new filmkritik


Mittwoch, Dezember 31, 2003
langtexthinweis
* auf der langtextseite: normale kurzweil - schwenk über emails aus 2003



Montag, Dezember 29, 2003
George-Cukor-generosity-story

"I call it my favourite George Cukor-story. The story is that when he was shooting a film at MGM, which he did many - I don't remember which story, but he… the call-sheet was up as it always is with the names of who was shooting that day, and an executive - one of the executives, again I don't know the name, but one of the executives - went and looked at the call-sheet. He went down the list of names and he saw a name that he didn't recognize. So he dashed over to the set and he said to George: 'What is this, this name: What part is he playing?' And George said: 'He's playing the part of a friend of mine who needs a job.'" (Fay Kanin: On Cukor)



Montag, Dezember 22, 2003
* Jürgen Reble, Film Alchemist > Photos



Sonntag, Dezember 21, 2003
* robert-bresson.com > das presseheft von robert bressons film lancelot du lac (1974) [16 jpgs]
[ via sofa. rites de passage ]



Donnerstag, Dezember 18, 2003
* Balthazar - Revue d'analyse du cinéma contemporain > articles & entretiens (grandrieux, ranciere, lynch, tscherkassky, goldring)



Montag, Dezember 15, 2003
* Expanded Cinema



Samstag, Dezember 13, 2003
filmhinweis
sonntag - 14.12. - 21:30
kino raum3 - ziegelstr. 20 - 10117 berlin

SOMBRE
Regie: Philippe Grandrieux
Mit: Marc Barbé (Jean), Elina Loewensohn (Claire), Géraldine Voillat (Christine)
Frankreich 1998 - Farbe - 1 h 52 - Omu


texte
Cyril Béghin, La Chambre Sombre
Adrian Martin, Holy Terror: Philippe Grandrieux's Sombre

interview
vom 9. september 2000 | vom 14. oktober 2000



Freitag, Dezember 12, 2003
Stop Motion Studies - Series 8
[via Francis McKee]



Donnerstag, Dezember 04, 2003
Texthinweis

Auf der Langtextseite:

Landscape Suicide (USA 1986, Regie: James Benning)

Ein Text von Volker Pantenburg



Mittwoch, Dezember 03, 2003
hinweise

* rouge
Texte zu Robert Montgomery, zum arabischen Film, zum Zoom im populären Kino; ein Interview mit Philippe Grandrieux; ein Text von Hou Hsiao-Hsien; und mehr...

* Kabul/Teheran: 1979 ff
Filme und Vorträge
vom 5.-19. Dez. 2003, in Berlin
Ein Festival mit Filmen aus Afghanistan und dem Iran, mit Gesprächen über Filmlandschaften, Städte unter Stress und Migration

* senses of cinema 29



Montag, Dezember 01, 2003
TV-Hinweise:

"Ozu
in Tokio geboren am 12.12.1903
in Tokio gestorben am 12.12.1963
Nur eine minimale Abweichung zwischen A und O. In Ozus Film ist selbst der Tod von verwirrender Trivialität, fast nichts." (Frieda Grafe)

Zum 100. Geburts- und 40. Todestag von Yasujiro Ozu zeigen der WDR und ARTE ab Mittwoch mehrere Ozu-Filme. Anlass, sich an die Berlinale-Retrospektive Anfang diesen Jahres zu erinnern, bei der die abendlichen Filmvorführungen zum fest eingeplanten Termin wurden.



Eine kleine Liste: bestimmt läuft noch mehr, vielleicht lässt sich das kurzfristig ergänzen. Etwa, wenn irgendwo die Filme gezeigt werden sollten, die Hou Hsiao Hsien, Abbas Kiarostami und andere für den Jahrestag gedreht haben.

Die Reise nach Tokio (Tokyo Monogatari, Japan 1953): Mittwoch, 3.12., 23.15 h, WDR

Früher Frühling (Soshun, Japan 1956): Mittwoch, 10.12., 23.15 h, WDR

Sommerblüten (Higanbana, Japan 1958): Mittwoch, 10.12., 22.45 h, ARTE:

Guten Morgen (Ohayo), Japan 1959: Donnerstag, 11.12., 20.45 h, ARTE:

Ein Herbstnachmittag (Samma No Aji, Japan 1962): Mittwoch, 17.12., 23.15 h, WDR:


Ein paar Links auf Lesenswertes zu Ozu:

Ekkehard Knörer: Die Filme von Yasujiro Ozu (jump-cut)

Johannes Beringer: Einige frühe Filme von Yasujiro Ozu (new filmkritik für lange texte)

Jonathan Rosenbaum: Is Ozu slow? (senses of cinema)



Sonntag, November 30, 2003
auf der langtextseite: Weltstadt in Flegeljahren. Ein Bericht über Chicago. Regie: Heinrich Hauser, D 1931, von volker pantenburg



Samstag, November 29, 2003
hinweis/berlin

Raum3 / Kinogruppe zeigt am
Sonntag, 30.11.03 21.00 Uhr
in der Ziegelstrasse 20-23

James Benning: Landscape Suicide
1986, 16mm, color/so, 95min

Danach Bar und Musik mit DJ


Landscape Suicide: "The murderers in James Benning's LANDSCAPE SUICIDE are a paranoiac teenage girl and a taciturn Wisconsin farmer. The reconstructive narratives take the viewer through the slants of minds in disturbance, through the ambiguities that surround any act of violence. Both Bernadette Protti, who killed a more popular classmate with a kitchen knife, and Edward Gein, who shot a storekeeper's wife and then took her body home and cut it up, provide exemplars of 'I couldn't stop.' The homicides allow Benning to deal in emotion that is external to him (yet deeply felt), while imbuing his trademark 'still' images of roads, trucks, billboards, buildings and trees with newly charged meaning. ... As strong as Benning's photography is, it's the talking head sequences that prove most chilling. The power of Rhonda Bell's portrayal of Protti is such that there are moments when we're convinced she's the real killer. So, too, with Elion Sucher's Gein, who looks like he's been struck between the eyes with a heavy object, his head so caved-in by dementia. There is no actual violence here - save the disembowelment of a deer - but LANDSCAPE SUICIDE leaves you feeling like a witness nonetheless." - Katherine Dieckman, The Village Voice

raum 3 mailing list



Montag, November 17, 2003
KATEGORIENGLÄUBIGKEIT
Momentaufnahmen von den 27. Dokumentarfilmtagen in Duisburg

Von Michael Girke


Die Dokumentarfilmtage in Duisburg zwingen Besuchern keine Wahl auf, es läuft stets nur ein Film. Und sie verschaffen Kinoerfahrungen Raum; nach jedem Film kann das Publikum das Gesehene mit den Machern ausgiebig diskutieren. So verändert sich die Position des Zuschauers, er wird vom bloßen Empfänger zum Akteur. Von hier zum Filmparadies ist nur ein Schritt: Man müsste das Kino von innen abschließen, den Schlüssel verlieren und auch den Rest des Jahres so verbringen.

Michael Pilz Film über den afrikanischen Musiker Simon Maschoggi ist beinahe vier Stunden lang. Die Kamera genießt Gastrecht in dessen Haus, ist dabei, wenn er immer wieder zu selbstgebauten Instrumenten greift, wenn Familienmitglieder und Nachbarn einsteigen in die Musik, wenn diese einfach abbricht oder zum Medium kollektiver Intensität wird.
Nach gängigen Vorstellungen von Professionalität ist Pilz’ Film dilettantisch. Es gibt minutenlang keinen Schnitt, kein Untertitel übersetzt Lied- und Sprechtexte. Dadurch sieht man, was synchronisierte, untertitelte Profifilme uns immer ersparen: Die Erfahrung wirklicher Fremdheit; dass Kennenlernen Zeit kostet und Verstehen Arbeit macht; dass Verständigung, zumal über Kontinente hinweg, ohne Missverständnisse, Reibungen und Geduld gar nicht zustande kommt. Hier technische Standards oder Untertitel einzufordern, wie das im anschließenden Filmgespräch geschah, ist unverschämt, ist Gewalt, die sich als solche nicht wahrnehmen kann, weil sie ganz selbstverständlich ist. Reibungslos soll alles Menschliche ins Bekannte übersetzt, in vertraute Filmformen und Sprachen eingepasst werden. Gerade weil der Film SIMON MASCHOGGI sich frei außerhalb der Marktgesetze bewegt, die sonst das Leben regeln, kann er fühlbar machen, wie sein Regisseur einen afrikanischen Musiker empfindet und hört; auch das Nicht-Begriffene, Nicht-Erfasste.
Eine einzige afrikanische Familie in ihrem Haus ein wenig kennen zu lernen, braucht das nicht noch mehr als 4 Stunden? Die Erfahrungen, die man mit Pilz’ Bildern machen kann, geben einem das Gefühl zurück für die Brutalität von handelsüblichen Fiktionen und Generalisierungen, mit denen die Medienmaschinerie unsere Erwartung abrichtet.

Sind Dokumentarfilme nicht auch Inszenierungen? Kann beim Reden übers Dokumentarische die Grenze zwischen den Kriterien "echt" und "falsch" sinnvoll aufrecht erhalten werden? Diese Fragen waren offizielles Thema in Duisburg. Zuschauern sollte, laut Festivalkatalog, ein Spiegel ihrer Bildergläubigkeit vorgehalten werden.
Der Vortrag des Wiener Filmwissenschaftlers Drehli Robnik über das in den letzten Jahren verstärkt zu beobachtende Phänomen der Fake Documentaries schleuderte in Hochgeschwindigkeit ungefähr alle Stich- und Schlagworte aller Cultural Studies- und Theoriediskussionen der letzten 10 Jahre in den Raum. Schön, wenn Theorie mal offen deliriert und heitere Effekte produziert. Was Theorie grau macht: Wenn eigene Lesarten und Ideen vollständig an die Stelle geduldiger Auseinandersetzung mit Film treten.
Filmbilder aktivieren die Sinne im gleichen Maße wie den Intellekt. Robniks Vortrag aber gründete ganz auf der Vorrangstellung abstrakter, logischer, wissenschaftlicher Sprache und Begrifflichkeit. So war es kein Zufall, dass ihm die sinnliche Seite des Films vollständig entging. Einige der von ihm vorgeführten Filmbeispiele zeigten, für jedermann sichtbar, etwas ganz anderes als das, was er an ihnen beschrieb. Anders formuliert: Manche der Bilder, die Robnik als Belege für seine Thesen dienen durften, blickten zurück und hielten einer verbreiteten Einstellung grausam den Spiegel vor: Der Kategoriengläubigkeit hiesiger Kultur- und Filmwissenschaft.
Indem Robnik Filme in die Disziplin sprachlicher Rationalität nahm, wurde den Sinnen jede erkennende Funktion bestritten. Folgt man dieser Art von Theorie, hat das Kino 100 Leben, aber keines davon hat mit Erfahrungen von Wirklichkeit zu tun. Wer sich, seine Vorstellungen und vorformulierten Begriffe nicht herausfordern lässt von dem, was bewegte Bilder an Geschichtlichem, Körperlichem, Psychischem, Sinnlichem aufzeichnen und aufzuzeichnen vermögen, bringt das Kino um seine Tragweite.

Harun Farockis ERKENNEN UND VERFOLGEN führt anhand zitierter Bilder aus der Waffenwerbung, aus Flug- und Panzersimulatoren, vor, wie Großrechner und moderne Waffen die Welt sehen. Farockis gefundenen Bilder wirken aseptisch und unspektakulär, keine Zensurbehörde beanstandet sie. Es sind aber atemberaubende Gewaltbilder. Gewalt geschieht hier, anders als nach landläufiger Auffassung, nicht, in dem Schauspieler Brutalität nachstellen, die Gewalt ist im Blick. Der Betrachter dieser Bilder aus Rechner- und Waffenperspektive sieht Menschen, also sich selbst, als störende Biomasse auf dem Weg der Waffe zu wichtigen Zielen oder als längst ausgelöscht.
2001 zeigte Robert Bramkamp in Duisburg PRÜFSTAND 7, seinen Film über die Geschichte der Rakete. Bei der Recherche stellte er fest, dass es kein einziges Bild von Raketen aus der Perspektive anvisierter Ziele gibt. Weil Raketen mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit lautlos anfliegen und weil sie jederzeit überall auftauchen können, ist Aufzeichnung unmöglich. Diese Seite der Wirklichkeit lässt sich nicht dokumentieren, schon gar nicht lässt sie sich in dramatischen Konflikten mit handelnden Personen darstellen. Die beschleunigte Vernichtungskraft moderner Technologie hat sich der Wahrnehmung menschlicher Sinne entzogen, sie macht bilder- und sprachlos. Um überhaupt einen Zugang zu finden, um sichtbar zu machen, wie Technologie in die Geschichte eingreift und das Leben umbaut, muss Farockis Film die Perspektive der Maschinen einnehmen. Das ist nicht kalt und unsexy, es ist präzise.
Farockis Montagen ziehen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft zusammen, machen registrierbar, wie der 2.Weltkrieg im Heute weiter wirkt. Dass Technologie Menschen in industrieller Produktion und Krieg überflüssig macht, hat bei Farocki eine freundliche Seite: Vielleicht lassen sich waffentechnologische Entwicklungssprünge, und das heißt Kriege, ganz in die Simulatoren und Rechner verlegen.
Wie soll man ERKENNEN UND VERFOLGEN bezeichnen? Dokumentation, Essayfilm, Found Footage Film, Industriefilm; alles ist richtig und nichtssagend. Frieda Grafe erklärte vor Jahren, einen Film von Farocki neben einem üblichen Geschichtsfilm zu sehen, mache deutlich, was es heißt, auch mit gefundenen Bildern für sich selbst zu sprechen. Verglichen mit ERKENNEN UND VERFOLGEN, waren viele Filme in Duisburg erschreckend standardisiert, geschichtsfrei und blind für die technologische Seite der Wirklichkeit.
ERKENNEN UND VERFOLGEN geht nicht auf in plakativen Anliegen, mit denen Preisverleiher meinen das schlechte Gewissen rühren und sich selbst schmücken zu müssen. Der Film lädt nicht zur Identifizierung ein, gibt dem Zuschauer an keiner Stelle vor, wie er das Gesehene in vorhandene Begrifflichkeiten einzuordnen hat. Seine Moral liegt in seiner Genauigkeit. Das Anliegen von ERKENNEN UND VERFOLGEN ist ganz schlicht, er fordert auf, die Augen arbeiten zu lassen; zu sehen, was zu sehen ist. Ein solcher Film erhält in Deutschland natürlich keinen Filmpreis.



