Two illustrated lists of frequently requested images from the FSA-OWI Collection, 'Migrant Mother' Photographs and Photographs of Signs Enforcing Racial Discrimination", are also available from the Prints and Photographs Reading Room.
Das Foto oben -”Getting ready to serve the barbeque dinner at the Pie Town, New Mexico Fair”- hat Russel Lee im Oktober 1940 aufgenommen. Für ein paar Dollar kann man sich bei der Library of Congress einen Abzug davon bestellen.



Freitag, Januar 18, 2002
mein lieblingsmoment aus mulholland drive, entdeckt beim zweiten sehen im babylon in kreuzberg, in einer vorstellung, in der auch der berühmte produzent florian körner war: schon in der neurotischen handlung fährt die blonde frau im fonds eines wagens den mulholland drive entlang, dann hält das auto an in wiederholung und variation des beginns, und nun tritt aus dem wald die dunkelhaarige, nimmt ihre freundin an der hand ("this is a shortcut") und die beiden gehen durch einen zauberwald, in dem für einige schritte alles suspendiert ist, was diesen film ausmacht. lynch entscheidet sich sonst meistens für das theater wenn er eine auszeit braucht, dabei gehen wir doch selbst auch meistens spazieren, wenn wir durchatmen müssen.



Donnerstag, Januar 17, 2002
Fernseh-Hinweis
Eric Zoncas “La vie rêvée des anges” (dt.: “Liebe das Leben”), 18.1., 0:50 - 2:40, im ZDF.
In einer Szene im letzten Drittel des Films liest Elodie Bouchez das Tagebuch eines Mädchens. Dieses Mädchen liegt bewußtlos im Krankenhaus, eine zum Schluß des Films immer bedeutender werdende, obwohl nur effektiv, kaum szenisch weiträumig ausgebaute Parallelgeschichte handelt von der Begegnung zwischen Elodie Bouchez und dem bewußtlosen Mädchen.
Die Bewußtlosigkeit dieses Mädchens stellt der Film durch das trotzige Engagement Elodie Bouchezs in Frage, dem es darum geht, dass man mit psychisch Abwesenden kommunizieren können müsse. Es gibt dazu eine sakral anmutende Szene im Kerzenschein einer Krankenhauskapelle, die vielleicht einzige unmittelbar symbolische Darstellung dieser Empathieversuche Elodie Bouchezs. Bestimmt gibt es in der Theologie Diskurse, die mich den Titel des Films besser verstehen ließen, von Kirchenvätern, die darüber nachgedacht haben, ob Leben etwas von Engeln geträumtes ist. Während des Filmguckens sind mir damals, 1998, als der Film in den deutschen Kinos zu sehen war, solche metaphysischen Fragestellungen nicht aufgefallen, weil die Figuren so hart miteinander umgehen und deren Beziehungen so konsequent physisch und bisweilen hastig erzählt werden. Elodie Bouchezs Beziehung zu dem bewußtlosem Mädchen spiegelt ihre Beziehung zu Natacha Régnier.
Irgendwie, und ich weiß nicht mehr wie genau, hat das bewußtlose Mädchen etwas mit der Wohnung zu tun, in der Natacha Régnier wohnt und die sie für einen Großteil des Films mit Elodie Bouchez teilt. Elodie Bouchez tritt am Anfang in diesen Film wie die Wiedergeburt von Sandrine Bonnaire aus Agnès Vardas “Sans loi ni toit” (Frankreich 1985), lernt in der nordfranzösischen Stadt bei einer Arbeit Natacha Régnier kennen und zieht bei ihr ein. Agnès Godard hat die Kamera geführt für diesen Film, und trotz der dreieinhalb Jahre, die vergangen sind seit ich den Film zum letzten Mal sah, kann ich mich an diese Szenenfolge erinnern, in der Elodie Bouchez zufällig das Tagebuch findet und heimlich den Tabubruch begeht, von der ersten Liebe des Mädchens zu lesen in deren Tagebuch. Die Handkamera zeigt lange ein Bild einer handschriftlich verfassten Seite darin.
Es gibt noch eine andere Sequenz aus dem Film, an die ich mich erinnere. Damals hatte ich viel zu tun mit Büchern, die das Drehbuchschreiben beizubringen suchen und in einem der besseren aus Nordamerika wird der Autor ärgerlich und wütend über eine Szene in einem Film von Téchiné, ich glaube seine Wut traf “Ma saison préférée” (Frankreich 1993). Das Buch habe ich inzwischen schon wieder verkauft und kann also nicht daraus zitieren. In jener Szene, die ausdrücklich mit dem erbosten Bann des amerikanischen Drehbuchschreibtrainers belegt wird, geht es darum, dass eine Figur in einen Raum tritt und eine andere Person tot im Bett vorfindet; der darauffolgende Schnitt offenbart aber, dass die eben noch tote Person lebendig am Fenster steht. Das -zwei Versionen einer identischen Begegnung zu zeigen-, sagte der amerikanische Autor, darf man nicht machen, sinngemäß sei es so etwas wie eine Todsünde, weil der Zuschauer auf eine falsche Fährte gelockt würde, verwirrt von der Wahl. Durch diesen Bann war ich natürlich neugierig geworden auf jene Szene, ein paar Wochen später sah ich sie auf Video.
Es gibt das oft in Filmen von Téchiné, dass eine Figur freiwillig aus dem Leben treten will und das darüber sich Beziehungen verändern und aufschließen für Entwicklungen. Wie zeigt man das in Filmen, dass es immer zumindest diese eine Wahl gibt, weiter oder nicht mehr weiter wählen zu wollen. Deleuze hat darüber im ersten Kinobuch geschrieben und Téchiné hat in einem anderen Film, “Les Voleurs” (Frankreich 1996), Catherine Deneuve einen Abschiedsbrief schreiben lassen, den Daniel Auteuil liest, nachdem er von ihrem Selbstmord erfahren hat, und der einen Grund für ihren Selbstmord gibt. Catherine Deneuve schreibt da: “Ich will nicht mehr ersetzen”, was zu tun hat mit Verletzungen und Enttäuschungen, mit einer Beziehung, die gegen Ende des Films nicht mehr aufrechtzuhalten ist. In “La vie rêvée des anges” gibt es das auch, man sieht da den Moment kurz nach der finalen Entscheidung von Natacha Régnier, sich aus dem Fenster zu stürzen. Man sieht nicht, wie sie aus dem Fenster springt, man sieht, dass sie gerade gesprungen ist.



