new filmkritik


Dienstag, Juni 20, 2006
The Passenger (1975/2006)


Tschad, frühe 1970er Jahre. Die politische Konstellation ist diffus; der Film vermittelt sie nicht, er abstrahiert. Man kann nachlesen, dass das Land 1960 seine formale Unabhängigkeit erlangt und kurz darauf in vorhersehbare postkoloniale Instabilität abgleitet. Ein Bürgerkrieg zwischen dem islamisch-arabisch geprägten Norden und dem christlich-schwarzafrikanisch geprägten Süden, aus dem der erste Präsident Francois Tombalbaye stammt, ruft neokoloniale Akteure auf den Plan und reaktiviert alte Strukturen des Austauschs. Der Reporter und der Waffenhändler bearbeiten mit unterschiedlichen Mitteln die gleiche weltpolitische Asymmetrie, was den Identitätstransfer, den der Film als Prozess der Desubjektivierung dramatisiert, auch auf einer anderen, symbolischen Ebene geradezu notwendig erscheinen lässt. Plansequenzen, die Räume und Zeiten ineinander schieben, als wäre jedes davor/danach nur eine Frage der Perspektive bzw. der Reproduktionsmittel (hier: ein Tonbandgerät). Die notorische Leere der Räume Antonionis wird plötzlich lesbar als Koordinatensystem einer politischen Geographie, die das Sahara-Hotel mit London, München und Barcelona verbindet. Darin zirkulieren Bilder wie Waffen. Robertson (Chuck Mulvehill), der einfach so wegstirbt, spricht noch von dieser Sehnsucht nach nicht-tautologischen Erfahrungen. Nicht zu haben in diesem vermachteten Raum, der nun wirklich keine Bühne mehr ist für jene alteuropäische Innerlichkeit, die sich in Industriellen-Villen zu Tode langweilt. Soll sie doch. "The Passenger" ist filmgeschichtlich gesehen ein besonders produktiver Fall des Re-entry. New Hollywood gegengelesen durch das darin eigentlich schon prozessierte europäische Autorenkino, zusätzlich verfremdet durch Peter Wollens Script-Mitarbeit. Der Film war lange nicht verfügbar. Seit einigen Wochen gibt es ihn auf DVD; bis Ende Juni läuft eine makellose Kopie im NFT.



Sonntag, Juni 18, 2006
Rolle vorwärts (Ils travaillent le pantalon)

Die hier von mir vorläufig so benannte "alberne Phase" Godards ist glaube ich in der Godard-Hagiographie unterrepräsentiert. Aus der Erinnerung würde ich folgende Periodisierung vorschlagen: Ab ca. Nr. 118 in der Filmographie-Bibliographie-Discographie Chronologique, die im Katalog des Centre Pompidou abgedruckt ist (= "Meeting W.A.") bis Nr. 142 (= der letzte der insgesamt 17 Werbeclips für CLOSED, die Jeans-Marke von Marithé und Francois Girbaud). Auf die Zeitachse umgeschlagen hieße das: von 1986 bis 1988. Ein paar unschlagbare Albernheits-Highlights: Wie JLG als Fürst Myschkin eine Hechtrolle vorwärts durch das Beifahrerfenster in den gelben Ferrari hineinmacht ("Soigne ta droite"). Wie er im gleichen Film mit den gestapelten Filmdosen auf dem Arm auf der Gangway des Flugzeugs angerempelt wird. Der skurrile Kabel-Helm, den er in der Rolle des Narrs in "King Lear" trägt. In "King Lear" auch seine Stimme aus dem Off, für die er sich (hab ich mir das ausgedacht oder irgendwo gelesen?) Ping-Pong-Bälle in den Mund gesteckt hat. Die so erprobte und offenbar zufrieden stellende Technik scheint er auch in meinem Lieblings-CLOSED-Spot in Anschlag gebracht zu haben, der gemeinsam mit "On s'est tous défilé", dem oben erwähnten Film mit und über Woody Allen, "Lettre à Freddy Buache" (1982) und "Métamorphojean" (1990; nochmals Clips für M + F Girbaud) auf der Katalog-DVD enthalten ist.