Mittwoch, November 12, 2003
montagabend den schluß von "süsses gift" (chabrol) wiedergesehen. mich an einen alten text von damals erinnert. den wiedergelesen und heute auf die langtextseite gestellt - hier: merci pour le chocolat.



Sonntag, November 09, 2003
“Filme, die auf Festivals für Ausehen sorgen, Filme, die in anderen Ländern wie selbstverständlich in die Kinos kommen, Filme von renommierten Regisseuren, Filme, die vor zehn Jahren auch bei uns noch zu sehen gewesen wären oder auch nur Filme, von denen wir glauben, dass sie bei uns zu sehen sein müssten. Filme in jedem Fall, die es  zu Unrecht nicht auf deutsche Leinwände schaffen: unsichtbare Filme. [...]”

Neue Rubrik bei Jump-Cut: Der unsichtbare Film



Freitag, Oktober 31, 2003
Bauchdecke, revisited

Als jemand, der selten genug in Science-Fiction-Filme geht und das Genre immer aus einigen Lichtjahren Distanz, dann aber gerne beobachtete, kam mir der Alien-Director's Cut ganz gelegen. Irgendwann in den Achtzigern hatte ich den Film auf Video gesehen, zusammen mit Freunden, deren Alter ebenfalls deutlich unterhalb der FSK-Grenze lag. Gemeinsam warteten wir Chips kauend auf den Moment, an dem John Hurts Bauchdecke von innen gesprengt wird, davon hatten wir alle schon gehört oder gelesen, das war die Sorte Geschichten, die in der großen Pause erzählt wird. Auch jetzt, passenderweise erneut voll drin in den Achtzigern, war eine ähnliche Anspannung wieder da, als Hurt, aufgewacht aus der Betäubung, scheinbar befreit vom krebsähnlichen Monstrum, das ihm straight into the face gesprungen war und doppelt hungrig, beginnt, sich die unappetitlichen Space-Spaghetti hereinzuschaufeln, gierig, weil es nicht mehr nur er selbst ist, der da ernährt werden will. Aber der explosionsartige Moment, dieser Geburtsaugenblick, in dem der Mann als kurzfristige Leihmutter das Alien in veränderter Form zur Welt bringt und ziemlich wirr, blutig und diffus, aber vielleicht deshalb doch überraschend Geburt und Phallus, Tod und Leben, Schmerz und Befreiung zusammenschießen, ohne genau verrechenbar zu sein, entlädt sich dann in ein Lachen über den kalkulierten Slapstick-Effekt, wenn der komische, bissfreudige Dildo hysterisch über den runden Tisch schießt und irgendwo in den Winkeln des Raumschiffs verschwindet.

Das Raumschiff heißt hier bekanntlich "Mother" und nicht HAL 9000, und mit Ripley und Lambert sind zwei Frauen an Bord, eine davon überlebt als einzige. Daran kann man den Abstand zwischen 1968 und 1979 ebenso messen wie an den Zuschreibungen von Klassenzugehörigkeit: Parker (schwarz) und Brett (weiss) schuften unter Tage, schweißen die Elektronik, die Captain Dallas bei seiner erstaunlich amateurhaften Landung auf dem fremden Planeten ruiniert hat, und feilschen um Prämien. Revolutionär ist das nicht, eher sozialdemokratisch, wenn am runden Tisch (Grosser Krisenstab) bei der Lagebesprechung zusammen gegessen und gescherzt wird. Wie auch immer man die Genderpolitik des Films deutet - ob hier die Frauen nichts anderes sind als die besseren Männer oder ob in Ripleys Entschluss, das Mutterschiff wohl oder übel zu sprengen nur die weibliche Version des Vatermords der Urhorde am Anfang von 2001 zu sehen ist: Vom intergalaktischen Service-Personal in Kubricks Film hin zur resoluten Kommandofrau hat sich offenbar etwas verschoben in Richtung Sichtbarkeit. Sigourney Weaver und die Urhorde: Gorillas im Nebel, das inoffizielle Alien Sequel.



Sonntag, Oktober 19, 2003
Film-Hinweis

Über die Biegsamkeit des Kopfes und der Gedanken und Wege aus dem Schwerkrafts- und Horizontalitätsgefängnis namens Bildkader. Über das Sehen von Architektur und Raum. Zerteilung und Rekonstruktion von Bewegung durch Montage. Wie hört sich Architektur an? "Ich kann keine Aufgabe formulieren, sondern nur das anbieten, was ich am besten kann: den Raum auf der Fläche repräsentieren. Ich sehe mich als eine qua Vertrag mit der Menschheit ausgehaltene Kameraperson, die ihre Blickresultate zur Verfügung stellt." (Emigholz)



62 Gebäude und eine Ruine des amerikanischen Architekten Bruce Goff (1904-1982), fotografiert von Heinz Emigholz. Noch drei Wochen lang im Kino International, Berlin, immer Sonntags um 14.00 Uhr (26. Oktober, 1. und 9. November), dann in weiteren deutschen Städten. Viele Infos auf der Website. Das "Making Of" zum Film zeigt Emigholz am 29. Oktober im Buchladen "pro qm", Alte Schönhauser 48.



Samstag, Oktober 18, 2003
"[...] Bei den Abspannfotos (überwiegend Welfare-Doku eben) dachte ich eigenartigerweise an Wiglaf Drostes Worte über die angeblichen Jubelpalästinenser, arme Schweine seien eben oft auch Schweine. Vielleicht weiß von Trier das selbst nicht, aber so nihilistischer Universalismus, denke ich jetzt, liegt viel eher in der Perspektive des Werks als irgendwas Geographisches. Eine Aufwertung Kerneuropas u.ä. Schmutz ist dem Film nur bezüglich der Produktionsmittel eingewoben (Arte, Canal+, WDR, die Üblichen). [...]"

boltzmann, Dogville. Anmerkungen.



Dienstag, Oktober 07, 2003
Fernseh-Hinweis

Mi 8. Oktober - 3Sat - 22:25
LAST MINUTE JAMAIKA
D 2003
Mit Annika Herr und Claudia Grimm
Buch und Regie: Klaus Lemke



Donnerstag, Oktober 02, 2003
"... der eine wunderbare Moment, wo Rose, jetzt bin ich dran, aus ihren Schuhen schlüpft, auf Strümpfen im Kreis der Männer steht, Tommy, der gerade das Armdrücken verloren hat, die Zigarette aus dem Mund nimmt, sie zwischen Daumen und Zeigefinger hält wie ein Kerl, die Glut nach innen, und nach einem tiefen Zug, so you think you're a big tough man, eh? let's see you do this, sich aufrichtet und ihr Gewicht, bis sie zu schweben scheint, und höher über den Planken des Schiffs, als es die Möglichkeit ist, langsam auf die Zehenspitzen stellt, die es einen kurzen und doch so langen Augenblick lang triumphierend halten, ehe Rose Jack, der ihren Rockzipfel gehalten hat, lachend in die Arme fällt."

Uwe Nettelbeck, Titanic Revisited



Mittwoch, Oktober 01, 2003
"Für die, die denken, dass sie meine Ideen für ihre Zwecke benutzen können, es gibt einen Copyright-Vermerk für alle Moana-Seiten. Und außerdem gibt es niemand in Deutschland, der so schnell dreht, wie ich."

Rudolf Thome, Bedienungsanleitung



Mittwoch, September 10, 2003
Fernseh-Hinweis
Heute, 10.9.
arte, 22:45 Uhr
Claire Denis, Trouble Every Day
Frankreich 2001



Samstag, August 30, 2003
Buch-Hinweis

"Ob sich vorstellen ließe, daß Walter Benjamin mit dem Passagenwerk fertig geworden wäre, hätte er alle Texte, die er in der Bibliothèque Nationale gelesen hat /lesen wollte, auf CD-Rom gehabt, und alle Bilddokumente/Abbildungen des Cabinet des Estampes digitalisiert gespeichert, mit Motiv-Erschließungen?" (Helmut Färber: Fragen gestellt am Mittwoch, 7. Februar 2001).

Keine Antwort darauf, aber diese und andere Fragen sind im Band "Suchbilder. Visuelle Kultur zwischen Algorithmen und Archiven" (Hg. von Wolfgang Ernst, Stefan Heidenreich und Ute Holl, Berlin: Kadmos 2003) nachzulesen. Wiederveröffentlicht ist dort, neben anderen Beiträgen des gleichnamigen Symposiums vor zweieinhalb Jahren, auch Jörg Beckers Text "Der Ausdruck der Hände. Ein filmischer Terminus".



Freitag, Juli 25, 2003
Zehn Minuten älter

Nach ungefähr vier Minuten begann man, die Unruhe im kleinen Raum des Schachtelkinos zu spüren. Jemand in der Reihe vor mir drehte sich um und schaute in die Richtung, aus der er das Licht des Projektors erwartete. Irgendwo weiter hinten geriet eine typische Vor-Film-Unterhaltung ins Stocken und versickerte dann ganz. Jemand stieß eine Bierflasche um. Die Werbung und auch die Werbung für die Werbung war vorbei; wenn noch Eis verkauft werden sollte, wäre es jetzt dafür zu spät. Es vergingen weitere drei Minuten. Nichts passierte.

Zuerst hatte ich nur flüchtig daran gedacht, aber dann gefiel mir der Gedanke immer besser, dass dies vielleicht schon Godards Episode sein könnte. "Dans le noir du temps", den Titel hatte ich irgendwo gelesen, sonst wusste ich nichts außer der Dauer von zehn Minuten. Dunkel war es, Zeit verging auch: Alles stimmte. Noch eine Minute später konnte ich es mir schon nicht mehr anders vorstellen. Es kam mir schlüssig vor, dass auf die vielschichtigen Bild- und Tonüberlagerungen der "Histoire(s) du cinéma", auf die vierstündige Bildexplosion nun eine zehnminütige Bilderlosigkeit folgen müsste. Als hätte er sich und uns soviel Text, so viele Bilder und so viel Musik auf die Seite geschafft, dass wir jetzt noch eine ganze Weile davon zehren könnten im dunklen Kinosaal, durch die Erinnerung an die Geschichten der Geschichte. Rückzug, Askese, ein Echoraum, in dem die Unzahl von Bildern weiterhallt, die er durch den Schneidetisch hatte laufen lassen, angehalten, verlangsamt, übereinandergelegt, beschriftet, verfremdet, besprochen.

Kurz darauf ging der Film dann los, scheinbar gab es nur ein paar Komplikationen beim Einlegen der Rolle, oder der Vorführer hatte sich noch ein Bier geholt, "bei der Hitze". Für mich war durch die schwarze Zeit vor dem Anfang eine Lücke entstanden, in die sich Godards Film siebzig Minuten später als letzte der acht Episoden hineinfügte. "Dernières Minutes de..." erscheint da immer wieder auf der Leinwand, in der einfachen Druckschrift, die man seit den Videoarbeiten aus den Siebzigern kennt. Letzte Minuten "des Muts", "der Angst", "der Liebe", "des Kinos", "der Stille".
Wahrscheinlich liegt es daran, dass seit Jahren kein neuer Godardfilm mehr im Kino lief; jedenfalls war ich von den Bildern so ergriffen - sagt man das? - wie im Kino schon lange nicht mehr. Wie Notizen aus dem Nachlass kamen mir die verlangsamten Sequenzen vor, von einem, der lebendig, aber zugleich schon mit einem Blick von Außen, von ganz woanders her seine Papiere ordnet, hier etwas markiert, ein Photo zur Hand nimmt, einen Satz von Wittgenstein aufgreift, sich in den bearbeiteten Einstellungen aus "Made in USA", "Vivre sa vie", "Le petit soldat" wiederzufinden versucht. "Les miroirs feraient bien de réfléchir avant de renvoyer une image" füllt in "2 X 50 ans de cinéma francais" (1995) mehrmals den Bildschirm. In der Übersetzung geht viel verloren: Spiegel täten gut daran, nachzudenken (zu reflektieren), bevor sie ein Bild übertragen. Auf eine unbestimmte Art hatte ich das Gefühl, dass Godard sich hier vor und - wie Alice, mit deren Rätseln Emily Brontë in "Weekend" den Ehemann zur Verzweiflung treibt - hinter den Spiegeln befindet. Und der (verfremdende) Spiegel ist er ebenfalls.