Mittwoch, Januar 16, 2002
ein sehr empfehlenswertes onlinefilmmagazin findet man hier



Montag, Januar 14, 2002
-Wait, go back to the Diane and Rita stuff. Where does Betty fit in?
-Diane and Betty are the same person.
-Get out!
Everything you wanted to know about "Mulholland Drive"
The scary cowboy! The mysterious box! All that sex! We answer all your questions about David Lynch's latest outrage.



Montag, Januar 07, 2002
Fernseh-Hinweis
Während der letzten Jahre habe ich zur Berlinale nach und zwischen den Filmen kurze Berichte über sie geschrieben und an Freunde gemailt, dass sie sich die Filme auch angucken, wenn sie gut sind; oder nicht hineinlaufen müssen, wenn sie schlecht sind. Heute abend läuft auf arte um 20:45 Uhr einer dieser Berlinalefilme, Fritz Langs: Rancho Notorious (USA 1951/52).
Marlene Dietrich betreibt da eine Art Hide-Away-Wohngemeinschaft nah der Border. Sie beherbergt Outlaws, die Regeln sind klar, keine Fragen und 10% der Einnahmen aus den kriminellen Raubzügen der Gäste. Es ist das Chuck-A-Luck und es dauert etwa 30 Minuten, bis man versteht, was das bedeutet. Ich kannte den Film auch nicht, bisher, und ich bin überhaupt nicht gleicher Meinung mit Andreas Hahn, dem Redakteur des Filter, den ich nach der Projektion in Eiseskälte traf und der den Film nachher großspurig nicht gelungen fand.
Zwei Jungs stehen im Regen vor dem Cinemaxx, beide behaupten, viele Western gesehen zu haben. Toll, so eine shoot-out Situation zwischen Ex-Uni-Boys, nach einem Western. Ich bin in mein Chuck-A-Luck nach Schöneberg, hier werden auch keine Fragen gestellt. Es gibt immer ein zweites Mal, sieh Dich vor, Andreas Hahn, I will learn my lesson.
Hervorzuheben an dem Film der ungemein tolle Cast, neben Marlene Dietrich sind das: Arthur Kennedy, Mel Ferrer, William Frawley, Jack Elam usw. Der Film ist eine Ballade, of "hate and morder and revenge". Zusammengesetzt ergibt das zahlreiche Switches und Unsicherheiten, spannende Seitenwechsel. Zwei, drei Mal stehen sie vor tollen gemalten Kulissen, ich würde vorschlagen, sowas heute auch mal wieder zu versuchen, am Abend, in irgendeinem Studio, wenn diese Blue-boxes nicht mehr von Blue-box-bewachern betrieben werden müssen (damit deren Investition sich gelohnt haben wird), stattdessen einen Kinomaler sich zu zu bestellen für großflächig und beinahe monochrom gemalte Landschaftskulissen, vermutlich ist das genauso schön wie das gemeinsame Singen der Figuren in Filmen. In Rancho Notorious singt nur Marlene Dietrich.
Nachdem Arthur Kennedys Freundin ermordet wurde, reist er ihrem Mörder nach. Er weiß nicht, wie der aussieht, aber er sieht die Brosche an Marlene Dietrichs schwarzem Kleid, die hat er seiner Freundin geschenkt, kurz bevor sie ermordet wurde. Lloyd Gough spielt den Mörder. Er erkennt Arthur Kennedy an der Art, wie er auf sein Pferd steigt. Ich hatte mich sehr über diese Aufnahme von Arthur Kennedy, wie er auf sein Pferd steigt, gewundert. Sie war so merkwürdig unsauber, mit einem “falschen Anschluss”, hervorgehoben, kurz nachdem man eine Großaufnahme der Brosche gleich zu Beginn des Films gesehen hatte. Ich hatte daran gar nichts besonderes gesehen. Aber um 1870 sieht man andere Sachen und Filme können davon erzählen. Die Brosche und Arthur Kennedys Eigenart, sein Pferd zu besteigen, beides sind um 1870 sichtbare Zeichen und noch 1950 läßt sich damit eine Geschichte zusammenhalten.
