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Freitag, April 29, 2005
Getändel, aber so muß es auch sein "[...] Gut so, ein Märchen mag märchenhaft begründet sein. Fatal ist nur, daß die utopische Oase selber die durch ihre anspruchsvolle Exposition geweckten Erwartungen enttäuscht und auf eine Weise vergegenwärtigt wird, die den Wunsch der meisten hier verschleppten Reisenden, schleunigst wieder die verderbten Stätten der Zivilisation aufzusuchen, sehr verständlich macht. Um davon zu schweigen, daß dieses Idyll der künstlichen, jeder sozialen Entwicklung spottenden Zurückversetzung der Menschen in archaische Verhältnisse seine Existenz verdankt, es ist auch von starrer Einförmigkeit. Seine Bewohner beschäftigen sich unverdrossen damit, ihre Herden zu hüten, fromme Lieder abzusingen und in feierlicher Prozession einen Gebäudekomplex zu durchwallen, dessen Jugendstilformen die Herkunft aus dem Filmatelier deutlich verraten. Und obwohl ihr Freudendasein auf die Dauer sterbenslangweilig sein muß, sind sie noch dazu mit ewiger Jugend begabt. Die Beimengung dieses mystischen Motivs verleiht der Utopie keineswegs eine erhöhte Anziehungskraft, sondern macht nur die Unhaltbarkeit ihrer Konstruktion offenbar. Wenn Frank Capra einem solchen Drama die Arbeit zweier Jahre gewidmet hat, so ist er sicher von der Möglichkeit bestochen worden, die Wirklichkeit mit dem Ideal zu konfrontieren. Das Ergebnis bleibt jedoch weit hinter dieser Absicht zurück; es besteht darin, daß der realistische Teil ungleich besser gelungen ist als die Chimäre. Die großartige Darstellung der Nacht in China könnte Bürgerkriegen als Vorbild dienen, und die verzweifelte Flucht der Reisenden durchs Hochgebirge ist mit Fanatismus gestaltet. Wie schal wirkt daneben das utopische Getändel! Aber so muß es auch sein. Denn die Sonne des Glücks zerstört alle Konturen, und was unter ihr geschieht, läßt sich nicht mit nach Hause tragen." (Siegfried Kracauer über "Lost Horizon"; ein merkwürdiger Abenteuerfilm von Frank Capra, in dem Leni Riefenstahl zuweilen tabulos auf Hermann Hesse trifft; USA 1937) Montag, April 18, 2005
Zwei TV-Hinweise S21 - Die Todesmaschine der Roten Khmer, F/K 2003, Regie: Rithy Panh [Montag, 18.04.2005, 22.15 Uhr, arte] *** L'Intrus, F 2004, Regie: Claire Denis [Dienstag, 19.04.2005, 22.45 Uhr, arte] Samstag, April 16, 2005
The Big Red One (Sam Fuller) "This Is Fictional Life, Based on Factual Death". Dann eine kinetisch organische Montagesequenz, die gerade nicht, wie es dann immer heißt, 'den ganzen Film enthält', sondern eher ein Täuschungsmanöver darstellt. Fuller interessiert sich den restlichen Film über wenig für symbolische Verdichtungen faktischer Erfahrungen, sondern zerdehnt und biegt die visuell spektakuläre Seite des Krieges in schier endlose Wiederholungen und Alltagspraktiken zurück. In der Repetition der Handlungsmuster werden historische Räume und Konstellationen tendenziell unscharf, was aber vielleicht am ehesten einem soldatischen Point of View entspricht. Jedenfalls eher als Scotts oder Spielbergs übersomatisierte Engulfment-Ästhetik. In der bizarrsten Szene des Films agiert Lee Marvin - dem ich in den 1980 gedrehten Szenen, die teilweise 1918 spielen, anzusehen glaube, dass er, als Schauspieler, schon 1967 einen modernistischen Entfremdungsfilm überlebt hat - als tatkräftiger Geburtshelfer, der die Sprachprobleme seiner Truppe auszubügeln versucht und nebenbei aus Munitionsketten eine gynäkologische Apparatur bastelt: "Poussez!" (Goddamn It). Freitag, April 15, 2005
kino-hinweis Gestern, heute und Sonntag im Zeughaus, Berlin zu sehen: Samuel Fullers The Big Red One (USA 1980) Freitag, April 01, 2005
Retrospektive Jean Eustache / Langtexthinweis Heute, Freitag, 1. April, beginnt die Retrospektive Jean Eustache im Kino Arsenal, Berlin. Es sind dort bis zum Ende des Monats alle Filme von Eustache zu sehen, heute fängt es an mit "Numéro Zero", ein Film von 1971, der bis vor drei Jahren als verschollen galt. Hier finden sie den Programmtext der Retro. Am 7., am 19. und am 24. 4. gibt es "Le père noel a les yeux bleus" (Der Weihnachtsmann hat blaue Augen), Frankreich 1965/66 zu sehen. Jean-Pierre Léaud spielt darin einen jungen Mann, der einen Job annimmt als Weihnachtsmann, um sich einen Dufflecoat zu kaufen und dabei Mädchen kennenlernt. Der Film spielt in Narbonne und ist Charles Trenet gewidmet. Angela Schanelec hat die Dialoge und die Erzählstimme des Films anhand der VHS der deutsch untertitelten Version abgeschrieben und den Text kann man jetzt auf unserer Langtextseite lesen: Jean Eustache, Der Weihnachtsmann hat blaue Augen.