Ein paar Tage vorher hatte ich noch mit M. darüber gesprochen, ob es so was wie "gelungene" Episodenfilme gibt, die nicht nur als Zeitdokument oder aufgrund einzelner Segmente (wie Teile von "Loin du Vietnam" oder Fassbinders Klaustrophobie-Flash in "Deutschland im Herbst") interessant sind, sondern auch als Gesamtfilm funktionieren. Er war skeptisch, und auch mir fielen immer nur tolle Einzelepisoden ein. Aber jetzt im Kino fand ich, dass das Hintereinander etwas für sich hat, wie bei einem guten Sampler, bei dem man sich über die schlechten Lieder freut, weil sie einem zeigen, was man an den guten Stücken hat. Und gerade die Bruchstellen zwischen zwei Filmen machen dann eben doch manches klar: Wenn zum Beispiel etwas noch gedanklich rüberragen will über den Rand, aber vom nächsten Film gleich brutal plattgebügelt wird, wie es am Übergang von Claire Denis zu Volker Schlöndorff besonders unangenehm auffiel.
Denis aktualisiert eine Episode aus "La Chinoise": In einem Zugabteil unterhält sich eine Studentin, die die gleiche Schirmmütze trägt wie 1967 Anne Wiazemsky, mit Jean-Luc Nancy über das Fremdsein. "Vers Nancy" heißt die Episode: Nach Nancy im mehrfachen Sinne, und eben auch nach Jean-Luc. Konzentiert, aber zugleich völlig entspannt werden im Gespräch Gedanken hin- und hergespielt, Zweifel artikuliert, Aporien aufgespürt, die keine Sackgassen sind, sondern auf neue Gedanken stossen lassen: Der Fremde als Eindringling, als Gast, von dem Assimilation verlangt wird, der aber zugleich seine Eigenheit behalten soll. Jemand, von dem man erwartet, dass er einen überrascht - eine unmögliche Aufgabe. Im Gang steht währenddessen ein Schwarzer und hört lange mit, bevor er sich schließlich zu den beiden ins Abteil setzt. Man kann solche Fragen von Außen und Innen, von Dazugehören-müssen und Man-selbst-sein-wollen also ganz nüchtern in klaren schwarz-weissen Bildern und wenigen Einstellungen auf die Gesichter und die Landschaft draußen inszenieren (und dabei das Problem von Eigen und Fremd im Verhältnis des Films zur Godard-Vorlage nochmals fast unmerklich verdoppeln.) Dann kommt Schlöndorffs Episode, die so großspurig mit "Enlightenment" betitelt ist, dass auch die ironische Brechung des Titels am Ende nichts retten kann. Augustinus' Reflexionen über die Zeit werden hier einer Mücke in den Mund gelegt und in schwindlig umherkurvende Bilder gepackt, die in jeder Sekunde virtuos Leichtfüßigkeit zeigen wollen - wohl um die stereotype Tumbheit der Bilder vergessen zu machen. Ein Teil des Films spielt auf einem Campingplatz in Ostdeutschland, und es gibt da eine schwangere junge Frau, die ihren Eltern den Vater ihres Kindes ("einen Afrikaner") vorstellt. Skinheads dürfen nicht fehlen, Alkohol und Grillwürstchen sind auch im Spiel - man kann das hier eigentlich abbrechen, jedes weitere Wort wäre zuviel. Die gedankliche Komplexität (und die Lust am Nachdenken), die man im Zugabteil spüren konnte, wird hier zugunsten des flachen Schematismus' von Glatze vs. schwarze Hautfarbe rücksichtslos wieder eingedampft.

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Schlöndorff den Nicht-Film gemacht hätte, den ich zu Beginn Godard zugeschrieben hatte. Aber natürlich wäre das nicht das selbe Nichts gewesen, ein anderes Schwarz, eine andere Zeit.



Donnerstag, Juli 24, 2003





Montag, Juli 21, 2003
TV-Hinweis

Heute, 22:25 Uhr - 23:00 Uhr, 3sat

Ein Bauer der Photographie. Der französische Kameramann Raoul Coutard

Regie: Jürgen Heiter und Hans-Heinz Schwarz
BRD1982/99, OmU



Samstag, Juli 12, 2003
TV-Hinweis:

Heute Nacht (13.7.), 1.20 - 2.00 Uhr im WDR:

Das Land (The Land)
Regie: Robert Flaherty

"Flaherty, gewohnt Filme über Individuen und Gruppen in einem begrenzten Bereich zu drehen, reiste Tausende von Meilen durch die USA und belichtete Tausende von Metern. Was er festhielt, waren Bilder eines fruchtbaren Landes, das durch den Zugriff des Menschen zu einer Wüste zu werden drohte. Wie Bilder eines Körpers, der zu einer einzigen Wunde wird. Dazu die Zerstörungen, die die Technisierung der Landwirtschaft im Leben der Farmer und Landarbeiter angerichtet hatte, die Arbeitslosigkeit und die Landflucht. Noch während der Produktion änderte sich die politische Lage radikal. Der schrittweise Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, der nach dem Überfall auf Pearl Harbour im Dezember 1941 endgültig war, änderte die Perspektive auf die Landwirtschaft. Es galt jetzt, aus naheliegenden Gründen die Produktion auf Hochtouren zu bringen. So erklärt sich, dass Flahertys bedrückendes Panorama ziemlich unvermittelt in einen positiven und pathetischen Schluss einmündet. Dieses Ende dementiert den Film nicht, es macht die Situation eher noch verzweifelter. Das müssen auch die Auftraggeber so gesehen haben: der Film wurde öffentlich nicht verbreitet. Das kam einem Verbot gleich, das bis heute nachgewirkt hat. Kaum Jemand kennt den Film." (Von den WDR-Seiten im Netz)



Samstag, Juli 05, 2003
Zeitschrifts-Hinweis

shomingeki Filmzeitschrift, Nr. 13/14, Frühling/Sommer 2003

Inhaltsverzeichnis
Stefan Flach - Empörung, Kontaktaufnahme, etwas stellt sich ein
Helmut Färber - Drei Minuten in einem Film von Ozu
Rüdiger Tomczak - Die Ozu-Berlinale
Johannes Beringer - Varia - Notiertes zu Film und Kinematographie
Bettina Klix - Film, Farbe, Verdrängung - über Frieda Grafe
Rüdiger Tomczak - Über vier Filme von Dang Nhat Minh
Dang Nhat Minh - Im Reich der Dunkelheit und des Lichts
Johannes Beringer - Der Autodidakt: Maurice Pialat
Rüdiger Tomczak - Das geschlagene Kind - über Hou Hsiao Hsien
Bettina Klix - Zensur
Stefan Flach - Eine Geste (Wilde Erdbeeren)
Claude R. Blouin - Spielen oder Leben - Eine Interview mit Makiko Esumi und Etsushi Toyokawa
Johannes Beringer - Ein Kabel, eine Mauer - Filme von Chantal Akerman und Rithy Panh
Christian Hanussek - what you lose on the swings you gain on the roundabouts von Anette Rose

Der Autodidakt: Maurice Pialat, von Johannes Beringer ist auch auf unserer Langtextseite zu lesen, der Rest der Texte im Heft. Bezugsadressen entweder hier, oder via e-mail.



Samstag, Juni 28, 2003
Fernseh-Hinweis
Heute Nacht, Samstag/Sonntag 29.6., 1:40 - 3:30, ZDF
DIE ABENTEURER
Frankreich/Italien 1966
Regie: Robert Enrico
Mit: Alain Delon, Lino Ventura, Joanna Shimkus



Freitag, Juni 27, 2003
Klagenfurt, Blicke

Beim morgendlichen Kontrollblick, ob der Recorder den Spätfilm auf einem der Dritten vollständig mitgeschnitten hat, kann es passieren, daß man plötzlich ("kurz mal durchschalten") irritiert hängenbleibt bei jemandem, der liest und einer soundsovielköpfigen Jury, die zuhört und danach darüber richtet.

Klagenfurt, Bachmann-Preis, schon wieder ein Jahr vorbei.

Dass es das noch gibt, wundere ich mich dann, und bin zugleich abgestossen und fasziniert von den Mechanismen, die da alle Jahre wieder am Werk sind. Auf mich wirkt die Veranstaltung immer obszön, auf eine irgendwie perfidere Art als die Nachmittags-Talkshows, wo die gespielte Erregung zumindest immer wieder zu lustigen Entgleisungen führt und die Leute auf eine interessantere Art uninteressant sind.

"Literatur im Fernsehen." Eigenes Thema, das überleben die besten Texte nicht. Ist mir ohnehin noch nie passiert, daß ich im Fernsehen (oder überhaupt: bei einer "Lesung") einen Text kennengelernt hätte, von dem ich dachte: wow, das ist es, mehr davon.

Die größte Überraschung in diesem Jahr war für mich, daß Thomas Steinfeld so aussieht wie Wolfgang Niedecken. Ich hatte ihn mir eher so vorgestellt wie Klaus Meine.



Mittwoch, Juni 18, 2003
Kinotipp Berlin, Donnerstag, 19.6., Arsenal, 19:00

Reihe Text und Film, Mike Holboom kombiniert Marguerite Duras ("La Pute de la côte normande") und Apichatpong Weerasethakuls "Mysterious Object at Noon", über den Jonathan Rosenbaum schreibt:

The entire film is a heady mix of fiction and nonfiction, with fantasy and actuality rubbing shoulders at every stage, and what emerges from the collective unconscious of the participants is surprising and fascinating. Weerasethakul packages his findings in diverse and inventive ways: as an improvised outdoor musical performance, as a game played by school children, as a collaborative description in sign by two teenage deaf-mutes. I can't think of another film remotely like it. (hier)

Weerasethakuls zweiter Film - "Blissfully yours" - war einer der schönsten des letzten Jahres (mehr dazu, von mir, hier)



Jaal, Guru Dutt, Indien 1952

Eine Stunde fehlt mir, am Anfang (Dank an die taz, die das Kleingedruckte im Arsenal-Programm nicht zu lesen versteht) und als ich ins Kino komme, badet Dev Anand in einem kleinen Trog im Freien, bedrängt von zwei Scheichs, von denen nicht klar ist, wie sie da hin kommen, und einem kleinen Mann mit vielen spanischen Namen, der zwischen Hindi und Arabisch übersetzt. Es geht um Gold. Und es geht um Maria, die Frau, die Tony, den Dev Anand spielt, sich kurz darauf mit einem Seil, das er zum Lasso schlingt, auf den Baum zieht, in dem er sitzt. Sie singen. (In Sangam - von 1964 - sitzt Raj Kapoor, neben Guru Dutt der zweite große Schauspieler&Regisseur des klassischen Bollywood, im Baum, mit einem Dudelsack, und singt. Die Frau, die er begehrt, auch eine Dreiecksgeschichte, schwimmt im Fluß.) Hier nun, in Jaal, brandet das Meer an den Strand, Palmen überall, Fischernetze, Jaal heißt Netz. Die Kamera umspielt den Baum, rückt Maria ins Bild, rückt Tony ins Bild und erklärt ohne Worte, dass es um die beiden geht und gehen wird, nach der Vorgeschichte, die ich verpasst habe. Die Vorgeschichte, von der ich naturgemäß nicht weiß, wie ausführlich der Film sie verhandelt hat, bringt das gestohlene Gold ins Spiel, Gier und Lisa, eine andere Frau, die Tony zugrunde gerichtet hat. Tony ist der romantische Held des Films, gespielt von Dev Anand, den Guru Dutts erster Film, Baazi, im Jahr zuvor zum Star gemacht hat. Eine zwielichtige Figur, um das mindeste zu sagen. Zwanzig Jahre später erst wird dieser Heldentypus Amithabh Bachchan, in Deewar oder Sholay, zur Legende machen, Jaal war kein Erfolg beim indischen Publikum. Danach spielte Dutt seine Hauptrollen meist selbst, bis zum Desaster, das Kagaaz Ke Phool war, sein 8 1/2, das schwerblütige Melodram um den auf ganzer Linie gescheiterten Bollywood-Regisseur.

Das Gold, der Mann, die Frau, die ihm verfallen ist, ihr blinder Bruder Carlo, Simon, der Maria liebt mit der Hoffnungslosigkeit der Aufrechten (die Namen wie der Schauplatz bleiben mir ein Rätsel). Große pathetische Szene: der Lockgesang Tonys, die Gitarre in der Hand, der Wind stößt die Tür des Balkons auf, zum Zimmer, in dem Maria widerstehen will und widerstehen will und, natürlich, zuletzt, nicht widerstehen kann. Er singt, sie singt, sie stürmt hinunter, hinaus ins Freie (des Studios, die Palmen an die Wand gemalt), zu ihm, sie küssen sich. Sie will dann zum Meer, eine letzte, verzweifelte Bewegung, Versuch einer Flucht, sie verfängt sich im Netz, das den Titel gibt und hier, in schöner Überdeutlichkeit, für den Sex steht, den sie haben werden, das Verfallensein, das in lieblicher Musik Ausdruck findet und Bilder braucht (einmal filmt Dutt den Beginn einer Einstellung durch ein Fischernetz, kriecht mit der Kamera darunter hervor). Der Knoten, der sich zum Ende hin schürzt: Sie will mit Tony fliehen, übers Meer - an Hemingway muss ich denken, eigentlich schon die ganze Zeit -, der Bruder aber und Simon, mit dem sie verlobt ist, notverlobt, muss man sagen, eilen hinterher, Schüsse von Boot zu Boot, Schüsse an Land und Maria wirft sich dazwischen, hindert Tony, der nun sich entscheidet, fürs Gute, am Töten. Sie wird auf ihn warten. Auf uns wartet, als letzte Einstellung, ein Kreuz auf Uferfelsen, denn dies ist, noch ein Rätsel, ein durch die gesamte katholische Ikonografie gespieltes Melodram. Vielleicht klärt sich manches in der ersten Stunde, die ich nicht gesehen habe. Schöner wäre es, wenn nicht.



Fernseh-Hinweis
"So there would not be another film by Barbara Loden."
WANDA, von Barbara Loden, USA 1970
Donnerstagnacht, 20.6.03 um 0:45 Uhr, ARD



Mittwoch, Juni 04, 2003
Hinweis:

Gordon Matta-Clark: Films


Splitting (1974)
10:50 min. b/w, color, silent, super 8 film transfer

"I came home from the office one day and Holly said, 'Gordon wants to cut a house in half, have you got one?'" (Horace Solomon)

Galerie Thomas Schulte
Mommsenstraße 56
D-10629 Berlin, Germany
Tel : +49-(0)30-324 00 44
Fax: +49-(0)30-345 15 96

2. Juni bis 26. Juli 2003, Mo-Fr 11 - 18, Sa 11 - 15



Sonntag, Juni 01, 2003
Langtext-Hinweis
Auf new filmkritik für lange texte:
Röte des Rots - Zu Michelangelo Antonionis IL DESERTO ROSSO.
Von Volker Pantenburg.