Hier eine sicher nicht exakte Transkription des Off-Kommentars: "En général, les gens sont travailleurs en pantalon. Eux, c'est spécial: Ils travaillent le pantalon. Ils travaillent le pantalon. Pratiques américains, pantalons pratiques américains. Husch Husch Ui Husch Husch Hui" (Die letzten Laute sind aus der simulierten Perspektive des übergebügelten und ob der Hitze aufjaulenden Jeans-Trägers gesprochen). Im Nouvel Obs no 1206, 12-24 Dezember 1987, kurz vor dem Kinostart von "Soigne ta droite" ist ein Text unter dem Titel "ABCD...JLG" erschienen, in dem Godard zum Stichwort "BURLESQUE" sagt: "Das ist ein Genre, das ich immer geliebt habe. Einer der größten zeitgenössischen Künstler ist Jerry Lewis. Seine letzten Filme sind kaum bemerkt worden. In seinem Land wurde er immer verkannt. Das Fernsehen dagegen ist nicht sehr komisch. Das hat nicht den Sinn für Humor wie ihn Swift, Brecht, die Surrealisten oder Coluche hatten." (im Katalog S. 328) Coluche kannte ich gar nicht, aber man findet mit zwei, drei Clicks schöne Zitate von ihm: "De tous ceux qui n'ont rien à dire, les plus agréables sont ceux qui se taisent."




Freitag, Juni 16, 2006
Mach dich grade, stolze Elfenbeinküste!

Nina Schwabe ist: Nina.
Ein Film wie ein Strich – das tröstet.

Klaus Lemke, "Träum weiter, Julia" (GER 2004), ARD, 00.20h


PS: Das Technicolor der schweissnassen Puma-Trikots (vorhin CIV, jetzt ANG[1]) lässt uns hier alle sprachlos. Bitten um Verständnis.
[1] Länderabkürzungen courtesy Wörterberg



Sonntag, Juni 04, 2006
Good on so many levels

[...] natürlich haben 26 WestWingFolgen keine ganze Woche vorgehalten: zwischen 1 & 2 eine Folge zum Tagesabschluss, und immer wurde es schnell 5.

- zu Allererst & Allerletzt immer wieder Erstaunen über dieses Strukturprinzip, die Intrige zugunsten der Integrität konsequent zu eliminieren, ganz banal die Verwunderung über mich selbst, diesen Entwürfen guter Menschen mich anzubinden, trotz o. wegen der ziemlich singulären Charakter & Sprechweisengruppierung, die das Sagbare weniger den einzelnen Personen zuweist, als immer auf eine Raum-Personen-Anordnung ausrichtet (vielleicht auch als gegen den auratischen Realismus z.B. der Sopranos gerichtetes Projekt: die Sprechgeschwindigkeiten, das permanente eloquente Stocken, das "Go away" für Sam, das "Okay" von Danny, Charlie, Toby, der diskrete Diskurs darüber, über die Zeichen, Signale, mitunter fast nervig klug).
- die Umstülpung des räumlich-arkanen der Politik, der "ummauerten Leere jeder sanktionierten Gewalt" (die kurzen Wege, die missing links: eine Karte des WH könnte ich nach der Serie nicht zeichnen, aber alle Türen öffnen sich, und das Oval Office ist nur ein Zimmer hinter, unter anderen; das Spiel damit: die unendliche Verführungskraft der Nachbartür für die Gäste.)
- im Gegenzug die Ausgesetztheit des Staff in der Konfrontation mit dem Außen, die Umschlagsmomente zwischen Unsicherheit & Souveränität, Neurose & Virtuosität, die latente Unbeherrschbarkeit der Bewegungen - sowieso: das Prinzip des (körperlichen) Lapsus, des Aussetzers
- der modifizierte Familialismus einer Politik der Freundschaft
- die Geste
- C.J.
- etc.

[aus einer E-Mail von Daniel Eschkötter (filmtext.com)].




Donnerstag, Juni 01, 2006
Way Beyond!





URC (Universal Remote Control)