m/other Seltsames Exemplar eines manieristischen Naturalismus. Das natürliche Licht als Fetisch und der Enthusiasmus, mit dem noch der banalsten Regung gefolgt wird. Interessant wird es genau da, wo es bricht. Wo sich erst einmal nicht sagen lässt, ist das nun reine Manier oder reiner Naturalismus. Diese Schlenker ins Leere, die sich als Punktierung sonst weithin ödester Erstreckung umso heftiger aufdrängen. Was war das jetzt, das Herzklopfen, die Belichtungs"fehler" am Meer, das Auslaufen der Filmrolle, der schneidende Musikeinsatz und dann Schwarzblende. Mein schlechtes Gefühl die ganze Zeit: Der Naturalismus ist kein offener, auf die Welt mit Neugier gerichteter, sondern ein geschlossener, der die Figuren und ihre Regungen in seinen fertigen Blick hineinkadriert. In den Brechungen und Spiegelungen, in der Beweglichkeit der Kamera wird eine Offenheit herbeisimuliert, das bleibt aber logisch nachträglich. Die Künstlichkeit wird markiert, aber auch das bleibt Manier. Zwischen dem Naturalismus und der ausgestellten Künstlichkeit letztlich nur Abstoßungsreaktionen.
m/other regie: nobuhiro suwa japan 1999 Am Anfang des Films ist es Morgen, eine junge Frau, Aki, geht in die Küche, ein Gespräch durch die geöffnete Tür des Schlafzimmers mit dem Mann, Tetsuro, jemand ist dann am Telefon und die Frau gibt dem Mann den Hörer, ein Unfall einer Frau, jemand muss sich um das Kind kümmern. Die Frau geht zur Arbeit, der Mann rasiert sich. Der Mann, Tetsuro, ist in einem Restaurant zu sehen, das Restaurant ist noch nicht geöffnet, es werden finanzielle Sachen besprochen. Am Abend bringt er das Kind, Shun, mit in die Wohnung und die Frau, Aki, fragt ihn, warum er ihr nicht vorher davon erzählt habe, dass der Junge bei ihnen unterkomme. Der Junge, Shun, acht Jahre alt, richtet sich ein im ersten Stock, der Mann und die Frau reden noch lange in der Nacht, die Frau fragt ihn immer wieder, warum er ihr nicht vorher von der Sache erzählt habe. Am anderen Morgen frühstücken sie zu dritt und Aki ist dann bei der Arbeit zu sehen in einem Büro an Computern und am Abend räumt Tetsuro im Wohnzimmer die Spielsachen des Jungen auf. Später, nach einer Zeit, holt Aki den Jungen von der Schule und die beiden gehen gemeinsam nach Hause. Es gibt dann ein Mittagessen zu sehen, und die Flüssigkeit in den drei Gläsern ist bernsteinfarben, aber der Junge mag seine Spaghetti nicht essen und verlässt den Tisch. Am anderen Morgen ist Aki zur Arbeit gegangen und Tetsuro und Shun sprechen miteinander. Tetsuro besucht das Restaurant und Shun trinkt einen Orangensaft. Am Abend hat sich Shun im Badezimmer eingeschlossen und Tetsuro sitzt auf dem Boden davor und raucht eine Zigarette und Aki kommt nach Hause, aber ihnen gelingt es nicht, Shun zu überreden aus dem Badezimmer zu kommen. Tetsuro muss eine Geschäftsreise machen, Shun einen Tag allein mit Aki verbringen; Tetsuro sitzt mit Shun im Auto und verspricht ihm, wenn er artig sei, ein Geschenk mitzubringen, und Shun möchte den Roboter Digimon 4 als Geschenk, und wenn es den nicht gibt den Roboter Digimon 2, und wenn es den nicht gibt den Roboter Digimon 1 und Tetsuro wiederholt alles, damit er es sich merkt. In der nächsten Einstellung spielen Tetsuro und Aki vor dem Fenster Basketball und Shun schaut ihnen durch das Fenster zu. Aki und Shun verbringen einen Tag allein, Aki macht die Wäsche und später ist eine Frau mit einem Kind bei ihnen am Nachmittag und Aki spricht mit ihr über ihre