Samstag, Mai 31, 2003
erschrecken darüber, dass der große kinosaal, noch leer und unbesetzt vor beginn der projektion, wie ein massenfriedhof wirkte... die sitze aufgereiht wie grabsteine. und wie hoffnungslos die bilder des films dagegen anrannten.



Mittwoch, Mai 28, 2003
Fernseh-Hinweis

Bisschen versteckt, in Programmzeitschriften missverständlich als "Kino - unsere Zeit" angekündigt: Chris Marker über Andrej Tarkowskij, übermorgen abend.

Freitag, 30.5., 23.15 Uhr, arte: "Ein Tag im Leben des Andrej Arsenevitch", Fr. 1996, Regie: Chris Marker





Sonntag, Mai 25, 2003
Film-Hinweis




Dienstag, 27.5.2003
19:00 Uhr
im Arsenal-Kino, Berlin
in der Reihe Text und Film zeigt Angela Schanelec
LES AVENTURIERS
Frankreich/Italien 1966
Regie: Robert Enrico
mit Alain Delon, Lino Ventura

verbunden mit
Die Liebenden
von Bertolt Brecht

- Weil ich den Film nicht kenne, habe ich Angela Schanelec angerufen und sie danach gefragt:

Ich habe gelesen, dass LES AVENTURIERS ein Film ist, der in drei Teilen organisiert ist. Der erste Teil ist in Paris. Alain Delon ist Pilot und will unbedingt durch den Arc de Triomphe fliegen. Dann wird ihm aber der Pilotenschein abgenommen. Irgendwie gerät er dann an eine Frau, die Skulpturen aus Schrott macht, und an Lino Ventura. Die drei beschließen, nach Afrika zu gehen und da einen Goldschatz zu heben.

Es sind eine Frau und zwei Männer. Sie lieben sich, aber genaues erfährt man nicht. Sie fahren auf einem Schiff nach Afrika und suchen da einen Schatz. Woher sie davon wissen, weiß ich auch nicht mehr. Etwas geht dann schief. Auf dem Schiff werden sie nämlich überwältigt, ich weiß nicht mehr von was für Leuten. Und die Frau stirbt, sie wird erschossen. Und die beiden Männer finden dann den Schatz - aber wie, und warum? Diese Frau, die da bei ihnen war, die hatte keine Eltern und ist bei irgendwelchen Leuten aufgewachsen. Und Lino Ventura und Alain Delon suchen dann diese Leute, die auf einer Insel leben mit einem Fort, um ihnen einen Anteil vom Schatz zu geben. Aber diese Leute sind ganz blöd, und darum geben sie es ihnen doch nicht. Aber dann entdecken sie einen kleinen Jungen, der gar nicht blöd ist sondern sehr nett. Und es stellt sich heraus, dass die blöden Leute sich um diesen Jungen kümmern und dann bekommt dieser Junge das Geld, dass eigentlich dieser Frau zugestanden hätte, die inzwischen aber tot auf dem Grund des Meeres liegt. Es ist ein richtiger Abenteuerfilm. Eine abenteuerliche Geschichte.

Ich fand das irritierend, als ich die Ankündigung las. Enrico, Delon, Ventura, Brecht. Das Brechtgedicht, mit den Kranichen und den Wolken. Ich hätte erwartet, dass es ein Bressonfilm ist, den du zeigen würdest. Stattdessen ein Abenteuerfilm. Von Robert Enrico hatte ich vorher auch noch nie gehört. Im Netz fand ich nur ein paar Hinweise. Ein populärer Regisseur.

Der Film ist auch populär. Ich hab trotzdem in Erinnerung, daß er auf wundersame Weise ganz einfach und unverlogen ist. Ich wollte keinen Film nehmen, den ich in- und auswendig kenne. Ich dachte bei dieser Veranstaltung, ich möchte auch selber was davon haben und einen Film sehen, den ich schon lange mal gerne im Kino sehen würde. Ich habe den Film vor etlichen Jahren im Fernsehen gesehen, das ist wirklich ganz lange her. Ich weiß so gerade mal, was der bei mir hinterlassen hat. Bei der Anfrage vom Arsenal, nach einem Text zusammen mit einem Film, fiel mir beides zusammen ein: der Film und das Gedicht. Später dachte ich, weil es in beidem um die Endlichkeit der Liebe geht. Und weil beide leicht sind. Und weil man Lust hat, Liebende mit Abenteurern gleichzusetzen.



Montag, Mai 19, 2003
Für die Lemke Retrospektive, die jetzt in Hamburg und Berlin vorwiegend als Videoprojektion läuft, waren keine Filmkopien aufzutreiben. Das kommt auch daher, dass Klaus Lemke sich nicht um Bestandssicherung schert. In mancherlei Hinsicht ist sein einziges Interesse das, was davor passiert: Vor Drehbeginn, vor der Kamera, vor allem Endgültigen. Das ist auch die einfachste Erklärung, warum der vergangene Ruhm und zwanzig Jahre ohne Erfolg, den Mann so wenig tangieren. Beim spannenden Match zwischen der Nummer 1 unter den Nostalgikern (Werner Enke) und der Nummer 1 unter den Anti-Nostalgikern (Klaus Lemke), beim Podiumsgespräch anläßlich der 60er Jahre Retro auf der Berlinale 2002, erlebte man komplett unvereinbare alte Freunde, die sich aber einig waren, dass Stereo impotent macht - und dass die besten Filme entstehen, wenn man sich total verschuldet hat. Das wenige was Lemke immer gerne von „damals“ erzählt: Sie hätten das amerikanische Kino ganz naiv für ein getreues Abbild des Lebens gehalten, wie es dort stattfindet und hier stattfinden müsste: „Dokumentationen darüber, wie’s sein könnte.“ Dazu passend demonstrierte Werner Enke mit welcher Geste Dean Martin in SOME CAME RUNNING dem Sinatra, der an der Schreibmaschine verzweifelt, so nebenbei die Schnapsflasche hinschiebt. Solche Gesten, meinte er, die seien es gewesen. Aber indem Enke das so nachmachte, war da auch mit drin, dass Lemke eben noch an der Schreibmaschine sitzt, das heißt Filme macht, und Enke nicht mehr. Vor drei Jahren hat Klaus Lemke einen Film mit dem Titel RUNNING OUT OF COOL gemacht, den bislang nur ein paar Dutzend Leute gesehen haben. Ein konzentriertes Alterswerk, getarnt als atemloser Debütfilm, dessen Schöpfer im Vorspann ohne Namensnennung sein Gesicht hinter einer Piratenflagge versteckt. Der Raubzug in den eigenen Gewässern, den Straßen Schwabings, birgt als funkelnden Schatz ein Ensemble begnadeter Darsteller. Lemke erzählt, der fertige Film hätte einem Sender ganz gut gefallen, man hätte ihm vorgeschlagen ein TV-Remake zu machen mit richtigen Schauspielern, die langsam und deutlich sprechen. Wer weiß, meint er, wie viele Filme in Deutschland vom Fernsehen mit richtigen Schauspielern „noch mal neu" gemacht werden; und die eigentlichen Filme werden heimlich vernichtet. Eine tolle Paranoia-Fantasie, selber Stoff für einen Film. Die tieferen Gründe für Lemkes feste Position im filmpolitischen Abseits liegen woanders. In RUNNING OUT OF COOL ist es für den Jungen aus Hamburg (Maxi Treu) ein Kinderspiel bei ARRI eine 35mm Kamera zu klauen. Aber die Kellnerin (Marlene Morreis) und die Stripperin (Claudia Grimm) sind nicht leicht rumzukriegen zum Filmemachen. Es sind Frauen, die für Schwärmereien ungern die starke Position aufs Spiel setzen, die sie beim Sex innehaben. Kein anderer Spielfilm über das Kino hat je so viel Enthusiasmus hergezeigt, ohne das geringste Pathos aufkommen lassen. Wie bei Hawks kämpft jeder mit jedem, mit billigen Tricks und geklauten Sprüchen, bis klar ist, worum es geht: um den heiligen Moment, wenn sich zwei von einander hinreißen lassen. Dass anwesende Dritte und Vierte dabei nicht stören, gar förderlich sind, verträgt sich gut mit dem Wesen der filmischen Arbeit. In NEVER GO TO GOA, einem wilden Urlaubsfilmessay über die Liebe am Ende der Ferien, tritt sein treuer Kameramann Rüdiger Meichsner zu Lemke und zur jungen Produktionsleiterin Annika Herr vor die Kamera. Mitten ins Geschehen. Wie einst bei Hawks so geht es bei Lemke um gegenseitige Überforderung, Reizung, Sex, Konkurrenz, Kumpanei, aber diese Lebenslust ist fordernd, verlangt eine irre Selbstbehauptung. Straub war so wichtig, sagt Lemke, wegen der Art wie Straub redet. Zum eigenen Schutz ist Lemke pseudo-anti-intellektuell. Aber seine Filme sind ohne Deckung. Als roter Faden gehen Geschichten von Jungs und ihren älteren Vorbildern durch das Oeuvre. Einen toll finden, selber toll sein wollen, darum geht’s. Ich behaupte, dass von daher auch die Geringschätzung der Filmgeschichtsschreibung rührt. Denn vom Überleben durch bloße Selbstbehauptung – Lemke nennt es attitude – davon zu handeln, ist irgendwie nicht wirklich respektabel. In Lemkes Filmen sieht man, was sonst auf der Leinwand nie zu sehen ist: Leute die rot werden. Klaus Lemke sei ja eigentlich gar kein richtiger Filmregisseur, sagte mir ein Filmmuseumsdirektor. Ein richtiger Rektor. Formale Gründe wo es um Inhalte geht. Die Angreifbarkeit des Selbstbewußtseins ist eben etwas, was man nicht zu ernst nehmen sollte, und gleichzeitig was, worüber man keine Witze macht. Von daher Stoff für Komödien. Und doch sind Lemkes Komödien im Grunde schwer melancholisch. Dokumentationen darüber, wie’s sein könnte. Aufrichtiges, weil unreines Kino, zu 40 Prozent reine Poesie.

TV-Tipp: Do, 22.Mai - ARD 00:50 - Liebe, so schön wie Liebe (1971) -
Regie, Buch: Klaus Lemke; mit Marquard Bohm, Sylvia Winter

Internet-Tipp: www.mach-dich-grade.de

Rainer Knepperges



Freitag, Mai 16, 2003
Langtext-Hinweis
Auf unserer Langtextseite @ antville:
Anderes Sehen
6 filmische Momente bei den 49. Kurzfilmtagen von Oberhausen.
Von Michael Girke



Sonntag, Mai 11, 2003
Fernseh-Hinweis

Montagnacht/Dienstagmorgen, 13.5., in "KurzSchluss", arte 01.05 - 01.50

Peter Tscherkassky: DREAM WORK, Österreich 2001, 11 Min.

"Der Film ist - nach 'L'Arrivée' (1998) und 'Outer Space' (1999) - der dritte Teil meiner CinemaScope-Trilogie. Verbindendes formales Element dieser Trilogie bildet eine Technik der Kontaktkopierung, bei welcher gefundenes Filmmaterial in der Dunkelkammer auf Rohfilm umkopiert wird. Auf diese Weise verwirkliche ich in einer wörtlichen Weise die zentralen Mechanismen des Traumes zur Bedeutungserzeugung, der Traumarbeit, wie Sigmund Freud sie beschrieben hat." (Tscherkassky)

In der gleichen Sendung auch ein Porträt Peter Tscherkasskys.



Freitag, Mai 09, 2003
Fernseh-Hinweis
Heute, 9.5.2003, Arte
20:40 (VPS: 20:45)
WEIL SIE EIN MÄDCHEN IST ( Une Grande Fille Comme Toi )
Frankreich 2001
Regie: Christophe Blanc
(Stefan Pethke: "... großartige 16jährige Hauptdarstellerin, gainsbourgeske Nebenfigur eines Juweliers... Verismus!")



Donnerstag, Mai 08, 2003
Film-Hinweis:

Ab morgen im Filmkunsthaus Babylon (Rosa-Luxemburg Strasse 30, 10178 Berlin): Auftakt zur Peter Nestler-Retrospektive:

Freitag, 19.00 Uhr: "Die Hasen fangen und braten den Jäger" (1994), 7 min und "Die Verwandlung des guten Nachbarn" (2002), 85 min

Samstag, 19.00 Uhr: "Ein Arbeiterclub in Sheffield" (1965), 40 min und "Ödenwaldstetten" (1964), 36 min

Beide Vorstellungen in Anwesenheit des Regisseurs, weitere Filme täglich bis 17.5.