Noch ist sich Arthur Kennedy unsicher. Er hat es zum Chuck-A-Luck-Bewohner gebracht, er hat Frenchy aus dem Gefängnis befreit, in einer fast brechtschen Szene. Da sind Wahlen in einer Stadt und die Law-and-Order-Partei (die wirklich so heißt) wird gewinnen und die korrupten Politiker sind schon mal sicherheitshalber in einer Zelle eingesperrt, damit man sie später leichter lynchen kann. Und Frenchy sitzt in der anderen Zelle und möchte nichts mit den korrupten Politikern zu tun haben und wie Arthur Kennedy in die Zelle reinkommt und Frenchy und er Freunde werden für eine Zeit, weil sie sich befreien können (in den Whiskeyflaschen, die die korrupten Politiker bekommen vom immer noch korrumpierbaren Sheriff ist ein Nachschlüssel, doch versehentlich gerät die Flasche mit dem Schlüssel in die Zelle der Outlaws), ist das, was ich mit brechtisch meine.
Frenchy (Mel Ferrer), Marlene Dietrichs Geliebter (wie die beiden, Mel und Marlene, zusammengekommen sind erzählt der Film in zwei toll motivierten und jeweils mit Ortswechseln verbundenen Erzählungen, die Arthur Kennedy zugetragen werden. Balladen innerhalb der Ballade) bekommt mit Arthur Kennedy einen Konkurrenten, scheinbar. Doch Arthur Kennedy geht es nur um Rache. Er tut nur so, als würde er sich in die Dietrich verlieben, er will nur wissen, von wem sie die Brosche hat. Noch sind alle verdächtig im Chuck-A-Luck. Dazu gibt es eine tolle Szene, eines Abends sitzen alle Bewohner herum und hören zu, wie die Dietrich ein Lied singt und Arthur Kennedy scannt währenddessen die Leute und sie erscheinen dabei im Film wie auf imaginären Fahndungsfotos, jeder bekommt einen Close-Up und dagegengeschnitten ist in einem steten Wechsel das rachsüchtige und doch unsichere Gesicht von Arthur Kennedy.
Spätestens mit dieser Szene hatte der Film mich für sich gewonnen, denn jeder ist damit und von nun an einem Verdacht ausgesetzt, die Outlaws mindestens dem Arthur Kennedys und Arthur Kennedy mindestens dem der Zuschauer, einen fatalen Fehler bei seinen Racheanstrengungen zu begehen. Dass erzählen zu können, so ein Ensemble an Verdächtigern und Verdächtigen zusammenzuhalten, das allein macht doch schon einen guten Film. Sieh Dich vor, Andreas Hahn. I'll return from my Chuck-A-Luck, and answer questions, someday.
Zum Schluß reiten Frenchy und Arthur Kennedy als ehemalige Rivalen fort, aus dem Off begleitet von der Ballade, die das Ende der Story of "hate and murder and revenge" besagt. Alle anderen sind bei der Schlußschiesserei ums Leben gekommen. Marlene Dietrich hatte sich in den Lauf der Kugel geworfen, die für Frenchy bestimmt war.