new filmkritik


Montag, August 19, 2002
montageforum.org: Linkliste, zur Montagetheorie des Films



Sonntag, August 18, 2002
Ebert: (...) Das Visuelle ist etwas Zerebrales, das jeweils auf den Wahrnehmungsebenen spielt, auf denen man die Dinge anvisiert. Du könntest dir mit der Kamera auch die Silberkörner sichtbar machen, wenn sie belichtet werden, oder fliegende Elementarteilchen lassen sich in einem Hochenergiebeschleuniger fangen, doch wenn du das Bild so weit in die optische Information der Materie hinein auflöst, kommst du irgendwann in Bereiche des Immateriellen und rein Symbolischen.
Damit will ich nur sagen, daß das Kino nichts wirklich abbildet ohne eine bestimmte Sehweise. Es ist das Verlangen zu sehen, das etwas sichtbar macht. So daß die Filme also keineswegs in einer beliebigen aktuellen Gegenwart abrollen, sondern in einer Illusion von Gegenwart, in einer Virtualität verschiedener denkbarer Welten. Die “Gegenwartskunst” filmischen Sehens besteht eben darin, in einem einzigen Bild die Welt anhalten zu können, “woanders” zu sein und die Urteile über die Wirklichkeit aufzuheben. Ohne die Möglichkeit eines solchen Stillstandes der Bilder (S. 26) würde unser armes Auge nur Flimmern sehen. Die Wirklichkeit ist grundsätzlich eindeutig, ein echtes Bild dagegen unendlich vieldeutig - das ist der Trancemoment der Filmkritik, völlig nutzlos, aber unersetzbar. Allein aus dieser symbolischen Reflexionsfähigkeit des inneren Auges schöpft, recht verstanden, im Sinne Bazins noch, der Mythos des totalen Films. Aber ich fürchte, dies idealistische, selbstreflexive Element in der historischen Erfindung des Kinos ist seinen Nutzern heute gar nicht mehr bewusst. (...)

Beringer:(...) Mein Problem ist, dass ich nicht weiss, was das sein soll: ein Bild oder eine Einstellung als Zeichen. Wenn ein Film 'redet', dann ist das Faszinierende doch gerade, dass das auf einer anderen, vielleicht averbalen oder vor-verbalen Ebene geschieht und eben nicht so 'lesbar' ist wie ein Text. Die Verführung ist immer wieder gross, die Sprachen zu verwechseln - natürlich soll man verbalisieren, in Worte übersetzen, denken, was man da gesehen und gehört hat, aber das heisst ja noch nicht, die beiden Ebenen nicht auseinanderzuhalten und für sich, wie zwei parallele Welten, bestehen zu lassen. (So wie es in einem selbst ja auch geschieht: vor dem Einschlafen wälzt man noch Worte und Sätze, danach kommen die Bilder - man ist näher am Schlaf.)
Sicher sind die Einstellungen 'aufgeladen' mit Absichten, Gedanken, Gefühlen und tragen ihre 'historisch-materielle Signatur' (Deleuze hat ja versucht, die verschiedenen Arten von Filmbildern zu charakterisieren), aber ein Bild ist trotz allem immer noch etwas für sich - interessant darin ist auch der sozusagen nicht-menschliche Anteil. Und je mehr ein Bild nur noch Zeichen ist (schliesslich zur Chiffre herunterkommt, wie etwa die Nachrichten-Archivbilder für 'Judenvernichtung' und 'Auschwitz'), desto verbrauchter und nichts-sagender wird es - oder entzieht sich eben. (...)

Der Abschnitt oben ist ein Auszug aus einer Korrespondenz über “Filmkritik”, zwischen Jürgen Ebert und Johannes Beringer, gewechselt anläßlich der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Serge Daney: “Persévérance. Entretien avec Serge Toubiana." Paris 1994. Dt. "Im Verborgenen. Kino - Reisen - Kritik". Wien 2001.
Den Briefwechsel kann man hier im Netz, oder in der soeben erschienenen neuen Ausgabe von shomingeki lesen.
shomingeki- Filmzeitschrift | Nr. 11/12 | Frühling/Sommer 2002 | Preis 6 Euro
Mit Texten über Filme von Shaheen Dill-Riaz, Thomas Schlottmann, Simone Bitton/Cathérine Poitevin, Lothar Schuster, Klaus Wildenhahn, Danièle Huillet/Jean-Marie Straub; Notizen vom Filmfestival Oslo 2001 und der Berlinale 2002; einem Text von Bettina Klix zur “Kunst der Filmbeschreibung - Über Helmut Färber” [hier auch online]; sowie einem Essay von Charles Hersperger.
In Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg, Hannover und Köln in ausgewählten Buchhandlungen, oder hier -per mail- zu bestellen.