Montag, Mai 05, 2003
Geständnisse

Etwa in der Mitte des Films geht ein leises, aber deutlich vernehmbares Raunen durch das West-Berliner Kino: Eben war eine Episode in der CIA-Parallelhandlung als "West-Berlin, Neunzehnhundertsoundsoviel" eingeführt worden. Sam Rockwell - "Dangerous Mind" - ist als Gameshow-Erfinder Chuck Barris wieder unterwegs in geheimer Mission. Wenig später robbt er durch eine Art unterirdischen Schützengraben rüber in den Osten. Dort liegt Schnee, er trifft seinen Verbindungsmann Rutger Hauer, in den tristen Straßen steht eine ganze Reihe von Wartburgs und Trabants. Vorher allerdings, noch in West-Berlin, gibt es einen

// Schnitt //

in einen Bierkeller: Stimmengewirr, gute Laune, eine dralle Bierzensi stemmt mehrere massähnliche Krüge durch das ("urige", würde man wohl sagen) Steingewölbe. Genau hier raunt das Publikum, als fühle es sich schlecht behandelt, weil das abrufbare Berlin-Bild des Zuschauers natürlich keine Maßkrüge oder Bierzensis vorsieht. Die Irritation, die aus dieser Regelverletzung folgt - unabhängig davon, ob dies "gewollt" oder ein produktionstechnischer Unfall ist wie die Digitaluhr in Ben Hur - ist interessant. Klar, man fragt sich gezwungenermaßen, wie das zusammengeht, Berlin und Bierkeller, Trabbi und Hefeweizen, aber vor allem wird in der vermeintlichen Verletzung die Konvention sichtbar, von der sich - I confess - auch ich nicht frei machen kann. Es zeigt sich, wie sehr man selbst in Establishing Shots denkt und in Postkartenmotiven, die Orten wie "Berlin", "Paris", "London" schnell zugeordnet werden können; wie jedes Bild zugleich eine Reihenbildung enthält, als Festlegung des Erwartbaren wirkt, Ausschlußmechanismen generiert.

Am Einfachsten wäre es, den "Fehler" auf das undifferenzierte Deutschlandbild der amerikanischen Filmemacher zu schieben (auch wenn ich Clooney / Kaufman für cleverer halte und die Szene dementsprechend für kalkuliert). Vielleicht weist er aber auch auf Undifferenzierte im Blick des Zuschauers hin, der Erwartetes miteinander verrechnen möchte und auf der Suche nach gemeinsamen Nennern ist. Was spricht eigentlich dagegen, - auch in den 70er Jahren - in Berlin in eine bayerische Kneipe zu gehen oder in ein indisches Restaurant oder zu McDonalds? Noch dazu in einem Film, der scheinbare Unvereinbarkeiten zum Thema hat und in seiner gesamten Struktur zwischen den Genres springt. Gameshow und Geheimdienst, Herzblatt und Kopfschuß, Bayern in Berlin.



Samstag, Mai 03, 2003
Langtext-Hinweis
Neu auf new filmkritik für lange texte -
Johannes Beringer, Einige frühe Filme von Yasujiro Ozu
[ In diesem Zusammenhang der Hinweis auf die ebenso lesenwerten Texte, die Ekkehard Knörer zur Ozu-Retrospektive im Februar/März in Jump-Cut publizierte: Die Filme von Yasujiro Ozu 1, 2 und 3 ]



Donnerstag, Mai 01, 2003
Film-Hinweis

Film- und Tonmontagen von Peter Roehr (1944-1968)

präsentiert von Paul Maenz
Samstag, 3.Mai 2003
zwei Screenings: 18:30 und 19:30

Galerie chouakri brahms berlin, S-Bahnbogen 47, Holzmarktstrasse 15-18, 10179 Berlin



Dienstag, April 29, 2003


Montag, April 28, 2003
Langtext-Hinweis
Auf new filmkritik für lange texte @ antville: Innen, Politik. Ein Text von Volker Pantenburg zu The Core, USA 2003, Regie: Jon Amiel



Samstag, April 26, 2003
Film-Hinweise
Gestern, 19:30 Uhr, im kleinen Arsenal unterm Potsdamerplatz, Berlin: das Buch Kinowahrheit von Hartmut Bitomsky (Hrsg. v Ilka Schaarschmidt, Berlin: Verlag Vorwerk 8) wird vorgestellt. Zwei Einleitungen von Männern hinterm Stehpult, eine mit Sklovskijzitaten, eine mit welchen von Bitomsky, dann zwei Filme Bitomskys: INFRASTRUKTUR BERLIN-WEST, von 1987; DEUTSCHLANDBILDER, von 1983. Nach der Projektion, gegen halb zehn, steht man im Arsenal unterm Potsdamerplatz und die Geräusche der Belüftungsanlage klingen wie niederprasselnder Regenschauer. Man steht dann noch ein paar Minuten herum und redet, raucht eine Zigarette oder zwei, bis man merkt, dass man falschem Sounddesign aufgesessen ist. Draußen ist es warm und trocken. Ein paar Tage zuvor, nach dem Viertelfinalspiel zwischen ManU und Real, hatte Christian gefragt, wieso noch keiner was hier geschrieben habe über das Buch.

Im Arsenal wollte ich mir eigentlich nur den Infrastrukturfilm angucken, den kannte ich noch nicht. Einer meinte vorher, der Film sei in Deutschland erst zweimal gezeigt worden. Eine kleine Fernsehproduktion für einen französischen Sender, 10 Minuten lang. Eine Morgens-Abends-Klammer, eine Sammlung von 16mm-Aufnahmen, ein Querschnittsfilm ohne ruttmannsche Emporhebung: Sackgassen, Industriebaracken, Schrottplätze, Schiffe, Müllabfuhr, Kopfsteinpflaster. Immer immer wieder Autos, haltende, abfahrende, aufgebockte, durch Schnitte zwischen den Bildern hin- und herfahrende. Schilder, Geräusche, Details. Ein Westberlin in Abwicklung, 1987, lose Fadenenden, die in der Montage enganeinandergesetzt sind. Hartmut Bitomsky: "Auch dieser Film hatte eine Aufgabe: er sollte von Berlin handeln und ohne die deutsche Sprache auskommen. Wir suchten die Zonen auf, über die früher die Stadt versorgt wurde. Jetzt liegt dort Müll und Abfall. Der Müll ist bunt, die Farben schreien. Das Geschrei ersetzt die Sprache." DEUTSCHLANDBILDER, danach, meinte ich vom Videogucken und Textelesen gut zu kennen, auf der Leinwand aber im Arsenal erschien er ganz neu. Das geht aber immer so im Kino. Man steigt nie in den selben Fluss.

Obwohl jemand wie ich ihm viel zu verdanken hat: von oder zu Bitomsky schreiben möchte ich eigentlich nicht. "Über" schon gar nicht. Mit Bitomsky geht es mir da wie mit den anderen, denen ich zu Dankschreiben verpflichtet sein sollte: Frieda Grafe, Manny Farber, Serge Daney, Jean-Luc Godard, Helmut Färber, Jonathan Rosenbaum zum Beispiel. Aber wieso, wenn man nicht über von zu an schreiben will, schreibt man dann Sachen, in ein Weblog zum Beispiel? Man müßte dies Nichtwollen überwinden, in dem man andere Formen von Reverenz und Referenz findet, aber selbst ein Zitat abzuschreiben wie eine Fron aus eigenem Willen und zu veröffentlichen scheint mir beschämend. Wegen des Verdachts, dem man beim Gelesenwerden sich aussetzt, vom Glanz des Zitierten beschienen werden zu wollen, um schöner größer heller zu erscheinen als man ist und emporgehoben auf eine Stufe mit dem Glanzerzeuger. Wenn ich das aufschreibe, kommt es mir vor wie ein theologisches Problem, das sich nur lösen läßt durch Monotheismus und Bildverbot. Ich fand es immer ganz großartig, wie Peter Nau, einer der in die polytheistische Aufzählung oben gehört, mit dem Problem der Reverenz umgegangen ist: ausschließlich Goethe zu zitieren, als seien dessen Texte Natur. Aber ich schweife ab, tue nur so, als wüßte ich nicht, wie sich's machen ließe.

Weitere Filme von Hartmut Bitomsky in den nächsten Tagen im Kino Arsenal:
REICHSAUTOBAHN | DER VW-KOMPLEX | HIGHWAY 40 WEST
Termine | Programmtexte



Staatsfeind Nummer zwei

Zwischen zwei Kriegen: Vor ein paar Monaten, in der Zeit nach dem Afghanistan- und vor dem Irakkrieg, warb die Dresdner Bank im Fernsehen mit einem technisch hochgerüsteten und inhaltlich konfusen Werbespot für ihren "Fondsmanager": "Aus der Tiefe des Raumes" (Karl Heinz Bohrer über Günter Netzer), in diesem Fall des Weltraumes, stößt da die Kamera blitzschnell auf ihr Ziel nieder, das durch ein fadenkreuzartiges Rechteck hindurch anvisiert wird. Das geschulte Auge erkennt auf Anhieb die Halbinsel Manhattan, drei Schnitte weiter läßt sich das markante Portal unweit von Ground Zero ausmachen. Schließlich folgt eine Nahaufnahme vom Eingang zum "New York Stock Exchange" in der Wall Street, teilweise verdeckt von einer übergroßen Amerikaflagge.

Günter Netzers Stimme - doch! er ist es tatsächlich - souffliert dazu aus dem Off: "Hier analysiert der dit chancenreiche Aktien." Die Sequenz dauert insgesamt knapp fünf Sekunden und ist von etwa 20 Schnitten zerhäckselt; eine Frequenz, die wohl deutlich machen soll, wie schwer es dem Kapital des Kunden fallen muß, mit einem derart wildgewordenen "Turbokapitalismus" Schritt zu halten. Kein Wunder also, sondern Globalisierung, daß die nächsten fünf Sekunden schon - nach demselben Schema: per Satellitenbild gezielt, dann Zoom und Schnittmassaker - dem zweiten Finanzstandort London gewidmet sind. "Hier spricht der dit über Märkte der Zukunft". In Frankfurt schließlich finden wir Netzer selbst vor der Börse zwischen den markanten Ochsen wieder. Dort darf er sein vorletztes Sätzlein nach schräg oben in die Kamera sprechen: "Hier sucht der dit Anleihen mit viel Rendite und wenig Risiko."

Die Zeit wird knapp (und ist Geld). Denn in den verbleibenden fünf Sekunden muß nun noch die Verbindung zum Privatkunden hergestellt werden, an den sich die Werbung richtet. Der liegt als jungdynamisches, heterosexuelles Paar, wie wir jetzt sehen, sorglos im heimischen Garten und blickt überaus entspannt ins all-seeing-camera-eye. Netzer: "Und hier genießen Sie, daß Ihr Geld in professionellen Händen ist." Ein letzter Überschall-Zoom zurück ins All: Schluß.

Neben der aufdringlichen und technikverliebten Visualisierung von Geschwindigkeit und globaler Hektik, gegen die die Montage das Paar auf den Liegestühlen als vermeintlichen Ruhepol setzt, gibt es in den Werbebildern eine zweite Ebene. Eine Untiefe, die die tröstliche Nachricht ('Wir kümmern uns um alles, machen Sie sich keine Sorgen') konterkariert.

Man muß nicht paranoid sein, um sich angesichts der düsteren Musik und der auffälligen Überwachungsästhetik eher unangenehme Fragen zu stellen: Aus wessen allmächtigem Auge sehen wir all dies? Steht an Stelle dessen, was in der Vergangenheit einmal das Auge Gottes gewesen sein mag, nun der Fußballgott Günter Netzer? Oder vielleicht eher das des weltumspannenden Kapitals? Und wie beruhigend soll ich es finden, daß sich die Fondsmanager via Satellitenschaltung nicht nur auf dem internationalen Finanzparkett, sondern auch in meinem gutgehegten heimischen Vorgarten ein bißchen genauer umschauen? Geld kennt keine Grenzen - das sagen die Bilder -, also auch nicht die zwischen öffentlichem und privatem Raum. Darin verhält es sich durchaus analog zum umfassenden System visueller Überwachung.

In ihrer Machart gleichen die Aufnahmen exakt den Überwachungssequenzen, mit denen Tony Scott 1998 seinen Spielfilm "Enemy of the State" einleitete. Die dort im Vorspann gezeigten Machtzentralen - unter anderem das damals noch unbeschädigte Pentagon - sind hier lediglich gegen die Knotenpunkte des Aktienmarkts ausgetauscht. In Scotts Film gerät Will Smith wider Willen als "Staatsfeind Nummer 1" in die Mühlen der Überwachungsmaschine aus CIA, NSA und FBI. Die Bildsequenzen, die sich ihrerseits an den hinlänglich bekannten Satellitenbildern aus dem ersten Golfkrieg orientierten, stehen dort für das allgegenwärtige Überwachungsauge des Staates, das einen technologischen Krieg gegen den Einzelnen führt.

Was sagt das über die Dresdner Bank aus? Falsch ist das, was im Spot implizit gezeigt wird, sicher nicht: Sollte es heute noch ein vereinheitlichendes Auge geben, nach dessen Blick sich die Welt ausrichtet, dann ist es wohl tatsächlich am ehesten das des Kapitalismus. Ob jedoch eine Bank in verblüffender Ehrlichkeit für die Kapitalisierung und Öffentlichmachung des Privatlebens - die immer auch mit Techniken der Überwachung einhergeht - werben kann, indem sie den Überblick über den Geldmarkt in Bildern darstellt, die an Überwachung und militärische Angriffe erinnern, ist zumindest fragwürdig.

Das letzte Bild des Werbeclips zeigt wieder die Erdkugel von außen und nimmt damit die Metapher vom globalen Kapitalismus beim Wort. Aber: Wenn wir gegenüber dem Finanzmarkt in der Rolle des unschuldig verfolgten Will Smith sind, wer wäre in diesem Film dann Gene Hackman, der uns da rausholt?




"Wenn er über das Menschliche und Natürliche hinausgeht, dann mit der größten Coolness. Er deutet nur zart an, er verschmäht die Fotografie als Hieb, als Gag, all die schreienden Platituden, die Mache, mit der ein Illustriertenmann sich vom andern absetzen will. Wie aber ist es möglich, dass solche Banalitäten so sehr beeindrucken? Wie können ein rosa Plastikfisch oder ein ausrangiertes Schaukelpferd zu Hauptdarstellern von Tragödien werden? Wie ist es zu erklären, dass ich an der Schönheit dieser Ketchup-Flasche, dieses Parkschilds, dieses Sondermülls mein Leben lang achtlos vorüberging? Die Antwort auf die letzte Frage bleibt. Weil ich kein Amerikaner bin.