Rolle als große Schwester von Shun und Shun spielt währenddessen mit dem Jungen der anderen Frau. In der Nacht liegt Aki wach und Shun kommt zu ihr ins Bett, weil er nicht einschlafen kann und sie sprechen miteinander über ihre Verhältnisse zueinander. Am anderen Tag kommt Tetsuro wieder und später, vielleicht an diesem Tag, vielleicht aber auch viel später, sieht man Tetsuro und Shun auf der Straße vor dem Haus Fußball spielen und eine Nachbarin kommt vorbei und grüßt beide. Und an diesem Abend macht Aki den Abwasch und verfällt in eine Krise und zerbricht Geschirr und in der Nacht liegen Aki und Tetsuro im Bett und Tetsuro erzählt Aki von seinen Eltern und den Rollen, die sie bis an ihr Lebensende spielten und die Bedeutung, die seine Eltern für ihn haben und man sieht Aki im Halbdunkel ihm zuhören. In der nächsten Szene ist Shun fort und man sieht, wie Aki ihn sucht in den Straßen und wie sie mit Tetsuro telefoniert und Tetsuro findet Shun schließlich vor dem Fernseher in der Wohnung seiner leiblichen Mutter, Shun ist davor eingeschlafen. Und Tetsuro telefoniert mit Aki und Aki verbringt die Nacht allein in ihrer Wohnung und als Tetsuro und Shun am anderen Morgen wiederkommen, geht Shun zu Aki und entschuldigt sich, aber Aki dreht ihm den Rücken zu und im Flur fragt Tetsuro Shun, ob er sich entschuldigt habe bei Aki und fordert ihn auf, sich am Abend noch einmal bei Aki zu entschuldigen. Es gibt jetzt eine Szene am Meer zu sehen, Tetsuro, Shun und Aki bauen ein blaues Zelt auf an einem Baum und im Hintergrund ist der Wagen zu sehen und Aki geht zum offenen Kofferaum und bringt Sachen zum Zelt. Und Aki ist zu sehen, wie sie allein an den Wellen steht und die Blenden wechseln im Bild und das Bild läuft aus. Shuns Mutter geht es besser, bald kann Shun zurück zu ihr, und am Abend sprechen Tetsuro und Aki darüber, und Tetsuro sagt, sie können dann wieder leben wie zuvor zu zweit. Am Morgen spricht Shun am Telefon mit seiner Mutter und später ist er mit einem Wasserschlauch im Badezimmer und spritzt Aki mit dem Wasserschlauch nass und Aki nimmt den Schlauch und spritzt Shun nass. Dann sieht man Aki in einer leeren Wohnung mit einem Makler, der ihr die Wohnung verkaufen will und Akis Handy klingelt. Es ist Shun, sie sprechen miteinander, sie werden aufeinander aufpassen. Dann ist der Geburtstag von Shun und Shun bekommt ein Fahrrad von seinem Vater geschenkt und viele andere Geschenke und viele Kinder sind auf der Feier und spielen. Am Abend streiten sich Tetsuro und Aki, die Kamera folgt ihnen durch die Wohnung, Tetsuro will nicht, dass Aki ihn verlässt, er hat Wohungsangebote verbrannt und drängt sie in die Ecke und zum Schluss umarmen sie sich erschöpft und man hört ihre beiden Herzen klopfen. Dann sieht man Aki in einem Cafe, sie telefoniert mit dem Handy und sie spricht mit Shun über ihre Beziehung zu Tetsuro, sie haben sich getrennt, sie denken übereinander nach. Aki ist dann in einer leeren Wohnung zu sehen, sie liegt in der leeren Wohnung auf dem Boden und das Telefon klingelt und dann ist Tetsuro in seiner Wohnung zu sehen, das Telefon klingelt und er steht vor dem Telefon und läßt es klingeln. An einem Abend sitzen Tetsuro und Aki in Tetsuros Wagen und sprechen miteinander und draußen beginnt ein Gewitter. Zum Schluss sieht man Aki und Tetsuro in der Wohnung von Tetsuro und die Rolläden sind alle hochgezogen und Licht füllt den Raum.
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