Donnerstag, August 08, 2002
"What do you see, when I turn out the light?"
- Blitzlichter auf das Kino und das Leben

Ilse Aichinger, 1921 in Wien geboren und heute dort lebend, schreibt seit vielen Jahren kurze Texte und Glossen für den Wiener "Standard". In diesen Texten widmet sie sich dem Kino und der Photographie. Um der verfließenden Zeit Einhalt zu gebieten, zugleich aber auch um an ihr teilzuhaben, geht sie ins Kino. Auf Filmregisseure von Fritz Lang bis Jean-Luc Godard, auf Filme vom "Dritten Mann" bis zu "Allemagne neuf zéro" wirft sie ganz kurze, beinahe verschwindende Streiflichter. In den Texten und zwischen den Zeilen erscheint dabei trotzdem das Kino als die Höhlenmalerei der Moderne, als das bildgewordene Innenleben unserer Zeit.

Wenn der Krieg beginnt, wenn der Krieg zu Ende ist, das Kino macht weiter.
Kino ist immer, macht immer weiter, nur an Karfreitag haben die Filmtheater spielfrei. Die Filme weisen auf "Lebensarten, Sterbensarten, aber vor allem Kinoarten, Kinoplakate, Kinoeingänge – dorthin, wo man immer hin wollte, ins Herz der Finsternis".

Ilse Aichinger schweift in ihren kurzen Texten ab, schweift weit ab, nimmt einen Film nie direkt unter die Lupe. Im Gegenteil je indirekter sie sieht und schreibt, um so genauer scheint sie zu werden, dem Atmosphärischen und Ungefähren des Kinos angemessen.

Ihr Leitmotiv bildet eine Zeile aus einem Song der Beatles: "What do you see, when I turn out the light?" Sie schreibt über diese Zeile: "Das wollen nur die Kleinen wirklich wissen, die anderen fürchten solche Fragen. >When I turn out the light?<: Soll das nicht heißen, dass einer fortgeht? Unser Sohn fürchtete schon bald, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte, die Abschiede. Es half nichts ihm zu sagen, dass man immer von jedem für immer Abschied nehmen muss".

Jeder Kino-Besuch kann zu einem kleinen Abschied werden, zu einem kleinen Gang in das Herz der Finsternis. - Beinahe beiläufig streifen die "Blitzlichter" von Ilse Aichinger solche direkten und nahen Wahrheiten. Vielleicht kann auch das Schreiben heute nur in einer solchen Beiläufigkeit bestehen. Etwas streifen.

Ilse Aichinger; Film und Verhängnis. Blitzlichter auf ein Leben.
Frankfurt/M. 2001.

(Manfred Bauschulte)



Freitag, August 02, 2002
VIET/NAM
der wahrscheinlich debilste schnitt des jahres ist in randall wallace's we were soldiers ... and young (wir waren helden) zu sehen. das erste bild ist eines aus der schlacht in vietnam. die amerikaner liegen eingebuddelt und mit der kamera im rücken auf dem boden, dann tauchen über eine kleine kuppe die nordvietnamesen auf und stürmen. schnitt in den alltag back home: eine soldatengattin führt den staubsauger in derselben bewegung über den teppichboden, die gerade noch die vietnamesen durch das andere filmbild zurückgelegt hatten. für das massaker im eigenheim an den milben und staubbewohnern wäre allerdings pixar zuständig. ich weiß nicht, wie entstellt diese erinnerung inzwischen ist (in der pressevorführung mußte ich laut lachen), aber ich muß dabei daran denken, daß mein gedächtnis bei THE DEER HUNTER von cimino immer eine ellipse eingebaut hat: ich dachte viele jahre, daß es einen schnitt gibt, der direkt von der jagd auf das großwild in den käfig führt, in dem de niro und walken & co in vietnam eingesperrt sind und zum ersten mal russisches roulette spielen. die szene im gasthaus, das I LOVE YOU BABY, das alles hatte ich vergessen, weil ich damals nicht so sehr am epos als an der eskalation interessiert war. bei randall wallace wird der gedanke von cimino, daß der vietnamkrieg eine spezifische vor- und eine traumatische nachgeschichte hatte, unerträglich trivial in genau dem oben beschriebenen schnitt, der auf eine politisch korrekte weise ja fast feministisch ist, aber es ist ein berücksichtigungsfeminismus, den sich im klassischen hollywood auch die frauen verbeten hätten, und auf den die vietnamesen, würde man sie gefragt haben, ob sie bei randall wallace auch helden sein wollen, ziemlich sicher verzichtet hätten. we were soldiers ... and we were young: ein ausgewogenes werk.
zur zeit: lagaan im berliner balazs und auf dvd
demnächst: la cienaga von lucrezia martel und le souffle von damien odoul