Ein Amerikaner tut die Oberfläche nicht leichtfertig ab, um einer Tiefe willen, die es nicht gibt. Er hat noch ein Verhältnis zur Schönheit. Mir muss die Welt, die mir Eggleston zeigt, wie ein Schutthaufen erscheinen, den ein Gott illuminiert hat. Aber es gibt keinen Gott, es gibt nur diesen Schutthaufen. Das ganze Geheimnis, sagt Wittgenstein, ist, dass es kein Geheimnis gibt. »Die Dinge liegen unmittelbar da vor unseren Augen, kein Schleier über ihnen.«"
[ Stefan Ripplinger, Bin gleich wieder da, zu Los Alamos, frühe Farbfotografien William Egglestons, in Köln ]



Dienstag, April 22, 2003
"Zur Orientierung verhilft eine ganz einfache Methode, die auch jeder intuitiv anwendet. Man sammelt alles noch einmal auf, was man bestimmt weiß, hoch selektiv. Was zusammengesammelt wird, muss nicht stimmen, aber es ist das natürliche Gegenmittel gegen die Verwirrung. Dadurch entwickeln Menschen sich neue Bilder. Insofern bekämpfen Bilder Bilder. Insofern bekämpft Krieg Krieg. Die Vorstellung des Kriegs von sich selbst als Träumer des Absoluten – er sei die reine schiere Gewalt (tatsächlich ist er, zum Beispiel, Sandsturm, Kartenspielen, Durchfall) – wird durch die Pannen, die dieser selbe Krieg produziert, aufgezehrt. Die Aggression, die der Krieg entfesselt hat, richtet sich irgendwann gegen die eigene Partei."
[ Alexander Kluge, Jeder Schrecken ist löchrig wie ein Schwamm - Interview mit Claus Philipp in "Volltext - Zeitschrift für Literatur", vom 8.4.03 ]



Montag, April 21, 2003
Harun Farocki, Kriegstagebuch (5)

Nachträge:


Embedded Journalists
Ihnen reichte nie aus, was sie aus der Perspektive ihres Truppenteils auffassen konnten. Sie stellten sich vor einem Fahrzeug oder Gebäude auf und erzählten der Kamera, was sie aus zweiter Quelle erfahren hatten. Nur wenn sie wie Korrespondenten agierten, wussten sie was zu sagen. Von ihrer teilnehmenden Beobachtung, von ihrem Soldaten-Spielen blieb nichts übrig.


Kriegskosten
In der Nationalgalerie von Toronto sah ich zwei Plakate aus dem Zweiten Weltkrieg, auf dem ersten ist ein sauber leergegessener Teller zu sehen mit ein paar abgenagten Knochen. Der Text mahnt, keine Resourcen zu verschwenden. Das zweite Plakat zeigt ein Bomberflugzeug und eine fallende Bombe und fordert auf, die Knochen jeder Mahlzeit zu sammeln und abzugeben, man könne daraus Leim zum Flugzeugbau und Detonationsmittel für Bomben herstellen. Damals musste man sich Kriege noch vom Mund absparen!


Rhetorik des Unzureichenden
Sieben US-Soldaten werden aus der Kriegsgefangenschaft entlassen/befreit. Eine Video-Kamera hat vom Ereignis etwas aufgenommen, zwei Krankenwagen, die nebeneinander herfahren und die Soldaten selbst, die einen Platz überqueren. Die Bilder wurden per Videophone übermittelt. Jetzt werden sie in Zeitlupe wiederholt, zu einem Kommentar, der das Ereignis wiedergibt. Genau das sieht man ständig auf "Unabhängigen Film-Festivals”, ein Bild das nicht viel sagt, technisch herabgesetzt zum Ziel der Überhöhung, oft wiederholt um überdeutlich zu machen, dass die grossen Momente keine Bildentsprechung finden. Bei diesem CNN-Beitrag macht diese rhetorische Figur einigen Effekt, denn die Produzenten handeln aus reiner Bildernot und wollen das nicht beschönigen.


Augenbinde
Woher kam der Kran, mit dem das Saddam-Standbild in Bagdad umgerissen wurde? Dass jemand zuvor der Figur eine US-Fahne um das Gesicht gewickelt hatte, könnte ein schiefes Bild ergeben. Oder, die Fahne soll eine Augen-Binde bedeuten, wie man sie dem Verurteilten vor der Hinrichtung umlegt.


Erfolg
Am 7.4.03 gab die CIA Hinweis, Saddam und seine Söhne Uday und Qusay hielten sich in einem bestimmten Gebäude auf, ein B-1B Bomber flog hin und warf eine 900-Kilogramm-Bombe drauf, die einen 18 Meter grossen Krater riss. Rumsfeld sprach von einem ausserordentlichen Erfolg. Ob die Familie Saddam getroffen wurde, wurde nicht weiter verfolgt. Mindestens 14 Zivilisten waren tot und das Sprüchlein vom Bedauern
darüber wurde vergessen. Da die Präzision der Waffen in diesem Krieg ständig gerühmt wurde, kann der Erfolg nicht darin liegen, dass die Bombe ihr Ziel nicht verfehlte. Läge er darin dass es gelang, eine Aufklärung des Geheimdienstes schnell zum Militär zu kommunizieren, würde Rumsfeld das kaum öffentlich machen wollen.
Pentagon-Reporter durften mit zwei Mitgliedern der Bomber-Besatzung ein Telefon-Interview machen, das auch sogleich auf CNN ausgestrahlt wurden. Captain Wachter und Lieutenant Swan erzählten von Adrenalin-Stössen und Stolz. Üblicherweise wird nicht öffentlich gemacht, wer wohin eine Bombe wirft. Bei einer standrechtlichen Erschiessung gibt es sogar den Brauch, ein Gewehr mit einer hölzernen Kugel zu laden, sodass jeder im Kommando denken kann, er habe den Tod nicht verursacht.


Uniform-Mode
Polizei-Uniformen haben keine Anmutung, im Kino sind die Polizisten ohne Uniform die Helden und die in Uniform die Witzfiguren, wie die Keystone-Cops zu Stummfilm-Zeiten, die bei Verfolgungen über einander stolperten. Wenn das Projekt einer Welt-Polizei sich durchsetzt, müsste auch Madonna wieder die Uniform ablegen und sich zivilisieren.
Vielleicht kriegen wir im Kino bald eine gut choreografierte, herumpurzelnde Weltpolizei zu sehen.


Zeit-Politik
1991 begleitete das nichtprivate Fernsehen in Deutschland den Krieg gegen den Irak exzessiv und als er vorbei war, behielt es das "Frühstücksfernsehen" bei. Kein Feind kann für die Ausdehnung der Sendezeiten und Vermehrung der Kanäle verantwortlich gemacht werden, das müssen wir uns schon selbst zuschreiben. Nach der Theorie des Partisanen versucht der Schwache, den Starken zu schwächen, indem er dessen Aufmerksamkeit bindet. In der selbstauferlegten Zertreuung beim Dauerfrühstück ist ein Gegner entworfen, dessen Bild nicht zu fassen ist.



Freitag, April 18, 2003
"Wieder ein anstrengender Tag. Trotz Sonne."
Rudolf Thome, Frau fährt, Mann schläft
Drehtagebuch - 1. Woche (9.4. - 13.4.)



Donnerstag, April 17, 2003
Film-Hinweis
In Berlin gezeigt wird am 19. und 20.04.
James Bennings UTOPIA
Grossartige Aufnahmen des Death Valley bis hin zur suedlich gelegenen mexikanischen Grenze mit dem kompletten Soundtrack aus dem Dokumentarfilm "Ernesto Che Guevara, das bolivianische Tagebuch" (1994) des Schweizer Filmemachers Richard Dindo ueber die letzten Tage des bolivianischen Revolutionaers. Vor diesem Hintergrund erfahren Bennings Aufnahmen der kalifornischen Landschaft eine neue Dimension.
Ort:
Augenblick - Raum fuer Gegenwartskunst, Niederbarnimstr.15, 20 Uhr.
[via Berliner Gazette]



Mittwoch, April 16, 2003
Fernseh-Hinweis
Freitag, 18.4.03 - SFB1 - 23:00 Uhr - "Playgirl - Berlin ist eine Sünde wert", Regie Will Tremper, BRD 1966.
Ein kurzer Text dazu auf unserer Langtextseite: hier.



Dienstag, April 15, 2003
Sicherheitsmitarbeiter haben ein wachsames Auge auf Ihre Gegenstände
"Am xx.xx. 2003 findet die absolut erste Aufführung unseres Films

X MEN 2

Regie: Bryan Singer
mit Patrick Stewart, Hugh Jackman, Halle Berry, Ian McKellen, James Marsden, Famke Janssen
Länge: ca. 120 Min.
Originalfassung
Start: 1. Mai 2003

um xx:xx Uhr im Filmpalast Berlin, Kurfürstendamm 225 statt.

Bitte haben Sie Verständnis, dass aus Sicherheitsgründen (der Film ist zu diesem Zeitpunkt auch in den USA noch nicht gestartet) keine Taschen in den Kinosaal genommen werden dürfen, sowie Mäntel und Jacken unter Aufsicht im Foyer des Kinos abgegeben werden müssen.
Sicherheitsmitarbeiter haben ein wachsames Auge auf Ihre Gegenstände. Natürlich dürfen auch keinerlei Aufnahmegeräte (werder für Bild noch für Ton) mitgeführt werden.
Mit Ihrem Erscheinen zur Vorführung akzeptieren Sie diese Festlegungen!"



Montag, April 14, 2003
Harun Farocki, Kriegstagebuch (4)


6.4.03 (Toronto)
Ein kanadischer Nachrichtenkanal in ähnlichem Design wie CNN, auf dem Hauptbild spricht ein Arzt über SARS, auf dem Nebenbild erscheinen Autobahnbilder aus der Region, die eine Bildunterschrift jeweils lokalisiert. Es hat einen heftigen Schneefall gegeben und diese Bilder sollen die Verkehrsverhältnisse dokumentieren. Für einen Augenblick glaube ich, sie zeigten den Vormarsch der Seuche und zugleich den Vormarsch der Koalition auf Toronto.
Seit Beginn der Invasion haben wir aus dem Irak Bilder von ähnlicher Banalität gesehen, denen kaum mehr abzulesen war als Wetter und Verkehrsdichte. Das Wissen, das seien Kriegsbilder, hat uns in Spannung gehalten. Die Kommentar-Stimmen haben zu der Spannung beigetragen, indem sie von "unerwarteten Schwierigkeiten" und einem "Widerstand, stärker als erwartet" sprachen. Das ging mir ein, wohl im Kinderglauben, das Unrecht des Angriffs werde sich rächen, gleich oder irgendwann.


7.4.03
Im "Toronto Star” das Foto eines US-Panzers, in starker Untersicht gegen einen hellblauen Himmel, von dunkelgrauen Wolken oder Rauchschwaden durchzogen. Auf der Luke des Panzers am Bildrand rechts steht ein irakischer Soldat und hält Ausschau, am Bildrand links balanciert ein zweiter sehr sicher auf dem Kanonenrohr von etwa zwanzig Zentimern Durchmesser, seine Jacke weht auf und die rechte Hand hält eine Waffe gesenkt, die linke ist zum Victory-Zeichen erhoben. Dabei schaut er aus dem Bild nach links oben. Die Bildunterschrift sagt, der M-1 Abrams-Panzer sei bei einem Kampf an der Stadtgrenze von Bagdad von einer Granate getroffen und aufgegeben worden. Das Bild hält keine Pose fest, sondern friert einen Moment aus einer unverständlichen, mit Selbstgewissheit ausgeführten Handlung ein. Die Untersicht und der dramatische Himmel erinnern an ein Schlachtengemälde. "A coalition plane later swooped in and destroyed the tanks remains." Das ist symbolische Politik: ein kaputter Panzer wird zerstört, damit man mit ihm kein "Schindluder" treiben kann, damit die Panzer-Leiche nicht weiter geschändet werden kann.


8.4.03
Anders als in den USA ist hier in jeder Bar der Krieg auf dem Bildschirm anwesend. Im Frühstückscafé ein kanadischer Kanal auf dem links Strassenbilder aus Bagdad und rechts Highways aus der Region Toronto zu sehen sind.


9.4.03
Im Traum: Wir fuhren mit einem Bus zu etwas wie einem politischen Seminar. Jemandem war es gelungen, den alten Hitler aufzutreiben. Er sass mit uns im Bus und sah sich ein bißchen ähnlich, aber auch teilweise überhaupt nicht. Ich versuchte sein Alter auszurechnen und witzelte mit ihm rum :"Haben Sie Dich angerufen oder Eva Braun?". Ich duzte ihn absichtlich. Wir kamen überein, dass er nicht echt sein kann. Mein Freund Christian Petzold sagte: "Würden Sie diesem Mann ein gebrauchtes KZ abkaufen?"
Das ist natürlich ein Tages-Rest. Am Vorabend hatten wir das Video mit Bin Laden oder seinem Wiedergänger gesehen. Ausserdem hatte Hitler am Ende Sorge, man könne mit seiner Leiche "Schindluder” treiben.


11.4.03
Erinnerung an einen Satz von Jan Stage: Früher wurden Kriege geführt, um sich etwas unter den Nagel zu reissen, heute, um einen Antrag auf Kredit bei der Weltbank vorzubereiten. Umfrage auf CNN: Ist der Krieg erst dann gewonnen, wenn wir S.H. haben (tot oder lebendig) oder wenn er aus dem Amt ist. 51% zu 49%.
Dieses Tagebuch endet in der nächsten Woche.



Mittwoch, April 09, 2003
Webloghinweis
auf das Filmtagebuch aus Berlin



Montag, April 07, 2003
Harun Farocki, Kriegstagebuch (3)


31.3.03
"Erstausstrahlung" von Madonnas "American Life" auf dem Musikkanal Viva, - dem Sender mit dem Friedens-Zeichen als Logo. Der Clip will sich gegen jeden Einwand schützen, indem er ins Zentrum eine Modenschau stellt, mit Mädchen in Talibankleidung auf dem Laufsteg, über den schliesslich ein jeepähnliches Fahrzeug mit Mädchen in Uniform hereinbraust. Es soll also um die Mode der Politik gehen. Es war eine Politik der Mode, dass Anti-Militaristen Uniform-Teile anlegten, um deren Magie zu brechen. Umgekehrt haben US-Soldaten im Vietnam-Krieg Attribute der Protestbewegung angenommen: lange Haare, Drogen, Rock-Musik. All das ist seither völlig entzaubert und taugt nicht mehr zum Ausweis einer Geisteshaltung. Darüber gibt es schon Bücher und das muss Madonna, die als nicht dumm gilt, wissen. Dass der Clip schon vor der Premiere umgeschnitten worden sein soll und danach wieder zurückgezogen wurde, also eine Provokation bedeuten soll, hat mit der Krise der Institution Militär zu tun. Weil es für das überkommene Militär keine Funktion gibt, wird der Soldatenrock wieder zu einem Heiligtum. Zur nationalen Folklore trägt Madonna bei, indem sie so tut, als könnte sie für ihren Clip an die Wand gestellt werden. (Ein "Fashion Victim"). Zu unterstellen, ihr Spiel könne die Soldaten beleidigen, während jeder zweite Arbeitslose in Armee-Klamotten rumläuft ("Reserve-Armee"), weist auf die ideologische Konfusion und ist damit vielleicht sogar ein subversiver Akt.


2.4.03 (Chicago)
Der Krieg ist eher in den Börsen-Schwankungen abzulesen als in den Alltagsbildern. In den Bars laufen nur Sportbilder. Im Hotel müssen wir durch viele Kanäle schalten, bevor der Krieg erscheint. CNN hat hier einen anderen Tonfall als in Europa. Der Grundton ist der eines Sportreporters, der entschieden für das eigene Team Stimmung macht. Strassen im Irak sind zu sehen, auf denen Panzer in Richtung Bagdad fahren. Bei Sportereignissen ist es heute üblich geworden, vor und nach dem Spiel Experten einzuladen und mit ihnen zu sprechen, weil das Bild nichts hergibt. Hier gibt das Bild nie etwas her, die "überraschend heftige Gegenwehr" ist nie zu sehen und auch eine Totale von Bagdad während des Bombardements macht nicht deutlich, was getroffen wurde und mit welchen Folgen. Also werden auch hier Experten zugeschaltet, ein ehemaliger Verteidigungsminister und ein ehemaliger Aussenminister. Sie haben an der Kriegsführung einiges auszusetzen und am aussenpolitischen Kurs der Bush-Regierung, meinen das aber konstruktiv. Der Ex-Aussenmminister sagt, es wäre schön, dass Bush "this animal" Sadam jetzt killen wolle. Mal erscheint das Bild des TV-Hosts links und daneben, übereinander, sind die beiden Experten zu sehen, im nächsten Augenblick ist der eine Experte grösser zu sehen und die beiden anderen Köpfe sind in kleinere Rahmen gekästelt. Das Umschalten und grösser und kleiner erscheinen lassen von zugeschalteten Köpfen ist sowieso die Hauptaktion bei CNN. Hier ist nun auch stets noch die irakische Landschaft mit den Fahrtaufnahmen dabei.


5.4.03
Anders als im vorigen Krieg gegen den Irak 1991 ist die Kriegsführung darum bemüht, möglichst keine oder möglichst wenige zivile Opfer zu verursachen. Die Live-Bilder aus Bagdad, Totalen, die das Ausmass der Bombardements nicht ermessen lassen und auch die langen Einstellungen von Truppenbewegungen irgendwo lassen sich mit den Bildern aus Überwachungskameras in einem Bürohaus oder Krankenhaus vergleichen. Sie zeigen nicht alles und es ist ihnen nicht abzulesen, ob einer die Bücher fälscht oder die Narkose verpatzt. Aber dass es die Kameras und die Bilder gibt, das steht für eine gewisse Ordnung und soll für Rechtlichkeit gelten. Wir sind als Zuschauer in die Rolle des Sicherheitspersonals versetzt, vor dem diese Bilder ablaufen. In jedem Film sind die Leute vor diesen Kontrollschirmen elende Idioten und kriegen eins auf die Mütze beim Überfall. Sie werden wenigstens bezahlt fürs absitzen, wenn auch schlecht.



Sonntag, April 06, 2003


Wort des Tages vom 03.04.2003: Bomben


Fernsehen
Den Eindruck, dass die in den Nachrichtenkanälen gezeigten Bilder vom Krieg lügen und betrügen, habe ich eigentlich nicht.
Der Eindruck des Schlechtbehandeltwerdens befällt mich hin und wieder, wenn ich zusehe, wiediese Bilder in immer routinierterem Umgang fürs Erzählen genommen und gerichtet werden: aneinandergereiht; gegengeschnitten; mit Legenden und Tönen versehen; untertitelt; übereinandergelagert; hinter Live-Berichterstatter platziert; verschiedene Zeiten und Materialien mischend und Karten, Animationen, Icons und Trademarks über sie ziehend; Blicke und Bewegungen aus dem einen in das andere übertragend; einen Schwenk mit einer Ranfahrt konternd; ein flackerndes Blitzlicht als Schnittmoment nutzend; von städtischen Straßenmengentotalen auf Kindergesichter darin zoomend und dann tausende Kilometer von dieser zur nächsten Einstellung ins Bundespresseamt, Oval Office, House of Commons, nach Afghanistan oder zum Publikum auf der Straße für einen Beweis des Zusammenhangs zurücklegend; sowie weiterem mehr.
Kein Grund für Ikonoklasmus. Es geht wohl mehr um die Signaturen.
Kein euphorisierendes Adrenalinansteigen aber auch beim Gedanken ans Stürmen der audiovisuellen Erzählzentralen (siehe dazu auch die Elemente der Schlachtbeschreibung I, II und III - vom Wörterberg, dessen tägliche Lektüre diesen Eintrag offensichtlich beförderte).



Samstag, April 05, 2003
Langtexthinweis
Kinoträumer gegen das Godardgespenst.
Von Michael Girke. Zu Syd Fields Going to the Moviesund Michael Althens Warte bis es dunkel ist.



Mittwoch, April 02, 2003
Langtexthinweis
Mit den Augen schreiben, oder: 5 Komplimente an Frieda Grafe. Von Michael Girke.



Dienstag, April 01, 2003
Harun Farocki, Kriegstagebuch (2)


23.3.03
Gestern nahm ich im SFB an einer Radio-Diskussion teil. Zuhörer riefen an und alle kritisierten die Bild-Berichterstattung im Fernsehen. Nicht nur, dass da kein vollständiges oder wahres Bild vom Krieg gezeigt werde. Eine Frau sagte, sie habe gesehen, wie ein TV-Team Gas-Masken anlegt und hätte denken müssen, sie schützten sich, um Bilder ungeschützter Zivilisten aufnehmen zu können.
Erinnerung an den ersten Kriegstag: in Kuwait ist Luftalarm, im Pressezentrum versuchen die Berichterstatter, ihre Gasmasken anzulegen. Im Hintergrund sieht man das Hotel-Personal, Männer und Frauen aus Thailand und von den Philippinen. Für sie gibt es keine Masken, sie haben Taschen-Tücher umgebunden – wie bei einer Grippe-Epidemie.



24.3.03
Für zwei Tage bin ich in Lille, man bringt mich in einer Wohnung ohne Fernseher unter.
Auch das Tabac über die Strasse hat keinen Fernseher.
- Ein Bildtyp, der 1991, beim Krieg der Alliierten gegen den Irak, Furore machte, kommt in diesem Krieg nur noch am Rande vor: die Luftaufnahmen aus Flugzeugen oder Drohnen zur Überwachung des Bombardements.In kontrastarmem Schwarzweiss, im Zentrum das Fadenkreuz. Mit dem Einschlag des Projektils reisst die Aufnahme ab.
Noch mehr Erstaunen riefen die Bilder aus dem Kopf der Projektile hervor, die den Anflug auf das Ziel übermittelten, aus "filmenden Bomben” (Theweleit). Weil Videospiele mit dynamischen Perspektiven Effekt machen, schrieb man damals viel, der Krieg erscheine wie ein Videospiel.
Diese Bilder wurden im Zusammenhang mit dem Wort "intelligente Waffen" gezeigt, und weil sie den Blickpunkt der Waffe einnahmen und nicht den eines zielenden Soldaten erschienen sie als Subjektive neuen Typs. Sie gaben dem Projektil eine Subjekt-Ähnlichkeit und waren ein Bild zur Einfühlung in den Geist der Waffe.
Es ist damals kaum bemerkt worden, dass eine Videokamera im Projektil noch lange nicht beweist, dass dieses "intelligent" ist, also mittels Bildverarbeitung ein Ziel erkennen und ansteuern kann. Tatsächlich dienten die meisten der Bilder aus diesen Selbstmord-Kameras nur zur fotografischen Kontrolle der Wirksamkeit des Angriffs – dieses Verfahren gab es schon in Zweiten Weltkrieg.
Diese Bilder waren also eine merkwürdige Reklame: Reklame für eine Waffe, die die Waffenindustrie gerne entwickeln/verkaufen würde und die Militärführung gerne bezahlt bekäme. Ein Waffe behauptet ihre Existenz um ein Existenz-Recht zu setzen! -
Gestern wurden solche Bilder bei einer Pressekonferenz der US-Kriegsführung gezeigt. Der Fernsehbericht des 1.Programms zitierte sie nur für Sekunden und merkte an, diese Bilder bewiesen nichts. Der Kommentar merkt gegenwärtig ständig an, man wisse nicht, wo eine bestimmte Bildfolge aufgenommen worden sei und man könne nicht nachprüfen, ob sie eine Situation angemessen wiedergebe. Auf einmal ist das Fernsehen extrem medienkritisch.
Man spricht in diesem Krieg nicht mehr von "intelligenten Waffen”, nur noch von Präzisions-Waffen.



31.3.03
Schlagzeile der "Berliner Zeitung": "Kirche unterstützt Reformkurs". Der Krieg ist nicht mehr die erste Nachricht.



Samstag, März 29, 2003
Harun Farocki, Kriegstagebuch
(Zuerst veröffentlicht in der WoZ)


18.3.03
1944 machten Aufklärungsfotografen der US-Luftwaffe Aufnahmen von den Anlagen zur Herstellung von synthetischem Gummi und Benzin in Monowitz / Polen. Ohne es zu wollen und ohne es zu bemerken, erfassten sie dabei auch einige der Lager von Auschwitz. Diese Bilder wurden erst 1977 veröffentlicht. Die zuführenden Bahngleise lassen sich identifizieren, eine Wand, an der Exekutionen vorgenommen wurden, das Haus des Kommandanten, selbst die Schächte auf den Dächern der Gaskammern, durch die das Zyklon-B geworfen wurde, zeichnen sich ab. In der Distanz von 7000 Metern ist der einzelne Mensch kaum mehr als ein Bildpunkt, Menschen in Gruppen sind als Muster erkenntlich, eine Gruppe bewegt sich von den Bahngleisen zum Lager, eine andere steht in einer s-förmigen Windung auf dem Hof Schlange, um registriert zu werden. Eine dritte bewegt sich zur Gaskammer beim Krematorium 4, das Tor zum Hof steht schon offen.
Diese Bilder schienen mir damals ein angemessenes Mittel zur Darstellung der Lager, weil sie zu den Opfern eine Distanz halten. Anders als die Bilder aus der Nähe: Bilder von der Selektion auf der Rampe, Bilder der ausgehungerten Häftlinge in den Schlafräumen, der Leichenberge, die der Bulldozer wegräumt. Mit solchen Bildern wurde den Opfer noch einmal symbolisch Gewalt angetan und auch bei bester Absicht wurde von Ihnen ein Gebrauch gemacht.
Mit dem Krieg der Alliierten gegen den Irak wurde aus den Luftbildern ein alltägliches Mittel der Berichterstatung. Die TV-Stationen wurden mit schwarz-weissen Bildern mit dem Fadenkreuz im Zentrum überschwemmt, die entweder die Aufsicht auf ein Ziel gaben, in die ein Projektil einschlug. Oder die aus dem Kopf eines Projektils übertragen wurden, die den Anflug auf ein Ziel zeigten, bei dessen Erreichen das Bild abriss. Von diesem Bildern sagte Virilio, sie zielten auf uns.
Diese Bilder sind eine Propaganda neuen Typs. Sie sehen sachlich aus – wie ein technischer Vollzug – und unterschlagen, dass es viele menschliche Opfer in diesem Krieg gab. Es ist auch bezeugt, dass es Bilder gibt, auf denen Menschen im Zielgebiet zu sehen sind – aber das ist kaum zu beweisen. Die Bilder werden vom Militär erzeugt wie kontrolliert. Kriegs-Führung und –berichtersattung fallen hier zusammen.
Die Gegenseite hat ebenso Gründe gehabt, die menschlichen Opfer nicht zu zeigen.
Das soll nicht heissen, dass man die Bilder der Verletzten und Toten hätte zeigen sollen. Es ist nur zu deutlich, dass uns diese Bilder nicht aus guten Gründen erspart bleiben. Als Bush am 16.3. auf den Azoren den Giftgas-Angriff der irakischen Führung ansprach, gab es auf einmal Bilder von Toten auf den Strassen von K. zu sehen.
Schreckliche Bilder – vor 17 Jahren aufgenommen, als der Irak noch den Iran bekämpfte und von den USA unterstützt wurde – jetzt ausgespielt wie ein Trumpf.
In Tagträumen habe ich oft gedacht, dass ein guter Text, eine gute Fernseharbeit auf die vielen schlechten Texte und Bilder angewiesen ist, von denen sie sich absetzen will. Sind die guten Autoren nicht Ausbeuter der schlechten, so wie die hochqualifizierte Arbeit als Unterfutter die massenhafte, ungelernte braucht? Wenn es um den Krieg geht, wie kann man da beim Schreiben oder Filmen vermeiden, mit den entstellten Körpern Geschäfte oder Politik zu machen.




19.3.03
Zur Wappnung ein paar Worte von Serge Daney: "Das Bild steht immer an der Front der Auseinandersetzung zwischen zwei Kraftfeldern, es ist dazu verdammt, eine bestimmte Andersheit zu bezeugen, und es fehlt ihm immer etwas, obwohl es stets einen harten Kern besitzt. Das Bild ist immer mehr und zugleich auch weniger als es selbst." In ernsten Zeiten sind dumme Bilder und Wörter schwer zu ertragen. Die dummen Bilder sind nicht solche, die ihr Ziel verfehlen und etwas anderes treffen – in Analogie zu den "dummen Bomben”, die schon zum geflügelten Wort geworden sind.
"Um mir das Leben nicht weiter zu komplizieren, entschloss ich mich, zwischen dem "Bild” und dem "Visuellen” eine klare Unterscheidung zu treffen. Unter dem Visuellen verstehe ich die optische Verifikation eines rein technischen Funktionierens. Das Visuelle kennt keinen Gegenschuss, ihm fehlt nichts, es ist abgeschlossen, kreisförmig in sich zurücklaufend, ein wenig von der Art des pornografischen Spektakels, das nichts weiter ist als die ekstatische Verifikation des Funktionierens der Organe.”[*]

[*] Serge Daney, Von der Welt ins Bild – Augenzeugenberichte eines Cinephilen. Aus dem Französischen von Christa Blümlinger, Dieter Hornig, Silvia Ronelt, Herausgegeben von Christa Blümlinger, Verlag Vorwerk 8, Berlin, 2000




20.3.03
Im Kino und Fernsehen ist der Tod - radikaler noch als im Seelenleben – der Tod der anderen. Ich bin der Betrachter – ich sehe andere sterben, aber der Film wird weitergehen oder sich fortsetzen, also werde ich ewig leben. In Kriegszeiten kann ich die Bilder, die ich gerade gesehen habe, gleich nochmals auf dem gleichen Kanal oder einem anderen sehen. In einer Kolumne einer Filmzeitschrift hat Handke einmal von der Erfahrung mit billigen Nachtprogrammfilmen geschrieben, die in Rom begonnen werden und nach einer Insolvenz der Produktion in Berlin fortgesetzt werden. Nichts ist unheimlicher, als wenn Darsteller aus einer Filmerzählung spurlos verschwinden! Das ist der Erfahrung des Todes näher als das Bild eines Sterbenden, dessen Sterben, weil Wert in einem dramaturgischen Kalkül, auch noch etwas wie einen Sinn bekommt.
Am 11. September bemerkte ich, dass einem Moderator, der um die Mittagszeit in das Studio gekommen war, inzwischen Bartstopeln gewachsen waren. So etwas hatte ich noch nie gesehen und das belegte den Ausnahmefall besser als all die Beteuerungen, nichts werde mehr so sein wie bisher. Dass einem während der Fernsehsendung der Bart wächst, das ist so erschreckend wie dass einem nach dem Tod der Bart noch nachwächst.




21.3.03
Rache für den 11.9.: Jetzt haben die USA etwas in Gang gesetzt, von dem es nur ein paar Bilder gibt und die immer wieder gezeigt werden.




22.3.03
Ein Mail meines Freundes Rembert Hüser: ”Und warum schreibt oder sagt niemand, daß 'awe' von 'shock and awe' nicht 'Einschüchterung', sondern 'Ehrfurcht' heißt? Daß es sich dabei um einen Begriff aus der Erhabenheitsästhetik handelt, daß es um die Anerkennung von Minderwertigkeit angesichts des Göttlichen geht?”




23.3.03
Ein Bild, wie ich es noch nicht gesehen habe. Start von Flugzeugen vom Deck eines Flugzeugträgers. Alle Gegenstände in leuchtenden Falschfarben, in niedriger Rate übertragen. Ein reales Bild, allerdings ohne jede Raumwirkung, wie icons auf einem display. Startende und landende Maschinen auf dem Flugzeugträger sind ein häufiges Motiv, das Standard-Stellvertreter-Bild für Kriegsführung, ähnlich dem von der Stahlschmelze für Industrie-Produktion. Zu oft gezeigt, ein neuer Ausdruck wird gebraucht!
Beim Zappen haben wir bemerkt, dass Viva sein Logo durch ein Ostermarsch-Zeichen ersetzt hat, zum Zeichen der Anerkennung sehen wir uns einen Clip an. Ein Rapper im Ghetto, mit teuren Kameras werden Effekte billiger Kameras nachgemacht, damit die Armut als Geste deutlich bleibt, wie bei einem Staatsmann, der das Gewand einfacher Menschen trägt. Auf den Rücken der Rapper erscheinen kurz elektronische Fadenkreuze. Ein Rebell zu sein heisst im Fadenkreuz der Hightech-Waffen zu sein. Zur Zeit des Kossovo-Krieges hielten in Belgrad Demonstranten Papp-Schilder mit einem Fadenkreuz hoch: wir sind die Opfer; daher muss die Idee für den Clip sein.



Freitag, März 28, 2003




"Kodomo News"
Get out the toys! Time to teach the kids about war.
While flipping through the channels last Saturday night trying to pick up news on the war, I came across a show that was teaching kids about the conflict. It looks like the show (or segment) is called Kodomo Nyusu (Kid's News). They were using toy props and cartoons to show a trio of very glum-looking kids what was happening in Iraq. It was too bizzare to pass up, so I grabbed my camera and started snapping photos.



Freitag, März 21, 2003
Fernsehen
Monochrome Studiohintergrundflächen, horizontal aufgeteilt mit dünnen Zwischenlinien. Schreibtische, Stehtische, manchmal auch Räume wie unbegrenzte Bühnen mit Blueboxes für Karten, Pfeile, gemorphte Animationen vor denen anzugtragende Männer sich nach links und rechts bewegen und gestisch sich auf den Hintergrund wie auf den Zuschauer beziehen wie Wettervorhersager. Was den Generalstabsdarstellungseindruck stört. Schriftzüge, Senderlogos, Motti an den Bildecken, oben links, oben rechts, unten rechts, unten links, je nachdem, wo man gerade zugeschaltet ist. Manchmal im unteren Bilddrittel mehrere Laufbänder übereinandergelagert, deutschsprachige des Heimatsenders, daruntergelegt amerikanische, englische, arabische. Allseitige Betonung der Wendung "es scheint so, dass". Desktopästhetik. Unterschiedlich große Bildquadrate ("Fenster"), die die Stellung im Kader wechseln, noch klein am unteren Rand im Verhältnis zum großen Hauptbild sich mit elektrisch erzeugtem Bewegungssounds über das eben noch große Hauptbild lagern und jenes in die Ecke drängen, in der sie eben noch ihren Platz hatten. Allgegenwärtige Dominanz von Grün, Blau und Ocker. Weißblitze wie Materialfehler vor gründunklem Horizont mit Stadtsilhouettenanmutung. Langsame Schwenks, aber nicht langsam genug, um dem Auge den verstörenden Pointillismuseffekt der sich auf- und abbauenden Pixel zu verbergen. Absolut unverstehbare Telefongespräche, Bilder der Unverstehbaren, oft mit längst aus der Produktpalette entfernten Hörermodellen in ihren Händen, aus fernen Zeiten, unten links oder unten rechts angebracht (Geistergespräche). Zusammenfassungen des Tagesgeschehen in alles vorherige wegwischende Grafiken, die für diese resümierenden Momente keine anderen Bilder neben, unter sich zulassen, für die Nachzügler, Späteinschalter, unterteilt durch Trennlinien. Embedded Journalists - der amerikanische Panzerfahrer mit Helm sieht darunter aus wie Antonio Banderas, der hinter ihm im Fond des Panzers in ein Mikrophon sprechende Korrespondent, auch mit Helm, wie Timothy Dalton. tbc



Donnerstag, März 13, 2003
Langtexthinweis
Irrtum im Jenseits, von Rembert Hüser



Mittwoch, März 12, 2003


Michael Goldgruber:"Remotecontrol", 2002, oil on canvas



Dienstag, März 11, 2003
Webloghinweis
Fängt gut an - film + kritik



Montag, März 10, 2003
Langtexthinweis
Manfred Bauschulte: Einige Reflexionen über Film, Totenkult und Terror - zu: “Stalin – eine Mosfilmproduktion”, Dokumentarfilm von Oksana Bulgakova, Frieda Grafe und Enno Patalas, WDR 1992



Dienstag, März 04, 2003
MARTHA… MARTHA - Sandrine Veysset, Frankreich 2001 (97’)
Kinostart: 6.3.2003

Merkwürdiger Titel.
Die Verdoppelung insistiert, in ihr steckt eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Als ob da jemand aufbegehren will gegen die Macht der Begründungen und sich deshalb genötigt sieht, zum letzten Mittel zu greifen, zur Tautologie, zur nicht hinterfragbaren, immer wahren Aussage. So schafft man unumstößliche Tatsachen, so stellt man Wahrheit her, so steigt man auf zum Gesetz gebenden Alleinherrscher im Reich der Wörter. Diese Putsch-Phantasie hat sich das kleine Einmaleins einer Politischen Ökonomie der Sinnproduktion zum Dogma gemacht: Wer die Regeln festlegt, nach denen willkürliche Laute in Behälter für Information umgewandelt werden, der dominiert das Game.

Ein Wunsch, der so heftig vereinfacht, weist auf einen schwerwiegenden Mangel hin. Eine selbstbewusste, perfekt symmetrische Gleichung zu werden, genau das schafft sie ja nicht, diese Zeichenanhäufung des Titels. Die liegende Drei-Punkte-Linie zwischen zwei identischen Namen markiert ein beredtes Schweigen. Im Gegensatz zum vertikalen und nachdrücklichen Ausrufungszeichen zeigt sie ein Zaudern und Zögern an, Unsicherheit. Erst mal abwarten. Zeit vergehen lassen.
In Theatertext und Drehbuch –dort, wo der Sprechakt notiert wird wie Musik in einer Partitur- stehen solche mit nichts als Bedeutung gefüllten Leerstellen für Pausen, für ein Innehalten im Redefluss, ein Unterbrechen von Bewegung und Handlung. In diesen Löchern reißt Raum auf für Interpretation, für Spekulation. Gewissheit versinkt in Möglichkeiten.

Angesichts der kosmischen Weite, die sich plötzlich hinter dem Wort auftut, kann es das sprechende Subjekt schnell mit der Angst zu tun bekommen. Es geht um eine Intuition, ein seinerseits nicht in Worten fixiertes, in diesem Sinne unbestimmtes Gefühl, das weiß: die Bennennung ist unzureichend, sie erfasst ihren Gegenstand nicht vollständig. Eigentlich gehört sie ergänzt, angereichert - nur so könnte eine präzise Beschreibung entstehen. Aber die kostet unendliche Mühen. Das Leben geht derweil weiter und verlangt eine Wahl. Wie man sich auch entscheidet, die Welt sieht immer schon wieder verändert, immer wieder neu aus.

In diesem Zusammenhang kann man sich leicht verlieren, es ist zum Verrückt-Werden – und auch darauf verweisen die drei Pünktchen, subtil, aber deutlich: Wie Gewichte hängen sie dran am ersten MARTHA und machen jede Hoffnung auf Ausgewogenheit zunichte. Eine winzige typografische Verschiebung und schon gerät alles aus der Balance.

Diese Schadensanfälligkeit will verwaltet werden. Ein dubioses Werkzeug kommt ins Spiel: die Wiederholung. Sie darf verfügen, dass alles beim Alten geblieben ist – eine selbstschützerische Vorspiegelung, die die rettende Rückkehr in eine bekannte Welt und dort ein Dauerbleiberecht verspricht.

Solche Suggestionstechniken funktionieren gut, sie bilden das Fundament aller auf Bewahrung ausgerichteten Weltanschauungen. Und trotzdem bergen sie auch den Kern ihres eigenen Scheiterns in sich: Die den Schein wahrende, Herrschaft stabilisierende Wiederholung bestätigt das Wiederholte nicht nur- gleichzeitig verstärkt sie den Zweifel, den sie eigentlich unterdrücken soll: Muss das Feststehende so betont werden, weil es gar nicht so fest steht?

Gegen den unauflösbaren Widerspruch hilft nur die Sturheit der Selbstbehauptung. Die Wiederholung ignoriert Aufforderungen nach Korrekturen und versucht, die vertraute Bezeichnung in die Ewigkeit fortzuschreiben, gegen alle zu beobachtenden Abweichungen und Änderungen. Damit produziert sie eine Logik des Zwangs. Die alten Fehler müssen wieder und wieder begangen werden.
Das dialektische Karussell dreht sich immer schneller, mit jeder weiteren Runde erhöht sich der Druck der Fliehkraft. Es erfordert eine außerordentliche Widerstandsfähigkeit, um diesen auseinander strebenden Kräften standzuhalten. Verdrängung ist zwangsläufig ein Akt von (Gegen-)Gewalt. Was sie zu leisten und auszuhalten ermöglicht, kann in Erstaunen versetzen.


Gegen unsere steinschweren Worte ist das, was wir sehen von dieser Welt, flüssig und flüchtig wie Wasser. Wir können Trost gut gebrauchen. Diesem Bedürfnis ist der Film gewidmet.

Stefan Pethke